Prinzip "Eisenhower": Wie Potsdams Krisenstab arbeitet und was er entscheidet
Ein 20-köpfiger Stab manövriert Brandenburgs Landeshauptstadt durch die Coronakrise. Das Meinungsbild der Potsdamer ist dabei ein wichtiges Feedback.
Potsdam - Hinter den Türen von Raum 3025 im Potsdamer Rathaus sitzt derzeit täglich, auch am Wochenende, die wichtigste Arbeitsgruppe der Stadt. Der kommunale Corona-Krisenstab trifft sich hier jeden Morgen um 10 Uhr, sondiert und bewertet die aktuelle Lage, identifiziert neue Probleme und Fragen und filtert daraus notwendige Aufgaben. Zwei bis drei Stunden akutes Krisenmanagement; 20 Frauen und Männer, u-förmige Sitzordnung, die jedem Teilnehmer den Blick auf eine Front mit Flipcharts ermöglicht, extra verlegte Telefonleitungen, Kopiergeräte und ein schmales Getränkebuffet mit Wasser, Tee und Kaffee.
"Der unsichtbare Feind, das Virus, ist da"
Durch die drei Fenster des Sitzungsraums schimmert das Tageslicht vom Hinterhof. Auf der anderen Seite, in der Friedrich-Ebert-Straße, sitzen die Menschen in der Mittagssonne vor den Cafés bei Latte Macchiato und Espresso. Das schöne Wetter macht Ralf Krawinkel zu schaffen. Der Chef der Potsdamer Feuerwehr bildet mit der Gesundheitsbeigeordneten Brigitte Meier (SPD) das Führungsduo des Krisenstabes. Mit Sorge beobachtet er, wie die lauen Temperaturen die Menschen nach draußen locken. „Das mag sich schön und verlockend anfühlen, aber der unsichtbare Feind, das Virus, ist da“, sagt Krawinkel und diktiert seinen Appell, dass die Menschen soziale Kontakte doch vermeiden sollten.
Der Mittwoch, der erste Tag, an dem die Schulen und Kitas tatsächlich geschlossen, an dem viele Geschäfte nicht offen waren, an dem Restaurants frühzeitig schließen mussten, wird am Donnerstag von Potsdams Krisenmanagern intensiv ausgewertet: Greifen die Maßnahmen, erfüllen sie ihren Zweck, werden sie überhaupt angenommen und umgesetzt, müssen sie stärker kontrolliert werden? Die Sitzung beginnt mit dem Lagevortrag zur aktuellen medizinischen Situation, es folgt das Monitoring der städtischen Behörden.
Potsdam und Berlin müssen "im Gleichklang unterwegs sein"
Eine wichtige Rolle dabei spielt auch die öffentliche Meinung: Kommentare in sozialen Netzwerken sowie Fragen aus der Bevölkerung werden ausgewertet und diskutiert. Das Meinungsbild der Potsdamer sei ein wichtiges Feedback, ob Anordnungen und Hinweise akzeptiert und verstanden werden, sagt Krawinkel.
Krankenhäuser, Polizei, Feuerwehr, Rathaus, kommunale Betriebe – alle Einrichtungen, die beteiligt sind, die Krise für Potsdam zu managen, sind im Raum 3025 vertreten. Aus der medizinischen Lage, den aktuellen Entwicklungen, die die Corona-Pandemie nimmt mit all ihren Auswirkungen, erstellt der Krisenstab die nächsten Aufgaben. Nach der so genannten „Eisenhower“-Methode werden Ideen, Vorschläge, Notwendigkeiten, Aufgaben diskutiert. Das Prinzip ist so simpel wie logisch: Das Wichtigste hat Priorität, Unwichtiges wird aussortiert. Eine der Festlegungen am Mittwoch: „Ausgangssperren sind zunächst nicht geplant“, so Krawinkel. Ob das allerdings am Donnerstag noch Bestand hat, lasse sich bei der Dynamik der Entwicklungen nicht sagen.
Eines der vorrangigen Ziele ist es, „in der Fläche die gleichen Regelungen zu treffen“, sagt Krawinkel. Daher ist der Potsdamer Krisenstab in enger Abstimmung mit den Berliner Kollegen. „Für uns ist natürlich von Interesse, was derzeit in Berlin passiert und dass kein ‚Partytourismus‘ von Berlin nach Potsdam entsteht“, so der Vize-Stabschef. Daher beobachte der Stab ganz genau, was es für Folgen für die Potsdamer Gastronomie hat, wenn in Berlin die Restaurants, Bars und Cafés geschlossen werden. „Wichtig ist, dass wir im Gleichklang unterwegs sind“, betont Krawinkel.
