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Auch Potsdam ist „Charlie“. In den Kirchen der Stadt wird am Samstag für die Opfer von Paris gebetet.

© rtr

Reaktionen auf "Charlie Hebdo"-Anschlag: Potsdams Muslime: „Durch nichts zu rechtfertigen“

Auch die Potsdamer lässt der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" nicht kalt. Am Wochenende soll für die Toten gebeten werden. Der Verein der Muslime verurteilt das Attentat.

Für die Toten von Paris soll in Potsdamer Kirchen gebetet werden. Der Anschlag werde am Wochenende Thema in allen Fürbitten sein, sagte Superintendent Joachim Zehner. Zentral sei dabei der Gottesdienst am Samstag ab 18 Uhr in der Nagelkreuzkapelle am Standort der früheren Garnisonkirche. Entschieden habe man sich für diesen Ort, weil die Kirche nach ihrem Wiederaufbau ohnehin als Friedens- und Versöhnungsort genutzt werden solle, so Zehner.

Derweil erinnerte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) an die Verleihung des Potsdamer M100-Medienpreises im Jahr 2010 an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard, der wegen seiner Mohammed-Zeichnungen mit dem Tode bedroht wird. Dem Terror dürfe man nicht mit Wut und Ohnmacht begegnen, sondern mit der Verteidigung grundgesetzlich gesicherter Werte wie der Meinungs- und Pressefreiheit, so Jakobs. Er sei sich sicher, „dass die überwältigende Mehrheit der Potsdamerinnen und Potsdamer hinter mir stehen, wenn ich sage: Je suis Charlie!“.

Keine Gefahr durch Islamisten in Brandenburg

Gefahr durch Islamisten gibt es in Potsdam und Brandenburg nach Einschätzungen der Sicherheitsbehörden nicht. Die einzige Potsdamer Moschee, die Al-Farouk-Moschee, stuft der Verfassungsschutz als unbedenklich ein. Im aktuellen Bericht der Sicherheitsbehörde heißt es: „In Brandenburg konnten bislang keine salafistischen Strukturen festgestellt werden.“ Daran habe sich nichts geändert, sagte am Donnerstag der Sprecher des Innenministeriums Ingo Decker. Es gebe in Brandenburg eine niedrige zweistellige Zahl radikaler Salafisten. Dazu kämen eine niedrige einstellige Zahl Islamisten, die ihren Wohnsitz im Land hatten, sich aber für Kampfhandlungen in Syrien oder im Irak aufhalten oder aufgehalten haben. „Insbesondere von solchen Rückkehrern oder autonom agierenden Gruppen geht eine hohe abstrakte Gefährdung aus“, so Decker. Verzichtet wurde in Potsdam am Mittwoch auf Polizeischutz für Redaktionen – anders als in Berlin, wo beispielsweise eine Funkstreife vor der Tagesspiegel-Redaktion stand. Auch vor anderen Hauptstadtredaktionen standen Polizisten. Der Sprecher des Potsdamer Polizeipräsidiums, Dietmar Keck, sagte, es gebe keine Hinweise auf eine Gefährdung von Journalisten – ohnehin seien die Medien in Brandenburg vor allem lokal geprägt.

Muslime distanzieren sich von der Gewalt

„Solche abscheulichen Taten wie jetzt in Paris sind durch nichts zu rechtfertigen“, sagte Kamal Mohamad Abdallah, der Vorsitzende des Vereins der Muslime in Potsdam. Es sei eine Schande, dass Terroristen im Name des Islam mordeten, so Abdallah, dessen Verein das einzige islamische Gotteshaus in Potsdam betreibt – die besagte Al-Farouk-Moschee auf der Rückseite der Ladenzeile in der Straße Am Kanal 61. Rund 100 Muslime treffen sich hier jeden Freitag, um gemeinsam zu beten. Ausdrücklich distanziert sich der Verein auf seiner Internetseite „von Gewalt und von Personen oder Gruppen, die dazu aufrufen“. Abdallah überlegt, ob und wie er mit dem „Charlie Hebdo“-Massaker in Paris umgeht, ob es beim heutigen Freitagsgebet thematisiert wird – „obwohl dort sonst eigentlich nicht über Politik gesprochen wird“. Gleichwohl fürchtet Abdallah, dass „nun wieder gegen meine Religion gehetzt wird“ und auch der Verein verunglimpft werden könnte. „Bisher haben wir in Potsdam aber keine schlechten Erfahrungen gemacht.“

Zulauf für Pegida?

