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Potsdams Antlitz: Die FH ist weg – die Debatte bleibt

Die FH-Doku "Schrott oder Chance" ist am Dienstag im Filmmuseum zu sehen. Der Film ist ein Porträt einer aktiven, lebendigen Stadtgesellschaft - und wird viele Fragen neu aufwerfen.

Potsdam - Die ehemalige Fachhochschule Potsdam (FH) steht nicht mehr, doch am Dienstagabend wird sie wiederauferstehen – zumindest auf der Leinwand, denn um 19 Uhr findet im Filmmuseum Potsdam die Premiere von „Schrott oder Chance – Ein Bauwerk spaltet Potsdam“ statt. Die Dokumentation der 414Films GbR aus Potsdam begleitete den Prozess um den Abriss der FH und hat damit nicht nur dem verschwundenen Gebäude, sondern auch der Debattenkultur in Potsdam ein filmisches Denkmal gesetzt.

„Ich freue mich, wenn der Abriss beginnt“, sagt Ulrich Zimmermann von der Initiative Mitteschön in die Kamera. „Die FH steht konträr zur beschlossenen Wiedergewinnung der historischen Mitte.“ Aber das Gebäude sei ein Unikat, das es so nur einmal gebe, kontert der Kunsthistoriker Christian Klusemann, Autor des Buches „Das andere Potsdam“: „Ich wünsche mir, dass man sich diesem Teil der Geschichte stellt.“ Befürworter wie Gegner des Abrisses kommen zu Wort, wobei die Meinungen oft deutlich auseinander liegen.

"Man wollte die Stadt von morgen bauen"

Größter Verdienst des Films ist die historische Einordnung des Bauwerks, das mit vielen Fotos und Archivaufnahmen wieder zum Leben erweckt wird: Nach der Nacht von Potsdam, bei der ein Großteil des Alten Marktes zerstört worden war, war 15 Jahre unklar, wie es weitergehen sollte. Schließlich entschied sich die sozialistische Führung, die Stadtschloss-Ruine abzureißen, stattdessen sollte ein politisch-kulturelles Forum mit vielen gesellschaftlichen Einrichtungen entstehen. „So wird es 1965 hier aussehen!“, verkündet euphorisch ein Plakat, auf dem die „neue Mitte“ inklusive des Instituts für Lehrerbildung präsentiert wird, das nach der Wende von der FH genutzt wurde. „’Potsdam schöner denn je’ hieß es“, erinnert sich Architekt Wolfgang Kärgel, der die Sternfassade des Gebäudes entworfen hatte. „Man wollte die Stadt von morgen bauen.“

Sowohl Kärgel als auch sein Kollege Sepp Weber, der maßgeblich für die Architektur des Instituts für Lehrerbildung verantwortlich war, hatten durchaus Bauchschmerzen, das moderne Bauwerk in die historische Mitte zu setzen. Dennoch: „Aus unserer Sicht war es kein Fremdkörper“, so Kärgel. Zudem versuchte man, mit dem Pastell-Anstrich einen Anschluss zum typischen „Potsdam-Gelb“ der barocken Bürgerhäuser zu schaffen.

Während die neue Stadt gebaut wurde, wurde die alte vernachlässigt: Zahllose Häuser der Innenstadt verfielen oder wurden abgerissen, das barocke Erbe von der DDR verschmäht. „Ohne die Wende wäre die Innenstadt vor die Hunde gegangen“, ist sich Kärgel sicher. Genau das, was damals geschah, passiert nun erneut mit der historischen DDR-Architektur, sagt Kunsthistoriker André Tomczak von der Initiative „Stadtmitte für Alle“: „Hier wiederholen sich genau die Fehler, die in den Sechziger Jahren gemacht wurden.“

Porträt einer aktiven, lebendigen Stadtgesellschaft

Der Film ist auch sehenswert als Porträt einer aktiven, lebendigen Stadtgesellschaft: Während die Abriss-Gegner viele bunte Aktionen vom öffentlichen Wohnzimmer bis hin zum 24-Stunden Staffellauf auf dem Alten Markt veranstalteten, feierten die Abriss-Befürworter am selben Ort eine Dinner-Demo. Auch die Besetzung, während der die Beteiligten die Fassade neu strichen oder „Das ist unser Schloss!“ aus dem Fenster sangen, wurde filmisch festgehalten, inklusive Räumung und Rangeleien mit der Polizei.

Es half alles nichts: Weder folgende Aktionen noch das Kaufangebot von Stadtmitte für Alle, konnten den Abriss verhindern. Dennoch ziehen die Beteiligten ein durchaus positives Fazit: „Ich danke den Aktivisten für die Debatte“, sagt Bert Nicke, Geschäftsführer des Sanierungsträgers Potsdam. „Es gab ein gute Kultur der Auseinandersetzung.“ Auch Tomczak verbucht es als Erfolg, dass durch die Proteste eine Konzeptvergabe mit Sozialwohnungen für die Neubebauung des Areals stattgefunden habe: „Und wir haben an Erfahrung gewonnen.“

Die offenen Frage bleiben

Versöhnlich ist der Film dennoch nicht, dafür wirft er zu viele Fragen auf, die weit über den Abriss des FH-Gebäudes hinausgehen: Wie wird mit dem DDR-Erbe umgegangen? Wer bestimmt, wie die Stadt gestaltet wird? Wie werden Bürger bei Bauvorhaben eingebunden? „Ich sehe unseren Film nicht nur als Dokumentation der Debatte, sondern als Debatten-Beitrag“, sagt Kristina Tschesch von 414Films, das sein Büro im Rechenzentrum Potsdam hat. Schaut man von dort aus dem Fenster, sieht man, wie gerade ein Teil davon abgerissen wird – der Rest soll 2023 folgen. „Die Debatte ist nicht vorbei, denn es gibt die Ostmoderne ja noch“, findet auch Filmemacher-Kollege Elias Franke, während nebenan die Bagger rumoren. „Das Rechenzentrum steht unter fast den gleichen Vorzeichen wie die FH.“

„Schrott oder Chance“ hat das Potential, der Diskussion um die Gestaltung des Stadtbildes erneut zu befeuern, auch heute Abend, denn so gut wie alle Interviewpartner aus der Doku werden anwesend sein. Nach dem Film gibt es eine Podiumsdiskussion, bei der zum einen das Filmteam Hintergründe ihres Projektes beleuchten wird und zum anderen Saskia Hüneke (Grüne) und der Filmproduzent Peter Effenberg als Pro- und Contra-Vertreter des Abrisses diskutieren werden.

Der 144 Plätze fassende Kinosaal ist ausverkauft, Rest-Tickets können mit etwas Glück noch an der Abendkasse ergattert werden.

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