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Pro Potsdam bleibt auf Kosten sitzen: Nutheschlange wird zum Millionengrab

Von Beginn an war der Wohnkomplex Nutheschlange ein Pflegefall. Seit fünf Jahren muss er saniert werden. Auf den Kosten wird die Pro Potsdam größtenteils sitzen bleiben.

Von Peer Straube

Potsdam - Das erste Grün sprießt in den Gärten, sanft schwingen die Zweige der Weiden über den Teichen, die verspielte Architektur der Häuser spiegelt sich im Seerosenteich – es ist ein beschauliches Bild.

Doch die Idylle trügt. Rost nagt an den Stahl-Glas-Fassaden, durchs Dach drang jahrelang Wasser ein, viele Wohnungen stehen noch immer leer, weil sie mit großem Aufwand instand gesetzt werden müssen. Die Nutheschlange im Zentrum-Ost ist für die kommunale Pro Potsdam zum Millionengrab geworden. Spekuliert wurde in den vergangenen Jahren viel, jetzt nennt Unternehmenschef Horst Müller-Zinsius erstmals eine Zahl: Für Reparaturen und Sanierungsarbeiten an dem Gebäudeensemble mit 223 Wohnungen werde die Pro Potsdam am Ende wohl „deutlich mehr als zehn Millionen Euro“ ausgegeben haben, sagte er auf PNN-Anfrage. Hinzu kommen Mietausfälle, die ebenfalls im siebenstelligen Bereich liegen: Auf rund 2,5 Millionen Euro schätzt Müller-Zinsius den Verlust für die Unternehmenskasse.

Die verschnörkelte Architektur überzeugte damals viele

Dabei hatte alles hochambitioniert angefangen. In den 90er-Jahren wurde der Entwurf des Berliner Stararchitekten Hinrich Baller nach den Jahrzehnten der DDR-Plattenbau-Tristesse für die Pro Potsdam als gestalterischer Neuanfang gefeiert. Das Konzept einer Siedlung, geplant auf einem schmalen Zipfel zwischen Nuthestraße und den Wohnhäusern des Humboldtrings, durchzogen von üppig grünenden Gärten, weitläufigen Terrassen und mit malerischem Seerosenteich, dazu Ballers typisch verschnörkelte Architektur – das alles überzeugte damals viele.

Doch von Anfang an steckte in dem Projekt der Wurm drin. 1997 wurde mit dem Bau begonnen, erst sieben Jahre später wurde das Ensemble vollständig fertiggestellt. Auf der Baustelle traten immer neue Probleme auf, bereits zu diesem Zeitpunkt lag der heutigen Pro-Potsdam-Tochter Gewoba ein Mängelgutachten vor. Von Feuchtigkeit durchdrungene Betondecken, verrostete Bewehrungen, undichte Fenster – die Liste war schon damals lang. Der Versuch der Gewoba, Baller die Bauleitung zu entziehen, scheiterte allerdings vor dem Potsdamer Landgericht. Am Ende waren die Baukosten um mehr als zehn Prozent überschritten worden, 35 Millionen Euro waren es bis dato insgesamt.

Wer hat Schuld?

Die Schuldfrage lässt sich nicht mehr eindeutig klären. Müller-Zinsius spricht heute von „kollektivem Versagen“. Auch wenn er es nicht offen ausspricht – gemeint ist nicht nur der Architekt. Auch in der Stadtverwaltung und bei der Gewoba selbst gab es wohl Versäumnisse. Hinzu kamen Fehler bei der Bauausführung. „Die meisten Beteiligten waren damals wohl schlichtweg überfordert“, sagt Müller-Zinsius.

Ein halbes Dutzend Prozesse hat die Pro Potsdam seitdem geführt – gegen Baller, gegen den Bauleiter, gegen am Bau beteiligte Unternehmen. Erstritten hat sie sich 1,5 Millionen Euro, die Hälfte davon habe Ballers Haftpflichtversicherung zahlen müssen, so Müller-Zinsius. Die Versicherung des Bauleiters habe 156 000 Euro ausschütten müssen, der Rest kam von kleineren Unternehmen, soweit sie denn noch existent waren. Zehn Baufirmen – ein Drittel aller damals am Bau der Nutheschlange beteiligten Unternehmen – seien inzwischen insolvent, sagt Petra Runge, die bei der Pro Potsdam den Bereich Modernisierung und Instandsetzung leitet. Die Gerichtsverfahren seien mittlerweile alle abgeschlossen, so Runge. Zum Verklagen gibt es niemanden mehr. Auf dem gewaltigen Rest der Mehrkosten wird die Pro Potsdam sitzen bleiben.

Die Liste der Schäden ist lang, sehr lang

Seit 2010 saniert das Unternehmen den Komplex durch. Noch immer bietet sich in vielen Wohnungen ein Bild des Jammers. Es riecht nach Schimmel, weil die Feuchtigkeit über Jahre hinweg den Beton zerfressen hat. Vielfach sind Betonböden aufgerissen, weil man aufwendig nach Schadensursachen suchen musste. So seien in einem Fall über fünf Kubikmeter Wasser aus einem nur Millimeter großen Leck in einer Kupferleitung ausgetreten, die direkt im Betonboden verläuft. Weil die Leitung ohne ein einziges Absperrventil durchgängig durch den gesamten Komplex verläuft, habe es ewig gedauert, bis das Leck gefunden war, erzählt Müller-Zinsius. Kältebrücken und undichtes Mauerwerk sorgen für enorme Betriebskosten. Ohnehin seien die Energiewerte der Nutheschlange schlechter als die eines unsanierten Plattenbaus.

Die Liste der Schäden ist so lang wie die dadurch verursachten Einnahmeausfälle hoch. Die Mietminderungen hätten in manchen Wohnungen 50 Prozent betragen, sagt Runge. Dabei sind die Mieten dort für Potsdamer Verhältnisse ohnehin nicht sehr hoch. Weil das Projekt seinerzeit üppig gefördert wurde, sind zwei Drittel der 223 Wohnungen in dem Komplex Sozialwohnungen. Die Nettokaltmieten in dem Ensemble liegen zwischen 4,20 Euro und 7,40 pro Quadratmeter.

Fast alle Mieter wollen bleiben

Rund 35 Wohnungen pro Jahr werden saniert, die Mieter werden während der Bauarbeiten innerhalb der Anlage umgesetzt. 69 Wohnungen stehen derzeit leer – die fast fertigen der letzten Jahresscheibe und die bereits freigezogenen, die dieses Jahr dran sind. 2016 sind laut Runge die letzten 35 Wohnungen dran. Noch in diesem Jahr sollen auch an den sogenannten Anglerhäusern, die auf Betonstelzen im Teich stehen, Sanierungsarbeiten stattfinden. Dort seien die Schäden aber nicht ganz so gravierend, sagt Frank Götze, Projektleiter bei der Pro Potsdam. Die Arbeiten beträfen zumeist die Fassade und könnten durchgeführt werden, ohne dass die Mieter ausziehen.

In zwei Jahren sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein. Müller-Zinsius hofft, dass keine weiteren Überraschungen auftauchen. Trotz der vielen Mängel sei die Fluktuation gering, sagt Runge. Vor allem Familien mit geringen Einkommen und viele ältere Menschen wohnen in der Nutheschlange. 90 Prozent der Mieter, so Runge, wollten auch hierbleiben.

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