Die Runde ist ein Stück weit auch Zukunftswerkstatt
Wie der zu erwartende Anstieg an Personen, die sich testen lassen werden, zu bewältigen ist, und wie der Plan umgesetzt wird, die Kapazitäten für Intensivbehandlungen zu verdoppeln, bestimmte die gut drei Stunden der Krisensitzung am Mittwoch. Am Donnerstag soll sie in einem größeren Raum stattfinden, damit die Mindestabstände zwischen Personen besser eingehalten werden können.
Ein Stück weit ist die Runde auch Zukunftswerkstatt. „Wir versuchen auch vorauszuschauen, was in vier, sechs oder acht Wochen zu erwarten sein wird und bereiten uns gedanklich darauf vor“, sagt Krawinkel. Dass es eine Flut von Anträgen auf finanzielle Unterstützung geben wird, sei dem Krisenstab längst klar. „Wir bereiten uns jetzt schon darauf vor, dass die Stadt frühzeitig Hilfestellung leisten kann“, so Krawinkel.
+++ Die wichtigsten Mitglieder des Krisenstabs +++
Sie sind Chefärzte in Krankenhäusern, führen die städtische Feuerwehr oder leiten Dezernate im Potsdamer Rathaus. Und seit einer Woche sind sie die Top-Krisenmanager der Landeshauptstadt und deklinieren nahezu alle Lebensbereiche an der Havelmetropole von A bis Z durch, um Potsdam so schadlos wie möglich durch die Corona-Pandemie zu bringen.
An der Spitze des Krisenstabes steht Brigitte Meier (SPD), Potsdams Beigeordnete für Ordnung, Sicherheit, Soziales und Gesundheit. Allein ihr Ressort macht sie zur wichtigsten Netzwerkerin der Stadt in diesen Tagen – die Coronakrise hat Auswirkungen auf all ihre Zuständigkeitsbereiche.
Ihr Stellvertreter im Krisenstab ist Ralf Krawinkel, Chef der Potsdamer Berufsfeuerwehr, der sich derzeit als Experte erweist wenn es darum geht, Handlungsszenarien zu erstellen und Prioritäten zu setzen. Diese Fähigkeiten bringt er aus langjähriger Berufserfahrung mit. 22 Jahre war er zuvor bei der Feuerwehr in Kassel, zuletzt verantwortete er seit 2016 als Brandrat auch gesamte Einsätze.
Mit im Cockpit: die beiden Chefärzte Gesine Dörr vom St.-Josefs-Krankenhaus Potsdam und Thomas Weinke von der Infektiologie des Klinikums „Ernst von Bergmann“. Die beiden Mediziner sind die Experten, die tagtäglich die Lage in den beiden Potsdamer Krankenhäusern sowohl für die Patienten als auch für Ärzte, Schwestern und Pfleger einschätzen.
Für das städtische Gesundheitsamt sitzt deren Leiterin Kristina Böhm, somit die Amtsärztin, in der Runde. Sie leistet täglich Rapport über die Zahl der Corona-Infizierten in Potsdam und hat mit ihrem Amt die Aufgabe, Maßnahmen zu prüfen, anzuordnen und durchzusetzen. Rundschreiben und Anweisungen von den übergeordneten Landesbehörden landen auf den Schreibtischen des Potsdamer Gesundheitsamtes, Anrufe von Potsdamer Bürgern fordern die Mitarbeiter des Amtes in diesen Tagen immens. Fast alle Kräfte im Amt sind mit der Coronakrise befasst.
Noosha Aubel (parteilos) ist Potsdams Beigeordnete für Bildung, Kultur, Jugend und Sport. Die Schul- und Kitaschließungen waren und sind zentrale Themen der Coronakrise. Aubels Dezernat musste diese vorbereiten und besonders die Notbetreuung in kürzester Zeit auf den Weg bringen. Die Schließungen haben weitreichende Folgen, mit denen sich der Krisenstab über die kommenden Wochen bis zu den Osterferien beschäftigen muss. Der Praxistest – die Notbetreuung – ist gerade erst angelaufen, Fragen zu und Probleme mit dem mehrwöchigen Aussetzen des Schul- und Kitabetriebs werden dauerhaftes Thema in täglichen Runden des Stabes sein. Auch die Auswirkungen auf das Kultur- und Sportleben in der Stadt werden nachhaltig sein – so dass die Beigeordnete Aubel auch eine Rolle als Vermittlerin für die Kulturträger und Sportvereine hat.