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Die Angeklagte am ersten Prozesstag im Landgericht Potsdam.

© Jens Kalaene/dpa

Prozess um Kindstötung in Potsdam: „Sie haben keine Beweise“

Am Potsdamer Landgericht wurden Telefonmmitschnitte der Mordkommission abgespielt - auch die Angeklagte Marina S. und ihr Ex-Freund Mario S. sind zu hören. Die Vorwürfe der Verteidigung wies der Richter zurück.

Von Carsten Holm

Potsdam - Sind Richter einmal richtig sauer, flüchten sie sich in die Sprache der Diplomaten. So war es am Donnerstag im Saal des Potsdamer Landgerichts: Vor ein paar Tagen hatte Falko Drescher, Pflichtverteidiger der 61-jährigen wegen Totschlags angeklagten Marina S. im Kindstötungsprozess, den Vorsitzenden Richter Theodor Horstkötter massiv angegriffen. Er hatte der Großen Strafkammer abgesprochen, ein faires Verfahren zu führen, es müsse sofort eingestellt werden.

Das allein war starker Tobak. Was Horstkötter allem Anschein nach mehr befremdete, war die Tatsache, dass die Forderung nach Einstellung des Prozesses in den PNN und der MAZ zu lesen war, bevor sie der Kammer zuging. Kaum ein Richter würde sagen, dass er so etwas für respektlos oder für unverschämt hält. Horstkötter griff zu einer Vokabel aus der Diplomatensprache, intonierte seine Reaktion aber so, als würde ein Fallbeil hinabsausen: Er sei darüber „irritiert“ und „erstaunt“, dass er später informiert werde als die Presse.

Marina S. soll ihr Neugeborenes vor mehr als 20 Jahren getötet haben

Marina S. ist angeklagt, im Jahr 2000 in ihrer Wohnung im Potsdamer Stadtteil Schlaatz ein lebensfähiges Kind geboren und getötet zu haben. Hauptbelastungszeuge ist ihr vor Jahren von ihr geschiedener Ehemann Klaus-Dieter St., der 2018 einem Bekannten von dem Vorfall erzählt hatte. Er sei dazugekommen, als seine damalige Ehefrau das Kind geboren und erstochen und die Baby-Leiche in einem Müllsack entsorgt habe. Dem inzwischen in München lebenden René St., dem gemeinsamen Sohn aus der Ehe mit Marina S., hatte er aber eine andere Version erzählt: Er sei dabei gewesen, als sie das Neugeborene in der Badewanne ertränkte.

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Anwalt Drescher hatte unter anderem kritisiert, dass die Mordkommission Klaus-Dieter St. trotz dieser Aussage als Zeugen und nicht als Beschuldigten vernommen habe, denn durch die Version, die er seinem Sohn offenbart habe, sei er verdächtig, „Anstifter, Mittäter oder zumindest Gehilfe einer Kindstötung zu sein“. Dass die Mordkommission und die Staatsanwaltschaft angesichts dieser Aussage kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hätten, widerspreche dem Legalitätsprinzip. Beide hätten „einen Zeugen präsentieren“ wollen, den die Mordkommission „präpariert“ habe.

Verhalten der Polizei „nicht zu beanstanden“

Das Gericht lehnte die Anträge der Verteidigung mit Entschiedenheit ab, ein Verfahrenshindernis, so Horstkötter, sei „nicht ersichtlich“. Der Vorsitzende Richter wies erneut darauf hin, dass René St. im Verfahren vor dem Landgericht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe und deswegen auch seine Aussage vor der Münchener Mordkommission nicht verwertbar sei. Die Aussage von Klaus-Dieter St. allerdings, etwa vor der Mordkommission, sei „glaubwürdig“ gewesen. Das Verhalten der Polizei auch bei einem Besuch sei „nicht zu beanstanden“, die Beamten hätten sich „ein Bild von dessen Zustand“ machen wollen und den Zeugen keineswegs präpariert. Der Gedanke, die Polizei habe einen Zeugen „präsentieren“ wollen, entbehre „jeder Grundlage“.

Mehr als 400 Gespräche wurden aufgezeichnet

Mit Spannung erwartet worden war das Abspielen von Tonbandaufnahmen, heimlichen Mitschnitten der Mordkommission, als Marina S., ihre Tochter Mandy und ihr damaliger Freund Mario S. im September und Oktober 2017 miteinander telefonierten. Da hatte Klaus-Dieter St. einem Nachbarn von der angeblichen Kindstötung erzählt, worauf der über Notruf die Polizei alarmierte. 401 Gespräche wurden aufgezeichnet, nur 20 standen im Zusammenhang mit dem Tatvorwurf. Als dann bekannt wurde, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Marina S. eingeleitet worden war, wurden in den Mitschnitten eine gedrückte Stimmung, aber auch Beruhigungsversuche deutlich: „Sie haben keine Beweise“, sagte Mario S., der auch von einer „Fehlgeburt nach fünf Monaten“ sprach.

Die Angeklagte war aus den beiden Lautsprechern auf der Richterbank zu hören: Sie hätte das Kind, wenn sie keine Fehlgeburt gehabt hätte, ausgetragen und in eine Babyklappe gelegt oder zur Adoption freigegeben. Und einmal erinnert ihr damaliger Freund und heutiger Ehemann sie an das „was du vereinbart hast: dass es ’ne Fehlgeburt war“.

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