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Kornelia Dabelow mit einem der Flyer, mit denen Anwohner seinerzeit zur Speichelprobe aufgerufen wurden.

© Andreas Klaer

Rätsel um totes Baby auch nach zehn Jahren nicht gelöst: "So ein Fall lässt einen nicht los"

Kornelia Dabelow von der Potsdamer Mordkommission spricht über neue Ermittlungen im Fall des toten Babys, das vor zehn Jahren am Tag vor Heiligabend Potsdam-West gefunden worden war.

Von Carsten Holm

Frau Dabelow, die Mordkommission ermittelt seit zehn Jahren ohne Erfolg wegen der Tötung eines neugeborenen Mädchens, das am 23. Dezember 2011 in Potsdam-West zwischen einem Garagenkomplex an der Kantstraße und einem Bahndamm tot aufgefunden worden war. Warum rollen Sie den Fall jetzt noch einmal neu auf?
Wir haben die Ermittlungsakte nie ganz geschlossen. Die Mordkommission ist mit hohem Personalaufwand vielen Spuren nachgegangen, der Fall blieb immer in den Köpfen der Kolleginnen und Kollegen präsent. So ein ungelöster Fall lässt einen nicht los. Außerdem haben Kollegen, die 2011 noch nicht bei uns waren, die Akten mit anderen Augen gesichtet. Vor allem haben aber unsere Möglichkeiten, das damals vorgefundene Spurenmaterial und die DNA-Spuren neu auszuwerten, einen großen Sprung gemacht. Wir wollen immer noch ermitteln, wer die Kindsmutter war, in welcher Lebenssituation sie sich befand, und warum dieses neugeborene Mädchen nur wenige Stunden zu leben hatte. 

Wie viele Akten gibt es zu diesem Fall?
Wir führen, Stand heute, 23 Hauptbände mit 2468 Seiten. Dazu gibt es elf Sonderbände. Das ist das Ergebnis der Ermittlungsarbeit von allen zehn Beamten und der Leitung der Mordkommission, die zeitweise durch fünf weitere Kollegen verstärkt wurde. 

Hatten Sie nie einen konkreten, wenn vielleicht auch nicht beweisbaren Verdacht, wer die Mutter des nach der Geburt getöteten Mädchens sein könnte?
Nein. Obwohl wir ja vom ersten Tag an mit mehreren parallel arbeitenden Teams verschiedenen Ansätzen nachgegangen sind. Es waren allein mehrere Teams, die Anwohner im Sichtbereich des Ortes, an dem die Babyleiche unter einem Handtuch abgelegt worden war, befragt haben. Erst in der Nähe, dann in größer werdenden Abständen. Gleichzeitig wohnten Ermittler der Sektion des Leichnams in der Gerichtsmedizin bei, andere suchten die Bundesbahn auf.

Wegen des nahen Bahndamms?
Ja. Da der Auffundort nur wenige Meter von den Gleisen entfernt war, mussten wir klären, ob es möglich gewesen wäre, dass das Baby aus einem Zug geworfen wurde. Wir ermittelten also bei der Bahn, welche Züge zum Zeitpunkt der Tat aus welchen Richtungen kamen, welcher Zugtyp jeweils eingesetzt wurde, welche Anhänger angekoppelt waren und ob in den Zügen Blutspuren oder andere Anhaltspunkte festgestellt worden waren. 

Kamen Sie dabei weiter?
Blutspuren oder andere Spuren waren in den Zügen nicht entdeckt worden, und die Fenster der in Betracht kommenden Züge ließen sich, wenn überhaupt, nicht so weit öffnen, dass man ein Baby hätte hinauswerfen können. 

Ist der genaue Tatzeitpunkt bekannt?
Die Rechtsmedizin hat Eingrenzungen vom Zeitpunkt der Geburt des Mädchens bis zu seinem Tod vornehmen können. 

Von welchem Zeitraum am 23. Dezember 2011 sprechen Sie?
Das ist Täterwissen, unsere Ermittlungsergebnisse dazu geben wir nicht bekannt. Bestimmte Einzelheiten des Tatgeschehens, die nur Täter wissen, können bei der Überführung Tatverdächtiger helfen.

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Die Obduktion ergab, dass das Baby gewaltsam zu Tode kam. Es war damals die Rede davon, dass es erstochen wurde.
Auch hierzu geben wir keine Auskunft: Auch das ist Täterwissen. 

Es hätte ja sein können, dass eine Mutter nach der Geburt und auch nach der Tötung am Bahndamm ärztliche Hilfe gesucht hätte. Haben Sie auch in diesem Bereich ermittelt?
Natürlich. Wir haben 92 Gynäkologen und Hebammen kontaktiert. Aber auch das brachte keinen Erfolg. Alle Frauen, deren Identität uns bekannt wurde, konnten nachweisen, dass sie ihr Kind geboren hatten. Manche Kinder waren dann in die Obhut des Vaters gegangen, es kam auch vor, dass ein Kind zur Adoption freigegeben worden war. 