Der bisher allein im Internet agierende Potsdamer Ableger der islamfeindlichen und rechtspopulistischen Pegida-Bewegung verbreitete im sozialen Netzwerk „Facebook“ seine Botschaften. Der Anschlag beweise die Notwendigkeit der eigenen Aktivitäten, hieß es dort. In diesem Monat wolle man in Brandenburg mit sogenannten „Montagsspaziergängen“ beginnen – ob in Potsdam, ist noch unklar. Bei der Polizei liegt keine Anmeldung vor, wie eine Sprecherin sagte. Pegida Potsdam rief bei „Facebook“ dazu auf, „Islamhandlangern auf den Pelz rücken“. Veranstaltungen von „Islamisten und ihren Handlangern“ – als Beispiele werden Die Linke und die Grünen genannt – müssten „durch Patrioten beobachtet und begleitet werden“. 750 „Facebook“-Unterstützer hat Pegida Potsdam.

(09.01.15)

Viele Menschen in Potsdam reagieren auf den Anschlag in Paris. Die PNN haben Künstler und Wissenschaftler befragt.

Die Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, findet, dass nun jede Zeitung der Welt die Mohammed-Karikaturen von „Charlie Hebdo“ veröffentlichen sollte. „Ich finde sie weder brillant noch besonders komisch. Aber es geht darum, ein Zeichen gegen Angst zu setzen.“ Die Zeitungen müssten gerade jetzt die Werte des Westens verteidigen – mit einer Moral, die den Fundamentalismus infrage stellt.

Der Professor für Politische Theorie an der Universität Potsdam, Heinz Kleger, findet es bezeichnend, dass keine Regierungsstellen, sondern – nicht zum ersten Mal – die Redaktion einer Zeitung angegriffen worden ist. „Dies zeigt, was die Attentäter stört: Die Meinungsfreiheit, die für eine liberale Demokratie grundlegend ist.“ Kleger gibt auch zu bedenken, dass von Frankreich aus die meisten Dschihadisten nach Syrien gegangen sind. Die Attentäter lebten schon lange in Frankreich, würden akzentfrei Französisch sprechen. „Dies verweist auf eine tiefe Spaltung der französischen Gesellschaft, die große Probleme mit der Integrationspolitik hat.“

Der aus Frankreich stammende Laurent Dubost vom Potsdamer Tanztheater „fabrik“ in der Schiffbauergasse sagte: „Die Karikaturisten und Journalisten, die gestorben sind, sind in Frankreich sehr bekannt – viele sind täglich mit ihren Zeichnungen in den Hauptzeitungen präsent gewesen, daher sitzt der Schock für viele Franzosen besonders tief.“ Reagieren könne man nur mit mehr Demokratie, mehr Satire, mehr Pressefreiheit und mehr Toleranz für alle Religionen und Meinungen. „In einer Zeit, in der oft Pegida und die AfD in Deutschland die Schlagzeilen bestimmen, ist es jetzt die Gelegenheit, viele Stimmen gegen Hass, Ausländerfeindlichkeit und Ängste sprechen zu lassen.“ Die Mehrheit der Bevölkerung stehe für Demokratie und Offenheit, ist sich Dubost sicher – insofern seien die weltweiten Solidaritätskundgebungen ermutigend.

Der Leiter des Brandenburgischen Kunstvereins, Gerrit Gohlke, warnte vor einer Instrumentalisierung des Anschlags: „Wir sind wieder mit dem Aufruhr der Frustrierten konfrontiert, denen die Religion nur als Projektionsfläche dient, um über die eigenen Sehnsüchte, die eigene Entfremdung zu reden: Hier die Fremdheitsphobiker auf den Straßen, die vom Islam reden und nur eine Gesellschaft meinen, deren dauernde Veränderung ihre Ängste weckt. Dort die Gewalttäter, die ihre Wut und Feigheit mit religiösem Weihrauch parfümieren.“

Der Comic-Produzent Christopher De La Garza sieht den Angriff als weiteren Versuch, die Meinungs- und Pressefreiheit ins Wanken zu bringen. Der verletzte Stolz einiger weniger Fanatiker und Extremisten dürfe nun aber nicht Anlass dafür bieten, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. HK/kix

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