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Die Angeklagte am ersten Prozesstag im Landgericht Potsdam.

© Jens Kalaene/dpa

Prozess wegen mutmaßlicher Kindstötung: Verteidiger greift Gericht frontal an

Vor mehr als 20 Jahren soll Marina S. ihr Kind kurz nach der Geburt getötet haben. Im Prozess vor dem Potsdamer Landgericht kritisierte ihr Anwalt die Verhandlungsführung und die Ermittlungen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Vor dem Potsdamer Landgericht ist die 61 Jahre Marina S. angeklagt, im Jahr 2000 in ihrer Wohnung im Stadtteil Schlaatz ein lebensfähiges Kind geboren und danach getötet zu haben. Am Montag griff ihr Pflichtverteidiger Falko Drescher die Kammer mit mehreren Anträgen frontal an. Drescher hatte zuvor schon die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen Klaus-Dieter St., des seit Jahren von ihr geschiedenen Ex-Manns der Angeklagten, in Frage gestellt und die Bestellung des Kieler Rechtspsychologen Günter Köhnken beantragt, eines der renommiertesten Forscher zur Glaubwürdigkeit von Zeugen. Über die Anträge will das Gericht nach PNN-Informationen bis zum nächsten Verhandlungstag am 25. November entscheiden.

Am Montag, am fünften Verhandlungstag, legte der Anwalt nach: Die Vernehmung von St. durch die Mordkommission sei „unzulässig“ gewesen. Der Fall ist kompliziert: Die Anklage fußt auf der Darstellung von Klaus-Dieter St. Er sei hinzugekommen, als seine damalige Ehefrau ihr Baby unmittelbar nach der Geburt getötet und in einen Müllsack gelegt habe. Er gab zu, den Sack im Hausmüll entsorgt zu haben. Sein in München lebender Sohn René hatte bei Ermittlern eine andere Version preisgegeben: Sein Vater habe ihm erzählt, dabei gewesen zu sein, als seine Frau das Neugeborene in der Badewanne ertränkte. Durch diese Aussage, so Drescher, sei St. vom Zeugen- in den Beschuldigtenstatus gewechselt und „verdächtig, Anstifter, Mittäter oder zumindest Gehilfe einer Kindstötung zu sein“.

Anwalt attackiert Vorsitzenden Richter

Weiterhin dürften die Aussagen des Hauptbelastungszeugen vor der Kammer nicht verwertet werden, da St. dabei erhebliche mentale Einschränkungen offenbart und selbst erklärt habe, unter Demenz zu leiden. Die Kammer habe es unterlassen, „ihm einen Zeugenbeistand beizuordnen“. Die Strafprozessordnung räume dem Gericht „in dieser Situation kein Ermessen“ ein“.

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Massiv attackierte Drescher den Vorsitzenden Richter Theodor Horstkötter, einer der erfahrensten Potsdamer Richter. Er hatte 2016 in einem bundesweit beachteten Prozess den Kindermörder Silvio S. zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt auch im sogenannten Oberlin-Prozess der Kammer vor, die den mutmaßlichen Mord an vier Heimbewohnern durch eine Pflegekraft aufklären will. 

Drescher verlangte ein Verwertungsverbot der Antworten von 14 namentlich aufgelisteten Zeugen, die diese „auf unzulässige Fragen des Vorsitzenden gegeben haben“. Gegenstand des Zeugenbeweises dürften „nur Tatsachen, nicht aber Erfahrungssätze, allgemeine Eindrücke, Schlussfolgerungen oder Mutmaßungen sein“. Drescher weiter: „Gegen diese Grundregel wurde verstoßen.“ Er nannte Beispiele von Horstkötters Fragen: „Wie würden Sie Frau S. charakterisieren, war sie loyal, war sie zuverlässig?“ „Hätte Frau S. denn mit ihrer Kleidung eine Schwangerschaft verbergen können?“ 

Polizeiliche Mitschnitte von Telefonaten unzulässig?

Weiterhin bewertete der Verteidiger polizeiliche Mitschnitte von Telefonaten der Angeklagten mit ihrem Lebenspartner und heutigen Ehemann als unzulässig. Sie unterlägen einem Erhebungsverbot, weil sie „zum elementaren Kernbereich der privaten Lebensgestaltung“ gehören, der „in besonderem Maße grundgesetzlich vor Eingriffen geschützt“ sei.

Die Technik war eingerichtet, eigentlich sollten am Montag Aufnahmen der polizeilichen Telefonüberwachung vorgespielt werden. Verteidiger Drescher beantragte eine Vertagung, weil er die Aufnahmen erst am Freitag erhalten habe. Dem Antrag wurde stattgegeben.

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