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Prozess um erwürgte Seniorin: Gutachter rügt Zustände in Psychiatrie

Was geschah in der Nacht zum 10. Juli in der Psychiatrie In der Aue? Im Prozess um die erwürgte Seniorin schilderten Mitarbeiter die Tatnacht. Ein Gutachter kritisierte die Zustände in der Klinik.

Potsdam - Schwere Vorwürfe im Prozess um eine erwürgte Seniorin in der städtischen Psychiatrie In der Aue: Die dort praktizierte Verfahrensweise bei der Kontrolle und Sicherheit von Patienten hat der vom Landgericht bestellte psychologische Gutachter deutlich kritisiert. Der renommierte forensische Psychiater Matthias Lammel machte bei der Vernehmung einer in der Klinik tätigen Krankenschwester am Donnerstag deutlich, dass in einer Psychiatrie eigentlich ständig bekannt sein müsse, wo sich Patienten einzeln aufhalten.

Dagegen klinge die Schilderung der Schwester, als sei das Personal vor Ort vor allem mit Routinearbeiten befasst, erklärte Lammel – „aber wo die Patienten sind, weiß man nicht“. Dem Widerspruch der Pflegerin, dies sei von dem vor Ort tätigen Personal nicht zu gewährleisten und dafür müssten sonst extra Kollegen für die Flure abgestellt werden, hielt Lammel entgegen: „Aber das muss man in einer Psychiatrie so machen.“ Lammel hat schon viele Strafsachen als Gutachter begleitet, auch das viel beachtete Verfahren gegen den Mörder der Kinder Elias und Mohammed in Potsdam.

Mordnachricht? „So etwas hört man ja öfter einmal von Patienten“

Im aktuellen Prozess steht eine 35-jährige Potsdamerin wegen Totschlags vor Gericht, die laut Anklage in der Nacht zum 10. Juli 2017 im Zustand verminderter Schuldfähigkeit ihre Mitpatientin erwürgt haben soll. Wie berichtet hatte der Sohn der getöteten Rentnerin dem Klinikum bereits eine Mitschuld an dem Tod seiner Mutter gegeben. Die Ärzte hätten die beiden Patientinnen nicht gemeinsam in einem Zimmer unterbringen dürfen, hatte sein Anwalt erklärt und notfalls auch mit Klage gedroht, um Schmerzensgeldforderungen durchzusetzen.

Der Kritik von Lammel widersprach am Donnerstag allerdings der Präsident der 9000 Mitglieder starken Deutschen Psychiatrie-Gesellschaft DGPNN, Arno Deister. Auf PNN-Anfrage sagte der vom Klinikum vermittelte Experte, heutzutage werde auch aus medizinischen Gründen in der Psychiatrie das Selbstbestimmungsrecht der Patienten höher eingeschätzt als in früheren Zeiten. Dazu gehöre auch das Recht, ob man sich behandeln lassen wolle – das aber ende, wenn man für sich und andere gefährlich werde. „Die Grenze dafür zu erkennen ist schwierig.“ Daher gebe es für die Überwachung von Patienten keine festen Regeln – so könnten individuelle Fehler entstehen. „Doch eine generelle Überwachung der Patienten würde mehr schaden als nützen“, so der DGPNN-Chef, dessen Vorstandskollege Christian Kieser die Klinik In der Aue leitet. Dort hatte man nach einer Sicherheitsüberprüfung erklärt, dass es auch „unvermeidbare schicksalhafte und nicht vorhersehbare Vorkommnisse“ gebe.

Im Gericht schilderten am Donnerstag mehrere Mitarbeiter auch erstmals Details des Falls, den damals weder Polizei noch Klinikum gemeldet hatten. So sagten die beiden Pflegerinnen, die auf der Station Dienst hatten, plötzlich sei die Angeklagte wenige Minuten nach ein Uhr in das Dienstzimmer gekommen und habe aufgeregt gesagt: „In meinem Zimmer ist ein Mord geschehen.“ Die Pflegerinnen gingen mit ihr und einer Ärztin zunächst in das fragliche Zimmer 209 und wollten sie beruhigen. „So etwas hört man ja öfter einmal von Patienten.“ Doch in dem Zimmer habe die Seniorin leblos auf dem Bett gelegen, mit einem Kissen auf dem Gesicht. Auch Würgemale und etwas Blut seien zu sehen gewesen, hieß es.

Schon in der Nacht zuvor habe die Angeklagte rastlos gewirkt und sich über die Schlafgeräusche ihrer Zimmergenossin beklagt, schilderten die Pflegerinnen. Auch der Sohn der getöteten Seniorin hatte berichtet, seine Mutter habe sich wenige Stunden vor ihrem Tod über die neue Zimmergenossin beschwert, weil diese etwa ihre Zahnbürste benutzt habe. Die Angeklagte war wenige Tage zuvor in einem Wald bei Nauen aufgegriffen worden, sie hatte Medikamente gegen ihre Schizophrenie abgesetzt.

Der Ärztin sollen keine Probleme berichtet worden sein

Wenige Stunden vor der Tat wiederum habe die Angeklagte gebeten, sie möge entlassen werden, hieß es vor Gericht. Allerdings redete die diensthabende Ärztin ihr das wieder aus. Die Medizinerin sagte aber auch, von den Problemen zwischen der Angeklagten und der Zimmergenossin sei ihr nichts gesagt worden. Auch könne sie nicht mit Sicherheit sagen, ob die Frau vorgesehene Beruhigungsmittel tatsächlich genommen habe.

Gleichwohl verlief der Abend gewohnt, waren die Schwestern etwa mit der Vorbereitung von Medikamenten befasst. Zuletzt kontrollierte eine 29 Jahre alte Pflegerin bei einem routinemäßigen Rundgang kurz nach Mitternacht das Zimmer 209, dort schlief die alte Dame. Dann habe sie sich wieder anderen Tätigkeiten gewidmet, so die Pflegerin. Die Angeklagte sei kurz danach mit einem anderen Patienten händchenhaltend im Flur auf- und abgegangen. „Das habe ich aus dem Augenwinkel beobachtet.“ Dann sei die Angeklagte allein gegen ein Uhr wieder auf ihr Zimmer gegangen – und etwa zehn Minuten später mit der Mordnachricht im Dienstzimmer erschienen. Sie sei von Stimmen geweckt worden, habe die Frau gesagt.

Der Verteidiger der Angeklagten hatte bereits erklärt, seine Mandantin werde sich nicht zur Sache äußern können, weil sie zum fraglichen Zeitpunkt unter einer akuten Psychose litt. Vor Gericht schilderte sie aber am Donnerstag ihren Lebensweg, der von einem behüteten Elternhaus in Niedersachsen, später aber auch vielen Umzügen und Rückschlägen wie einem abgebrochenen Medizinstudium geprägt war. 2014 kam sie dann in die Region Potsdam. Seit ihrer Teenagerzeit habe sie an Depressionen gelitten, sagte die Angeklagte, ein Schwangerschaftsabbruch sowie ein gewalttätiger Mann setzten ihrer Seele offenbar weiter zu. Am 3. Mai wird der Prozess fortgesetzt.

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