Aber die Mutter, die wir suchten, war nicht dabei. Wir haben jede denkbare Spur verfolgt. Wir haben Polizeieinsätze geprüft, wenn Ruhestörung durch Schreie angezeigt wurde, wir sind Verstößen im ruhenden und im fließenden Verkehr nachgegangen, wenn sie zum Zeitpunkt der Tat vorgefallen waren. Bei der Rettungsleitstelle gab es einen Einsatz für eine Frau mit Unterleibsblutungen, wir haben in den Krankenhäusern nachgefragt, ob sich Frauen mit entsprechenden Verletzungen vorgestellt hatten. Aber keiner dieser Fälle fiel in unser Raster.

Am Grab auf dem Bornstedter Friedhof legen Potsdamer:innen bis heute Gaben ab.
Am Grab auf dem Bornstedter Friedhof legen Potsdamer:innen bis heute Gaben ab.

© Ottmar Winter

Sie haben auch einen großen Hundeeinsatz eingeleitet.
Wir versuchten, eine Spur vom Fundort des toten Babys zur vermeintlichen Abgangsrichtung der Mutter, wie wir es nennen, zu finden. Drei Personen-Spürhunde wurden 2011 in Potsdam-West und in der Innenstadt eingesetzt, manche dieser Polizeihunde suchen nach lebenden, andere nach toten Menschen. Aber die Spur hatte sich verloren.  

Am 4. Juli 2012 berichtete die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY“ vor 4,9 Millionen Zuschauern über den Potsdamer Fall. Außerdem waren zu diesem Zeitpunkt 10.000 Euro Belohnung für Hinweise zur Aufklärung der Tat ausgelobt worden. Wie war die Resonanz?
Bei uns gingen rund 30 Hinweise von Zuschauern ein. Nachbarn wiesen auf schwangere Frauen hin, von denen sie nicht wussten, wo das Kind, das ja irgendwann hätte geboren sein müssen, verblieben war. Oder auf verdächtige Fahrzeuge, die sie gesehen hatten. Wir haben in jedem Fall ermittelt, aber ohne Ergebnis. Übrigens: die 10.000 Euro Belohnung sind noch immer ausgelobt. 

Die Babyleiche wurde 2011 in Potsdam-West gefunden.
Die Babyleiche wurde 2011 in Potsdam-West gefunden.

© Manfred Thomas

Ihr spektakulärster Fahndungsansatz war ein Aufruf mit Plakaten und Flyern, mit denen Sie für eine am 7. Juli 2014 beginnende Speichelprobe aufmerksam machten. Da gab es auch Widerstand in der Bevölkerung.
Unsere Beamtinnen und Beamten sind tagelang mit Stapeln von Plakaten und Flyern durch die Stadt gelaufen und haben sie in jedem Hauseingang, an Bushaltestellen und Geschäften angebracht. Während eines Massen-Gentests von allen Bewohnern zwischen 16 und 45 Jahren, die zum Tatzeitpunkt in Potsdam-West in Fundortnähe gemeldet waren, wollten wir Speichelproben einholen. Wir hielten es für möglich, dass die Mutter, nach der wir suchten, in der Nähe des Fundorts des toten Babys lebt. 1627 Proben erhielten wir, 44 nicht. 30 Personen konnten wir nicht erreichen, 14 verweigerten die Probe.

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Und waren damit Tatverdächtige?
Nein. Es gibt verschiedene Gründe: Manche haben eine Skepsis gegenüber dem Umgang der Polizei mit diesen Proben, manche erreichte unsere Aufforderung nicht, weil sie verzogen waren, ohne ihre neue Wohnadresse zu hinterlassen. Andere konnten glaubhaft machen, dass sie dieses Kind nicht entbunden hatten. 

Der Massentest führte jedenfalls zu keinem Volltreffer?
Leider nicht. 

Das muss doch frustrieren.
Nein, uns hat das angespornt, nicht aufzugeben und weiterzumachen. 

Haben Sie Hoffnung, die Mutter, nach der sie suchen, noch zu finden, nachdem sie nun verstärkt weiterermitteln?
Ja, auf jeden Fall. Wichtige Spuren vom Tatort, das Handtuch, mit dem das tote Baby abgedeckt worden war und auf dem die Kriminaltechnik 32 biologische Spuren wie Sekrete und Blut identifiziert hatte, werden nun mit den neuen Möglichkeiten nochmals untersucht. Das DNA-Material der Mutter haben wir ja bereits, es wird nun nach der Methode der sogenannten Phänotypisierung analysiert, die Rückschlüsse auf ihr Alter, die Farbe ihrer Augen, ihrer Haut und ihres Haars ermöglicht. Wir haben unser Spurenmaterial im Januar an ein externes Labor gesendet und erwarten das Ergebnis in einigen Wochen oder Monaten. 

Glauben Sie, dass sich die Mutter stellt?
Ich kann mir vorstellen, dass sich ihre Lebenssituation in den vergangenen Jahren grundlegend geändert hat. Vielleicht ist sie verheiratet, hat einen Beruf und wieder eigene Kinder. Ich appelliere an sie, sich bei der Polizei zu melden und zu berichten, welche Lebenssituation damals zu der fatalen Tat geführt hat. Ich kann mir auch vorstellen, dass sie das erleichtern würde. Außerdem muss es ja nicht sein, dass die Kindsmutter auch die Täterin ist. 

Das Gespräch führte Carsten Holm. 

Hinweise (auch anonym) nimmt die Mordkommission unter Tel.: (0331) 5508 27 66 oder per Mail an mordkommission.pdwest@polizei.brandenburg.de entgegen.

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