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Der angeklagten Ines R. wird vierfacher Mord vorgeworfen.

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Update

Prozess nach Gewalttat im Potsdamer Oberlinhaus: Anklage wirft Pflegekraft Heimtücke vor

Laut Staatsanwaltschaft tötete Ines R. vier Menschen mit Behinderungen und nutzte dabei die Wehrlosigkeit ihrer Opfer aus. Die Angeklagte schilderte am ersten Prozesstag eine freudlose Kindheit und Jugend.

Potsdam - Am Dienstag hat unter strengen Sicherheitsauflagen vor dem Landgericht Potsdam der Mordprozess gegen die Pflegerin Ines R. begonnen. Der 52-Jährigen wird vorgeworfen, Ende April vier Menschen mit Behinderung im Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Haus heimtückisch mit einem Messer getötet und eine weitere Bewohnerin schwer verletzt zu haben. Ines R. war fast 30 Jahre beim diakonischen Oberlinhaus mit 150-jähriger Tradition beschäftigt.

Die Staatsanwältin warf der angeklagten Pflegekraft Heimtücke vor. Sie habe am Tatabend des 28. April gewartet, bis die beiden weiteren Pflegekräfte in anderen Teilen der Station beschäftigt waren, erklärte Maria Stiller bei der Verlesung der Anklage. Dann sei sie in zwei Zimmer geschlichen und habe zunächst versucht, zwei Bewohner zu erwürgen.

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Als sich dies als zu anstrengend erwiesen habe, habe die Angeklagte in einem Aufenthaltsraum ihren Beutel mit persönlichen Sachen geholt, sagte Stiller. Dabei habe sie einer Kollegin erklärt, sie wolle die Station kurz verlassen. Stattdessen sei sie in die Zimmer von Bewohnern geschlichen und habe ein mitgebrachtes Messer mit einer Klingenlänge von elf Zentimetern aus dem Beutel genommen. Damit habe sie zwei Männer und zwei Frauen im Alter zwischen 31 und 56 Jahren mit Schnitten in den Hals getötet. Eine 43-jährige Bewohnerin überlebte einen weiteren Messerangriff schwer verletzt.

„Ihr war bewusst gewesen, dass es sich bei den fünf Geschädigten um schwerst behinderte Menschen handelte, die nicht in der Lage waren, sich zu wehren oder Hilfe zu rufen“, sagte die Staatsanwältin. Diese Wehrlosigkeit habe die Angeklagte ausgenutzt. 

Ines R.: „Ich mochte meine Mutter nicht.“

In der Anklageschrift betonte die Staatsanwaltschaft, dass die Angeklagte ihre Dienste vor der Tat „seit vielen Wochen als enorme psychische Belastung“ empfunden habe. Die Angeklagte machte Angaben zu ihrer Person, sprach über ihre Kindheit. Sie habe schon als Kind psychische Probleme gehabt. 

Sie habe sich anders gefühlt, keine Freundschaften schließen können. „Diese tiefe Traurigkeit und Angst vor dem Leben hatte ich schon als Fünfjährige“, sagte sie. Und: „Ich mochte meine Mutter nicht.“ Deren Schlägen sei sie nur in Krankheitsfällen entgangen.

Detailliert beschrieb die 52-Jährige einen Suizidversuch mit zwölf Jahren. Danach sei sie für acht Monate ins Krankenhaus gekommen und dort in einem Modellversuch mit Medikamenten aus der Schweiz behandelt worden. „Das war mein Trauma“, sagte sie. 

Als einschneidende Erlebnisse vor der Tat bezeichnete sie zudem die Hirnhautentzündung ihres Sohnes, die zu einer schweren Behinderung führte, und den Hirntumor ihres anderen Sohnes. 

Die Angeklagte beschrieb auch die Arbeitssituation in der Pflege. In den Spätdiensten seien oft nur zwei statt drei Pflegekräfte im Einsatz gewesen, so Ines R. Die Oberlin-Heimleitung habe darauf nicht reagiert, keine Leasingkräfte angeheuert, sondern die Aufgaben reduziert. Duschen und Baden für die pflegebedürftigen Bewohner seien dann gestrichen worden. 

Vier Menschen wurden Ende April in Babelsberg getötet worden. 
Vier Menschen wurden Ende April in Babelsberg getötet worden. 

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Kollegen hätten auch Überlastungsanzeigen gestellt, viele den Job wieder aufgegeben, so Ines R. Oberlin hatte die Vorwürfe, die die konkreten Arbeitsbedingungen betreffen, schon im Zuge des Prozesses vor dem Arbeitsgericht, bei dem es um die Kündigung von Ines R. nach der Tat durch den diakonischen Träger geht, vehement zurückgewiesen.

Ihre Tätigkeit als Pflegerin beschrieb die Angeklagte als eine „Berufung“. 1990 habe sie nach einer abgebrochenen Ausbildung zur Pflegerin in einer Potsdamer Einrichtung für schwerbehinderte Kinder und Jugendliche als Pflegekraft begonnen. „Ich habe mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen gearbeitet - aber mir selbst konnte ich nicht helfen“, schilderte die 52-Jährige ihre damaligen Empfindungen. 1993 wurde das Haus von der diakonischen Einrichtung Oberlinhaus übernommen. Psychische Probleme, Medikamente und Konsum von Alkohol hätten sie über weite Teile ihres Lebens begleitet, sagte die Angeklagte.

Mutmaßliche Mordwaffe wurde auf Parkplatz gefunden

Am ersten Prozesstag wurden auch Fotos vom Tatort und der Spurensicherung gezeigt. Das Keramikmesser, mit dem die Angeklagte die fünf Bewohner angegriffen haben soll, wurde später auf einem Mitarbeiter-Parkplatz von Oberlin in der Babelsberger Glasmeisterstraße gefunden. 

Im Haus der Pflegerin in Potsdam wurden Schuhe und eine Jacke mit „blutverdächtigen Anhaftungen“ sichergestellt, führte ein Kriminalbeamter vor Gericht aus. Bilder aus dem Polizeigewahrsam, in den die Verdächtige kurz nach der Tat gebracht worden war, zeigen ihre Hände, an denen augenscheinlich ebenfalls Blutspuren haften.

Die Staatsanwaltschaft geht nach einem psychiatrischen Gutachten davon aus, dass die Pflegekraft die Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen hat. Die 52-Jährige ist seit ihrer Festnahme unmittelbar nach dem Verbrechen in der forensischen Abteilung einer Psychiatrie untergebracht.

Für den Prozess sind zehn Verhandlungstage bis zum 9. Dezember angesetzt. Insgesamt sollen mehr als 40 Zeugen gehört werden. (mit dpa/epd)

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