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Ein letztes Mal shoppen vor dem Lockdown. Ab Mittwoch sind viele Geschäfte dicht.

© Ottmar Winter PNN

Potsdams Handel vor dem Lockdown: „Katastrophe hoch 20“

Der Lockdown kommt für die Einzelhändler in der brandenburgischen Landeshauptstadt nicht unerwartet. Aber viele fürchten ihn.

Von Carsten Holm

Potsdam - Der Einzelhändler Guido Baar, Inhaber der vier Filialen von „Schuh-Baar“, ist deutlich: „Im Frühjahr habe ich für mehr als 100 000 Euro Schuhe für den Winter geordert und im September und Oktober bezahlen müssen. Im Lockdown stapeln wir die Waren in den Regalen und verkaufen sie im neuen Jahr mit Rabatten und großem Verlust.“ Baar hält einen Moment inne, bevor er zugibt: „Ich habe zwischendurch wegen der großen Unsicherheit schon die Lust verloren.“ Immerhin: Ein Drittel der Kunden hätten gesagt: „Wir brauchen jetzt eigentlich keine neuen Schuhe, aber wir wollen ihnen helfen.“

Bei vielen Einzelhändlern in Potsdam ist die Stimmung gedrückt, obwohl der harte Lockdown sie nicht einmal überrascht hat. Er verstehe, warum der geboten sei, sagt Patrick Weiss vom Zeichen- und Künstlerbedarf Weiss in der Rudolf-Breitscheid-Straße, „aber ich hoffe, dass wir das überstehen“. Bärbel Schälicke, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Innenstadt der Kaufleute, leidet mit den Händlern: „Furchtbar ist das! In der umsatzstärksten Zeit des Jahres!“. Sie befürchte, „dass es nicht alle bis ins Frühjahr schaffen“. Als eine „Katastrophe hoch 20“ erlebt der Designer Marco Marcu die Corona- Zeit. In der Mittelstraße stellt er seine eigene Kollektion her, doch die Aufträge zum Beispiel für aufwendige Brautkleider brach völlig ein: „Ich hoffe, dass dies der letzte Lockdown ist. Dann kann ich durchkommen.“

Unklarheit bei Händlern, wer noch öffnen darf

In den Bahnhofspassagen müssen am Mittwoch mehr als 20 der 70 Geschäfte schließen. Es gebe „einzelne Geschäfte, die in Schwierigkeiten kommen könnten“, sagt Centermanager Carsten Paul, „mit denen werden wir wegen der Miete nach Lösungen suchen.“ Baumärkte sollen anders als im Frühjahr geschlossen bleiben. Doch die Lage ist unklar. „Wir wissen nicht, ob wir Futtermittel verkaufen dürfen“, sagt Mario Alkoal, Marktleiter bei Hellweg an der Fritz-Zubeil-Straße, „und dürfen wir die 1000 Weihnachtsbäume verkaufen, die drinnen im Markt stehen, verkaufen?“. Er bewertet das „als Zumutung“.

Handelsverbände fordern Ausnahmen für die Abholung von online bestellten und gekauften Waren. 
Handelsverbände fordern Ausnahmen für die Abholung von online bestellten und gekauften Waren. 

© dpa

Einer der wenigen, die gelassen in die schwere Zeit gehen, ist Ralf Köhler, Inhaber des Haushaltswaren-Spezialisten Köhler in Babelsberg. Er hatte ein ausgezeichnetes Vorweihnachtsgeschäft, bei den hochwertigen Messern etwa mit Preisen zwischen 50 und 350 Euro, „ist fast alles leer“. Sein Blick in die Zukunft allerdings ist skeptisch: „Ich glaube nicht, dass wir im Januar wieder öffnen können.“

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Bei den Friseuren herrschte am Montag starker Andrang. Um 9 Uhr öffnete das Babelsberger „Cut Art“, schon eine Viertelstunde vorher, erzählt Geschäftsführerin Ines Forchner, „standen die Kunden vor der Tür“. Die Stimmung im Salon sei „bestens gewesen“, sagt Linda Möller vom „Schnittpunkt“ in der Kurfürstenstraße, „alle waren froh, einen Termin bekommen zu haben, wir hatten ratzfatz zu tun.“

Etliche Einzelhändler wie Andreas Horn, Inhaber von „Musik Oehme“ in der Jägerstraße, sind froh, nicht schließen zu müssen. Er betreibt nicht nur den Verkauf von Musikinstrumenten, sondern auch eine Buch-und Musikalienhandlung sowie eine Fachwerkstatt: „Wir gehören zum Handwerk.“ André Zibolsky vom Spirituosenhandel „In vino” an der Dortustraße, sagt: „Ich gehe davon aus, dass wir mit unseren Weinen und Olivenölen nicht in den Lockdown müssen. Es wäre ja kurios, wenn Supermärkte mit zum Teil gleichem Angebot geöffnet bleiben und wir nicht.“

Handelsverbände fordern Ausnahmen für Abholungen

Handelsverbände forderten am Montag, Einzelhändlern eine Abholerlaubnis etwa für Weihnachtsgeschenke zu erteilen. Einzelne Potsdamer Unternehmer haben bereits die Initiative ergriffen. Die Babelsberger „Parfümerie M“ wird während des Lockdowns besetzt sein, damit, so Mitinhaber Matthias Müller, „unsere Kunden ihr Parfüm telefonisch bestellen und an der Tür abholen können“. Weil Antje Gühne-Poprawa, Geschäftsführerin der „Texstile“ in der Jägerstraße, weiß, dass Nähmaschinen „ein typisches Weihnachtsgeschenk“ sind, können ihre Kunden die Geräte auch im Lockdown telefonisch bestellen und im Geschäft abholen, das gleiche gilt für ihre Auswahl an Stoffen.

Carsten Wist, Inhaber des Literaturladens an der Dortustraße, bewertete die am Montagabend verkündete Entscheidung der Landesregierung, den Buchhandel nicht zu schließen, als „wegweisende Entscheidung im Land der Dichter und Denker“. Bücher spielten „gerade in Krisenzeiten eine große Rolle“. Kunden, die nicht zu ihm kommen könnten, werde er, wie schon während des Frühjahrs-Lockdowns, die bestellten Bücher ins Haus bringen. Damals war Wist bis zu 120 Kilometer am Tag mit Büchern zu Kunden geradelt. Carsten Holm

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