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Steffi Pyanoe.

© Andreas Klaer

PYAnissimo: Aus Eins mach’ Zehn und Zwei lass gehn

Kolumnistin Steffi Pyanoe wandelt auf Fausts Spuren. Was damit die Keime im blu zu tun haben:

Potsdam - Das Kind hatte „Faust“ in der Schule. Und fragte mich, ob ich das mal schnell erklären kann. Ich dachte, nichts leichter als das. Aber dann musste ich doch nachlesen. Über den Wissenschaftler mit Burnout, der sich Drogen einwirft, Pudel sieht, die nicht da sind, und sogar sterben will, weil er nichts hinkriegt. Dann verspricht ihm ein Werbefuzzi ewige Jugend und schöne Frauen, wenn er im Gegenzug aufhört zu quengeln. Deal. Am Ende klappt es doch nicht, die Frau wird schwanger und dreht durch, auch F. und sein Kumpel können da nichts mehr ausrichten. Und sehen sich im zweiten Teil wieder. Sehr modern das alles.

Goethe in Potsdam?

Beim Lesen fiel mir noch was auf: Goethe muss in Potsdam gewesen sein, als er „Faust“ schrieb. Gretchen zum Beispiel wohnte garantiert in Waldstadt, wo jetzt der Schulcampus hinkommen soll. Da blickte sie vom Balkon rüber auf die Kiefern und sang: Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr. Die ganze Welt ist mir vergällt. Während die Kinder in den überfüllten Containerschulen jammerten: Ich bin dabei mit Seel’ und Leib; Doch freilich würde mir behagen ein wenig Freiheit und Zeitvertreib an schönen Sommerfeiertagen. Und als Goethe die Studenten in Auerbachs Keller singen und saufen ließ, war er davor im Archiv gewesen? Wenn das Gewölbe widerschallt, fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

Immerhin machte man sich damals wie heute Gedanken zur Stadtpolitik. Das finde ich gut. Da hat sich auch nicht viel geändert, an der Meckerlitanei. Goethe schreibt: Nein, er gefällt mir nicht, der neue Burgemeister! Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister. Und für die Stadt was tut er denn? Wird es nicht alle Tage schlimmer? Und gab es damals schon Talkshows? Mit Anne und Maybritt? Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen, als ein Gespräch von Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen. Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus und sieht den Fluß hinab (die Havel?) die bunten Schiffe gleiten; Dann kehrt man abends froh nach Haus uns segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Mephisto warnt vor Keimen im Wasser

In Potsdam geht man nach Feierabend noch ein bisschen Kraut zupfen im Garten, sofern man einen hat. Schon Mephisto rät Faust zu körperlicher Ertüchtigung und Trennkost: Begib dich gleich hinaus aufs Feld, fang an zu hacken und zu graben, erhalte dich und deinen Sinn in einem ganz beschränkten Kreise, ernähre dich mit ungemischter Speise, leb mit dem Vieh als Vieh, und acht es nicht für Raub, den Acker, den du erntest, selbst zu düngen; Das ist das beste Mittel, glaub’, auf achtzig Jahr dich zu verjüngen! Ansonsten geht man hier schwimmen, obwohl Mephisto damals schon warnt: Man möchte rasend werden, der Luft, dem Wasser, wie der Erden entwinden tausend Keime sich, im Trocknen, Warmen, Feuchten, Kalten!

Ganz zauberhaft ist auch der Hexenspruch. Aus Eins mach’ Zehn und Zwei lass gehn, und Drei mach gleich, so bist du reich, verlier die Vier...na und so weiter. Erinnert mich sehr an Potsdams Haushalts-Hexerei. Oder an die Kitaplatz- und Gebührenberechnung. Blickt da noch jemand durch? Faust war auch sehr verwirrt. Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber. Mephisto erwidert nüchtern: Das ist noch lange nicht vorüber, ich kenn es wohl, so klingt das ganze Buch; Ich habe manche Zeit damit verloren, denn ein vollkommner Widerspruch bleibt gleichwohl geheimnisvoll für Kluge wie für Toren.

Unsere Autorin ist freie Mitarbeiterin der PNN. Sie lebt in Babelsberg

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