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Problemviertel in Potsdam: Wieder an den Schlaatz glauben

Der Stadtteil hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit Negativschlagzeilen für Furore gesorgt. Bei einer Visionenwerkstatt sollen ab heute neue Ideen für den Stadtteil entwickelt werden.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Schlecht, schlechter, Schlaatz? Dieser Potsdamer Stadtteil gilt als der Abgehängte. Jeder vierte Bewohner im Schlaatz bezieht Hilfen vom Staat, der Anteil der Arbeitslosen liegt weit über dem städtischen Mittelwert. Der Ausländeranteil ist mit rund zwanzig Prozent am höchsten. Günstiger Wohnraum zieht die an, die es sich in anderen Stadtteilen Potsdams nicht leisten können zu leben: sozial benachteiligte, Alleinerziehende, Studenten und Migranten. Rund 10 000 Potsdamer leben dort, am Durchschnittsalter gemessen ist der Schlaatz der jüngste Stadtteil Potsdams.

Der Multikultistadtteil gilt als das Problemviertel Potsdams. Im Schlaatz ist die Kriminalitätsrate im Vergleich zum Potsdamer Durchschnitt höher; in den vergangenen Jahren war der Stadtteil immer wieder Schauplatz von Verbrechen. Die Entführung des sechsjährigen Elias ist das Beispiel mit der traurigsten Berühmtheit.

„Der Schlaatz wird immer mit am schlechtesten bewertet"

Abgehängt also? In der Vergangenheit hat es viele Ideen gegeben, wie man das Leben im Schlaatz gestalten kann, es gab ein Kiezradio, Ausstellungen von Studenten, Aktionen für Willkommenskultur und gegen Rechts. Seit 20 Jahren bemühe man sich im Schlaatz nun darum, die Lebensbedingungen zu verbessern, sagt Carsten Hagenau, Projekt-Koordinator vom Arbeitskreis Stadtspuren. Mit wenig Erfolg: Image, Selbstbild, Mieterzufriedenheit: „Der Schlaatz wird immer mit am schlechtesten bewertet.“

Deshalb sollen nun neue Ideen in einer Visionenwerkstatt entwickelt werden. Ausgelobt haben den Workshop, der von heute bis Donnerstag stattfindet, vier Unternehmen des Arbeitskreises Stadtspuren. Dazu gehören die Wohnungsgesellschaft Gewoba, die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“, die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft (pbg) und die Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 (PWG). Gemeinsam bewirtschaften sie etwa 85 Prozent der Wohnungen im Stadtteil.

Schlaatz erfüllt Toleranzversprechen für Potsdam

Insgesamt vier Experten-Teams mit fünf bis sieben Personen nehmen an der Werkstatt teil, 6000 Euro bekommt jedes Team für seine Arbeit. Zu den Teams gehören Architekten, Landschafts- und Sozialplaner, aber auch Aktionskünstler. Können solche Visionen dem Schlaatz überhaupt noch helfen? „Der Schlaatz ist eines der wichtigsten Wohngebiete in der Stadt“, sagt Hagenau, der sich selbst seit Jahren mit dem Stadtteil beschäftigt. Es sei ein Wohngebiet, dass das Toleranzversprechen Potsdams erfülle, ein Ort der Integration. Gleichzeitig sei „die soziale Infrastruktur gut.“

Deshalb sollen die vier Teams einen Fragenkatalog abarbeiten und als Leitfaden für ihre städtebauliche Vision des Schlaatz verwenden. Entstehen sollen Konzepte, wie beispielsweise das Image des Stadtteils verbessert werden kann, der Verkehr organisiert werden soll, Nachbarschaften gestärkt werden können und für welche Zielgruppe man die Ideen entwickeln muss. „Im Vordergrund steht die Frage nach den Perspektiven der künftigen sozialen Entwicklung des Wohngebiets“, heißt es in der Ausschreibung der Werkstatt. Dabei spiele eine große Rolle, dass niemand aus dem Stadtteil verdrängt werden solle, sagt Hagenau.

„Hundert Prozent wünschen, um vierzig zu bekommen"

Und wie viel wird übrigbleiben von den Visionen für den Schlaatz, die am Donnerstagabend in einer mehrstündigen Präsentation vorgestellt werden sollen? Vermutlich wenig, gibt Hagenau zu. „Man muss sich aber hundert Prozent wünschen, um vierzig zu bekommen“, sagt er. Und natürlich hat er auch ein übergeordnetes Ziel. Eines, das über die Visionenwerkstatt hinausgehen soll. Denn am Freitag, nach der Ergebnispräsentation, werden die Wohnungsgesellschaften und Hagenau gemeinsam mit Vertretern der Stadt, sozialen Trägern und den Leitern der einzelnen Teams der Visionenwerkstatt an einem Tisch sitzen. Herauskommen soll ein Leitbild für den Schlaatz, ähnlich, wie es auch einst bei der Gartenstadt Drewitz gegeben hat. „Das Bild von der ,Gartenstadt’ war damals eine Provokation“, sagt Hagenau. „Aber eine starke Vision, die in ein realistisches Leitbild umgesetzt wurde.“ Das wünscht er sich auch für den Schlaatz.

Bewohnerstruktur am Schlaatz hat sich in den letzten 20 Jahren geändert

Ähnlich sieht das der Sozialbeigeordnete Mike Schubert (SPD). Nach 20 Jahren habe sich die Bewohnerstruktur geändert, darauf müsse man eingehen. Für ihn liege der Schlüssel eines solchen Quartiersmanagements in der sozialen Infrastruktur, der Wiederbelebung der Schlaatzer Mitte, des Bürgerhauses. „Es ist ein Anker, den man besser nutzen muss.“ Ab nächstem Jahr soll als Fortführung des Programms „Soziale Stadt“ eine integrierte Entwicklungsplanung der Stadt für den Schlaatz beginnen, die Visionenwerkstatt soll laut Schubert „den Weg vorzeichnen, wie man an Themen arbeitet“.

Für Hagenau ist wichtig, dass mit den Visionen die Einstellung zum Schlaatz geändert werden kann – auch in den Köpfen der Stadtverwaltung. „Vorurteile aufbrechen, wachrütteln, das möchte ich. Wir wissen, dass Musik im Schlaatz ist. Aber vielleicht glauben wir zu wenig daran“, sagt er. Und das solle sich nun ändern.

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Hintergrund: Der Arbeitskreis Stadtspuren

Den Arbeitskreis Stadtspuren gibt es seit dem Jahr 1997. Begonnen hat der Arbeitskreis mit sechs Mitgliedern, inzwischen sind es neun: Dazu gehören die Tochter der kommunalen Bauholding Pro Potsdam, Gewoba, die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“, die Potsdamer Wohnungsgenossenschaft (PWG) 1956, die Wohnungsbaugenossenschaft 1903, die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft (pbg), der Bauverein Babelsberg, die Gewoba Babelsberg, die Wohnungsbaugenossenschaft „Daheim“ und das Studentenwerk Potsdam.

Insgesamt gehören den neun Mitgliedern rund 34 000 Wohnungen in der Stadt – das sind über 40 Prozent aller Mietwohnungen in Potsdam, in denen laut Arbeitskreis 70 000 Menschen leben. 

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Kommentar: Bemühungen um Verbesserungen im Schlaatz sind ein guter Ansatz. Ob ein weiterer Arbeitskreis aber einen langfristigen Effekt haben wird, steht auf einem anderen Blatt, meint PNN-Redakteur Henri Kramer in seinem Kommentar.

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