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PYAnissimo: Wo ist die Kiste mit der Thermounterwäsche?

Wie soll man eine tiefschürfende Kolumne schreiben, wenn man mitten im Umzugschaos sitzt? Ja ich weiß, professionelle Autoren haben immer mindestens eine auf Lager.

Wie soll man eine tiefschürfende Kolumne schreiben, wenn man mitten im Umzugschaos sitzt? Ja ich weiß, professionelle Autoren haben immer mindestens eine auf Lager. Ich natürlich nicht. Ich denke immer, mir fällt schon was ein. Und jetzt ist es passiert. Ich sitze zwischen Kistentürmen und Möbelteilen und grübel, was die Menschen da draußen gerade interessieren könnte. Das Haus ist still und liefert keine Inspiration. Still, alt und vor allem kalt. 13 Grad unter null, Potsdam friert. Ich lag in der ersten Nacht im Bett und bibberte. Lauschte auf die bollernde, glucksende Heizung. Ein Bekannter tröstet uns, während er vermutlich im warmen Angestelltenbüro sitzt: Es dauert mindestens 48 Stunden, sagt er, bis das Mauerwerk durchgewärmt ist. Mich erinnert das plötzlich an Zeiten, zu denen die Kirchen noch mit Kohle geheizt wurden. Drei Tage vor Weihnachten und manchmal auch kalten Ostern (ja!) mussten die Männer der Gemeinde ran, Kohle schippen. Im Vorraum hing eine Liste, in die man sich eintrug. Jeder machte mit. Jeder war mal Heizer. Jetzt gibt es dafür einen Schalter. Oder nicht mal das. Nur noch das unsichtbare digitale Räderwerk.

Unser Haus wurde noch zu ganz analogen Zeiten gebaut. Wie in dem Kinderlied „Wer will fleißige Handwerker seh’n“, Stein auf Stein. Und hätte es die analoge, muskelbetriebene Umzugstruppe nicht gegeben, wären wir noch nicht drin.

Die Umzugstruppe ist prima. Gott sei Dank. Für einen Tag sind wir ihr nämlich ausgeliefert. Die fünf Männer sind Fremde und plötzlich doch ganz dicht dran. Sie räumen unseren Kleiderschrank aus. Sie sehen die Wollmäuse unter der Couch. Sie meckern nicht, weil wir noch nicht komplett fertig gepackt sind. Dafür umso nervöser. Der Chef ist die Ruhe selbst. Seine Jungs sind schnell und umsichtig. In dreien steckt ganz offensichtlich ein Stückchen Migrationshintergrund, alle vier sprechen mit Akzent, einer berlinert. Ich frage, wo sie herkommen. Aus Berlin und Süddeutschland, antworten sie. Jetzt leben sie in Potsdam, wegen der Arbeit. In Berlin kannst du an jeder Ecke Party machen, aber wenn du keinen Job hast Dafür sei es doch schön ruhig in Potsdam, sagen sie, und grinsen sich quer über den Esstisch an.

Am Tisch, in der Pause mit Broten und Kuchen, sind wir alle gleich – es gibt keine Stühle. Den einzigen türkischen Kaffee bekommt der Chef, aus der einzig auffindbaren Tasse. Das finden alle in Ordnung. Dann schleppen sie sogar noch die höllisch schweren Blumenkübel unfallfrei vom Lkw. Ich fange an, sie zu lieben.

Jetzt sind sie weg. Und ich habe leider vergessen zu fragen, in welchem Turm die verdammte Kiste mit der Thermounterwäsche steckt. Potsdam friert, ich auch. Hoffentlich nicht bis Ostern.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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