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Nicht alle Patienten, die sich an die Notaufnahme wenden, sind auch wirklich in einer akuten Notfalllage. 

© Andreas Klaer

Potsdams Kliniken am Limit: "Bagatellfälle verstopfen die Notaufnahme"

Notrufe ohne Not: Ein Drittel der Anrufe bei der 112 in Potsdam sind Fehleinsätze. Auch die Notaufnahmen klagen über Bagatellfälle. In der vierten Corona-Welle belastet das die Krankenhäuser zusätzlich. 

Potsdam - In Potsdams Notaufnahmen treffen derzeit zwei Problemlagen aufeinander: Die vierte Corona-Welle, die immer mehr schwerkranke Patienten in die Krankenhäuser bringt. Und zugleich eine wachsende Anzahl an Bürgern, die mit gesundheitlichen Problemen in die Notaufnahme kommen oder den Rettungswagen rufen, die auch ein Hausarzt hätte behandeln können. "Unsere Notaufnahme kommt aktuell auf rund 3000 Behandlungen pro Monat, etwa wie vor der Pandemie", sagte Hans-Ulrich Schmidt, Chef des kommunalen Bergmann-Klinikums am Mittwoch vor der Presse. "Darunter ist eine erschreckende Anzahl an Bagatellfällen." Etwa 20 bis 30 Patienten kämen pro Tag in die Notaufnahme, ohne dass ein akuter Notfall vorliegt. 

Antje Pfaffe, Chefärztin der Notaufnahme im St. Josef Krankenhaus, berichtet aus der Praxis: "Am Montag hatte ich Notarztdienst. In meiner gesamten Schicht gab es nicht einen einzigen Fall, der notärztlich hätte betreut werden müssen." Die Notaufnahme sei schon vor der Pandemie an der Belastungsgrenze gewesen. In diesem Jahr sei die Zahl der Patienten dort noch einmal 20 Prozent höher als im Vorjahr. "Bagatellfälle verstopfen die Notaufnahme", so Pfaffe. 

Rückenschmerzen oder Übelkeit

Das Problem ist nicht neu. Seit Jahren klagen Notaufnahmen bundesweit über eine Zunahme von Patienten, die wegen Rückenschmerzen, Insektenstichen oder Übelkeit kommen. Auch in Potsdam kennt man die Situation. Doch nun trifft sie auf eine sich täglich verschärfende Lage auf den Covid-Stationen. 41 infizierte Patienten werden derzeit in Potsdams Kliniken behandelt - vor einer Woche waren es noch 32. "Wir brauchen die Kapazitäten für die Schwerkranken", so Schmidt.

Etwa ein Drittel der Notrufeinsätze sind Fehleinsätze. 
Etwa ein Drittel der Notrufeinsätze sind Fehleinsätze. 

© Andreas Klaer

Auch bei den Notrufen unter der Nummer 112 ist das Phänomen zu beobachten. Hier hat sich die Lage in den vergangenen Monaten zugespitzt. "Die Einsatzzahlen haben sich vor Corona moderat entwickelt. Aber ab dem Sommer haben wir einen erheblichen Anstieg der Rettungsfälle beobachtet", sagt Rainer Schulz, der bei der Potsdamer Feuerwehr den Bereich Gefahrenabwehr leitet. Statt 80 gebe es nun 90 Einsätze pro Tag, jeder dauert etwa eine Stunde. "Weit über 30 Prozent davon sind Fehleinsätze", so Schulz. 

Hoffnung auf schnelle Behandlung

Woran liegt das? Viele Bürger, so berichten die Akteure übereinstimmend, verstünden den Notruf als Mittel, um möglichst schnell ins Krankenhaus zu kommen. Gedacht ist der Notruf für akut lebensbedrohliche Erkrankungen, Vergiftungen oder Unfälle. Die Notaufnahme sähen manche als Methode, um rasch behandelt zu werden. "Manche Patienten gehen sogar ganz offen damit um, dass sie in die Notaufnahme kommen, weil sie eine schnelle Behandlung oder umfangreiche Diagnostik möchten", sagt der Leiter der Bergmann-Notaufnahme. 

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Bei erkrankten Kindern gesellen sich dazu die Sorgen der Eltern. "Die Pandemie hat das noch verstärkt. Auch bei relativ harmlosen Symptomen haben viele Eltern erhebliche Ängste um die Gesundheit ihrer Kinder", hat Thomas Erler, Leiter der Kindernotaufnahme am Bergmann-Klinikum beobachtet. Zwar belaste derzeit eine massive RS-Viruswelle seinen Bereich. Gemeint ist das Respiratorische Synzytial-Virus, eine Atemwegserkrankung, die gerade bei Babys und Kleinkinder schwer verlaufen kann. Doch auch die Kindernotaufnahme zähle 40 Prozent Bagatellfälle. 

116117 soll Orientierung bieten

Um Abhilfe zu schaffen, appellieren die Akteure an die Bevölkerung, Notruf und Notaufnahme nur bei akuten Notfällen zu nutzen. Bei Unsicherheit kann auch die zentrale Rufnummer 116117 Orientierung bieten und beraten. Zwar ist auch diese Hotline teils überlastet und verzeichnet einen "erhöhten Beratungsbedarf", wie Andreas Schwark aus dem Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) es nannte. Um ein Drittel sei die Zahl der Anrufe gestiegen, allein am Samstag habe 1300-mal das Telefon geklingelt. "Nichtsdestotrotz sehen wir darin einen Weg, die Patienten strukturiert und qualifiziert zu lenken", so Schwark.

Doch, so drückte es Bergmann-Kinderarzt Erler aus, "allein durch Überzeugungsarbeit werden wir das Problem nicht lösen". Am St. Josefs Krankenhaus hat sich eine Kombination aus Notaufnahme und Bereitschaftspraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBB) bewährt. Hier versorgen Mediziner in den Abend- oder Wochenendstunden Patienten mit akuten, aber nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen. Das entlaste die Notaufnahme entscheidend, so Schwark. Nun arbeite die KVBB daran, dieses Modell auch auf das Bergmann-Klinikum zu übertragen. "Wir planen eine Kooperation." Im 2. Quartal 2022, so der derzeitige Zeitplan, könne eine zweite Potsdamer Bereitschaftspraxis öffnen. 

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