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Bäckermeister Rolf-Michael Schmidtke hat den Betrieb vor zwei Jahren an den Sohn weitergegeben. 

© Andreas Klaer

Potsdamer Traditionsbäckerei: „Aus Nüscht wat jemacht“

Der Babelsberger Rolf-Michael Schmidtke ist seit 50 Jahren Bäckermeister. Auch mit 73 Jahren lässt ihn der Familienbetrieb nicht los.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es war wohl im Jahr 1956, als sich der acht Jahre alte Babelsberger Bäckersohn Rolf-Michael Schmidtke auf den Weg in seine Schule machte. Er hatte schon zwei Stunden in der Backstube seines Vaters an der Benzstraße gestanden und dann seine Belohnung in die Schultasche gepackt: eine Tüte Streuselschnecken für die Mitschüler. „Ich war damals in meiner Klasse sehr angesehen“, erzählte Schmidtke den PNN.

Aus dem Knirps wurde ein großer Bäcker, der seinen Meister machte, den Familienbetrieb übernahm, sogar zum Obermeister der Innung avancierte und die Bäckerei vor zwei Jahren an seinen Sohn Christian übergab. Am heutigen Montag ist es 50 Jahre her, dass Schmidtke die Meisterprüfung bestand; er war, gerade 24 Jahre alt, einer der jüngsten Meister seiner Zunft.

Heute will er mit seiner Frau Silvia auf den Malediven anstoßen. Am Sonntag sind sie zu den blauen Lagunen und, wichtig für die Hobbytaucher, zu den ausgedehnten Riffen im Indischen Ozean geflogen.

Er kriegt es nicht gebacken, Alt-Bäcker zu sein

Schmidtke ist 73 Jahre alt. Wer mit ihm über sein facettenreifes Leben sprechen will, kann ihn im Büro des Hauses an der Benzstraße 21 treffen, in dem er geboren wurde, aufwuchs und zeitlebens arbeitete. Man sieht, dass sich offenbar auch Büros einer Modernisierung widersetzen können, auch wenn hinten in einer Ecke der ziemlich große Monitor eines Computers ins Auge fällt.

Vor allem ist zu spüren, dass da ein Mensch mit sich im Einklang steht – auch wenn er noch immer ungeduldig, mürrisch und knurrig sein kann, falls in der Bäckerei etwas nicht perfekt läuft. „Ich war sehr zufrieden, als ich meinem Sohn den Betrieb 2020 überschrieb“, sagt Schmidtke, „ich dachte zunächst, dass ich gar nichts mehr tun musste.“

Weit gefehlt. Die Schmidtkes wohnen noch immer über der Bäckerei, und der Alt-Bäcker kriegt es nicht gebacken, wirklich einer zu werden: „Ich kann nicht schlafen, wenn ich nicht höre, dass unten die Maschine tatsächlich eingeschaltet wird oder der Lieferwagen nicht pünktlich vom Hof fährt.“ Wohlgemerkt: mitten in der Nacht.

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Brötchen und Brot möchten frisch verkauft werden, und so beginnt der Arbeitstag seines Sohns Christian um 1 Uhr in der Frühe. „Aber er kann um 11 Uhr Schluss machen und sich um seine beiden Kinder kümmern. Das war bei uns früher nicht möglich.“

Warum es im Betrieb auch mal ruckelt, verschweigt Vater Schmidtke nicht: „Manchmal gebe ich den Mitarbeitern noch immer strenge Anweisungen. Dann beschweren sie sich beim Junior darüber, dass der Alte schon wieder gemeckert hat. So war es bei meinem Vater damals auch“, erinnert er sich lächelnd. Auch Christian Schmidtke, 42 Jahre alt, lächelt, wenn er sagt: „Mein Vater und ich kommen miteinander klar. Und ich verstehe, dass man sein Lebenswerk nicht so einfach loslassen kann.“

Christian Schmidtke setzt fort, was der Vater ihm überlassen hat. 
Christian Schmidtke setzt fort, was der Vater ihm überlassen hat. 

