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Die Angeklagte im Landgericht Potsdam.

© Jens Kalaene/dpa

Prozess um Kindstötung: Ex-Mann belastet frühere Ehefrau schwer

Zahlreiche Widersprüche in den Aussagen erschweren die Aufklärung im Prozess um eine mutmaßliche Kindstötung in Potsdam. 

Von Carsten Holm

Potsdam - Es ist ein Totschlagsprozess, aber es gibt keinen Leichnam: vor dem Landgericht muss sich die 61 Jahre alte Potsdamerin Marina S. verantworten, weil sie, so die Anklage, vor 21 Jahren ein lebensfähiges Kind zur Welt gebracht und es nach der Geburt getötet hat. Am Dienstag vergangener Woche, dem ersten Verhandlungstag, hatte sie von ihrem Schweigerecht als Angeklagte Gebrauch gemacht, am Donnerstag trat ihr seit langem von ihr geschiedener Ehemann Klaus-Dieter S. als Hauptbelastungszeuge auf. Der Mann schilderte, wie er eines Tages von der Arbeit nach Hause gekommen sei und seine Frau im blutbefleckten Badezimmer vorgefunden habe. Die Babyleiche habe sie bereits in eine blaue Plastiktüte gelegt, er habe kurz hineingeschaut und die Tüte dann in einem Container für Hausmüll entsorgt. „Guck´ da nich´ rein“, habe seine Frau gesagt.

Kindestötungen nach der Geburt werden meist nicht als Mord, sondern als Totschlag angeklagt, weil die betroffenen Frauen oft in einer extremen psychischen Situation stehen. Totschlag verjährt nach 20 Jahren - in diesem Fall aber war die Verjährung 2018 durch die Vernehmung der Beschuldigten und die Anklageschrift unterbrochen worden. An die Öffentlichkeit gekommen war die Straftat, als der heute 67-jährige Klaus-Dieter S. einem Nachbarn und später auch René S., dem mit seiner geschiedenen Frau gemeinsamen Sohn, davon erzählte.

Gab es überhaupt eine Schwangerschaft? 

Es ist ein juristisch komplizierter Fall, da es nur einen Zeugen des Tatzusammenhangs gibt. Weder konnten die Ermittler objektiven Beweis darüber führen, ob es überhaupt eine Schwangerschaft gab - Marina S. hatte in dieser Zeit keinen Arzt aufgesucht. Nur einmal, berichtete ihr geschiedener Mann, habe eine Schwägerin bei einem gemeinsamen Familienspaziergang ihren gewölbten Bauch gesehen und direkt gefragt ob sie schwanger sei. S. verneinte das.

Es gelang nicht, eine beträchtliche Zahl von Widersprüchen zwischen Aussagen des verrenteten Fußbodenverlegers bei der Polizei und im Justizzentrum aufzuklären. Mal saß seine Frau, als er am Tattag die Wohnungstür aufschloss, in der Badewanne, mal stand sie darin und reinigte das Waschbecken von Blut. Mal war da etwas Glitzerndes, eine Schere oder ein Messer, zu sehen, am Donnerstag sagte er: „Weiß ich nicht.“ Mal hatte er, als er die blaue Tüte öffnete, eine Stichverletzung gesehen und mal zwei, mal stand die Tüte mit der von Blut gesäuberten Babyleiche nach seiner Erinnerung im Flur und mal im Zimmer des Sohns.

Dem Potsdamer Rechtsanwalt Falko Drescher müssen als Strafverteidiger von Marina S. die vielen Ungereimtheiten aufgefallen sein. Er beantragte die Bestellung eines Sachverständigen, der die Glaubwürdigkeit des Ex-Ehemanns beurteilen soll. Es müsse geprüft werden, ob bei ihm eine Demenz vorliege, er habe seine Schilderungen des Tathergangs bei polizeilichen Vernehmungen auf drei Jahre verteilt, sein kognitives Leistungsvermögen sei stark eingeschränkt. Das Gericht hat noch nicht über den Antrag entschieden.

Vom Vorsitzenden Richter Theodor Horstkötter geduldig und einfühlsam begleitet, gab Klaus-Dieter S. Einblick in sein Inneres, so weit es ihm möglich war. Ja, er sei dement und nehme auf Anraten seines Hausarztes morgens eine Tablette dagegen. Ja, er sei sich sicher gewesen, dass er nicht der Vater des Kindes gewesen sei, das seine Frau geboren und getötet habe, beide hätten fast keinen intimen Kontakt mehr gehabt. Nein, er habe nie gefragt, von wem das Kind sei, er habe mit seiner Frau auch nie darüber geredet. 

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Abgründe einer Ehe 

Es waren Abgründe einer Ehe, die da im Landgericht sichtbar wurden. Die Eheleute, die einen Sohn miteinander hatten - eine Tochter hatte Marina S. mit in die Ehe gebracht - haben vermutlich nicht die Sprache miteinander verloren, weil sie nie eine zueinander gefunden hatten.

„Warum haben Sie so viele Jahre darüber geschwiegen?“, fragte Richter Horstkötter. „Weiß ich nicht“, antwortete der Zeuge. „Haben Sie sich besser gefühlt, als es endlich ´raus war? „Ja. Ich wollte es loswerden, ich wollte damit nichts mehr zu tun haben.“ Als Horstkötter wissen wollte, warum S. nach eigener Aussage wegen der Tat einen „Schreck“ bekommen habe, antwortete er: „Dass sie einem Kind so etwas antut!“ Ja, es sei gut möglich, dass er seinem Sohn tatsächlich jenen Satz am Telefon gesagt habe, der in den Polizeiakten steht: „Deine Mutter ist eine Mörderin.“

Nicht anklagend, nur fragend versuchte der Richter zu ergründen, warum Klaus-Dieter S. nicht in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt sei, als er das Baby in den Müll gelegt hatte, seien Frau hätte womöglich ja Hilfe gebraucht. S. sagte, er sei direkt in seine Stammkneipe gegangen. Und er habe ein paar Bier mehr als sonst getrunken.

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