© Andreas Klaer

Rolf-Michael Schmidtke, zum zweiten Mal verheiratet, Vater von zwei Söhnen aus erster und einer Tochter aus der zweiten Ehe, hat sich mit den Seltsamkeiten des DDR-Bildungssystems arrangieren können. „Wer ins Handwerk wollte“, erzählt er, „musste nach der 8. Klasse abgehen.“ Also tat er das. „Wer Meister werden wollte, musste in der Abendschule den Abschluss der 10. Klasse nachholen.“ Also tat er nach der Lehre auch das.

Haferflocken statt Mandeln

Das Arrangement mit dem Staat fiel dem Bäcker nicht schwer. „Wir hatten einen Mangel an Rohstoffen und nur drei Sorten Brot“, erzählt Schmidtke. Aber man wusste sich zu helfen: „Wir haben Bienenstich gebacken, der nie eine Mandel gesehen hat, wir haben ihn mit Haferflocken oder Kokosraspeln gemacht. Wir haben Stollen fabriziert, da war kein Zitronat drin, aber grüne Tomaten. Die haben Ernährungswissenschaftler in Rehbrücke als Ersatzstoff erfunden. Für Marzipan haben wir Erbsen verwendet, mit ein bisschen Bittermandelaroma und Staubzucker. Das hat so ähnlich wie Marzipan geschmeckt.“ Im Rückblick lächelt Schmidtke beinahe listig: „Wir ham aus Nüscht wat jemacht“.

Er selbst hat nie überlegt, „rüberzumachen“. Den Selbständigen sei es „gut gegangen“, ihm habe „nur das Reisen in alle Welt gefehlt“.

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Als er Mitte der 1970-er Jahre den Betrieb seines Vaters übernehmen wollte, wurde es schwieriger. Zunehmend störte sich die SED an den Privatbetrieben, die Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) sollte an ihre Stelle treten. Das kam für Schmidtke nicht in Frage. Man bot ihm eine Lösung an: Eintritt in eine Partei, wenigstens in eine der sogenannten Blockparteien, die sich dem Führungsanspruch der SED unterordneten. Der Bäcker entschied sich damals für die Liberaldemokratische Partei LDPD – und durfte die Bäckerei seines Vaters übernehmen.

Wende als "großer Glücksfall"

Die Wende empfand Schmidtke als „großen Glücksfall“. Nicht nur für ihn, der mit seiner Familie nun aufbrechen konnte in die weite Welt und inzwischen außer Australien fast alle attraktiven Reiseziele gesehen hat. Auch für sein Handwerk. In die Backstuben der Ossis zogen neue Knettechniken und neue Mehle ein, und die Begeisterung, nun plötzlich drei verschiedene Sorten Mandeln geliefert zu bekommen, kannte kaum Grenzen: „Wir haben auf jeden Kuchen ein paar Mandeln raufgetan, das war für uns eine Revolution.“

Kunden, die in Wannsee die großen West-Brötchen gekauft hatten, zeigten sie ihm: „Guck’ ma, was die für Brötchen haben.“ Ein paar Tage später empörten sie sich, „dass da ja nur Luft drin ist“ – und deckten sich fortan wieder in Babelsberg mit Brötchen ein.

Die Bäckerei an der Benzstraße.
Die Bäckerei an der Benzstraße.

© Andreas Klaer

Als Obermeister reiste er quer durch die Republik. Er lernte, dass man das Sortiment auch erweitern muss. In seiner Bäckerei war es „die Sacher-Schiene“. Er war als Obermeister mit dem Landesverband nach Wien gereist, hatte die Produktionsstrecke im berühmten Hotel Sacher gesehen und entschied: „Das können wir in Babelsberg auch selbst machen.“ Nun gibt es an der Benzstraße Sachertorte oder Sacherschnitte, die Schnitte für 2,40 Euro.

Schmidtke ist immer ein begeisterter Babelsberger geblieben. „Es ist nach der Wende hier wunderschön geworden, es gibt ja kaum noch ein altes, verfallenes Haus.“ Was ihm zu schaffen macht: „Große Gesellschaften haben viele Grundstücke aufgekauft. Das schraubt die Mieten sehr in die Höhe, auch viele kleinere Gaststätten können sich kaum noch halten.“

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