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Anrufe im Zehn-Minuten-Takt. Reisebüro-Kunden sind unsicher wegen der immer neuen Corona-Regelungen.

© Andreas Klaer

Potsdamer Touristiker erneut in Nöten: Verzweiflung in den Reisebüros

Nach dem ersten Corona-Schock im vorigen Jahr gibt es nun wieder zahlreiche Stornierungen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Zum zweiten Mal trifft es die Tourismusbranche hart: Kaum war die Verschärfung der Hygienevorschriften für Reiserückkehrer bekannt geworden, brachen die Buchungszahlen in den Potsdamer Reisebüros ein, während Stornierungen in die Höhe schnellten. Für die örtlichen Tourismus-Experten, in deren Büros sich Verzweiflung ausbreitet, sind die Verluste dramatisch. Können sie das überleben? „Das kann ich jetzt wirklich noch nicht sagen“, sagt Knut Sievers, Inhaber des renommierten Unternehmens finca.hotels im Bornstedter Feld. Sievers und seine Frau Annette, die finca.hotels aufgebaut haben, machten sich in der David-Gilly-Straße mit einem speziellen Reisebüro einen Namen. Sie vermitteln auf Mallorca mediterrane Hideaways, auf Deutsch: versteckte Sehnsuchtsorte am Mittelmeer. 

Nach Regel-Verschärfung für Spanien 100 Stornierungen

Vor Corona hatten sie über 350 Häuser in Toplagen im Portfolio, inzwischen sind es rund 50 weniger. Als die seit Dienstag geltenden Quarantäne-Vorschriften für deutsche Spanien-Rückkehrer bekannt wurden, ging es Schlag auf Schlag: Rund 100 Kunden aus Potsdam und Umgebung, sagt Sievers, stornierten innerhalb von drei Tagen feste Buchungen.

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„Es ist doch eine große Ungerechtigkeit, dass unsere ganze Arbeit nun umsonst war“, sagt der Touristikunternehmer. Die Reisenden „haben keine Angst vor Corona, sondern vor der Quarantäne, die sich manche wegen ihrer Arbeit und andere wegen ihrer schulpflichtigen Kinder nicht leisten können“. Die Nachfrage bei finca.tours sei zuletzt groß gewesen, „weil niemand im Moment in große Hotels will“. Die kleineren mit zehn bis 20 Zimmern, die er anbiete, seien für ihre vorbildlichen Hygienekonzepte bekannt. Ungerecht findet Sievert all das, „weil wir doch nicht wie Online-Portale angeklickt werden, sondern am Telefon sitzen und für jeden Kunden individuelle Vorschläge ausarbeiten“.

Täglich neue Regeln für Buchungen 

Tatsächlich kann die Hilfe, die Reisebüros bieten, schon am nächsten Tag nichts mehr wert sein – wenn Reisevorschriften wegen Corona verschärft und Buchungen hinfällig werden. Ihr täglicher Job: Morgens gleich einen Blick ins Internet auf die Seite des Auswärtigen Amtes werfen, um herauszufinden, wo neue Risikogebiete ausgewiesen wurden und welche Quarantäneregeln dort gelten. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtet von einer Studie, laut der sich die Beratungszeit in den mehr als 10 000 deutschen Reisebüros durch die Folgen der Pandemie durchschnittlich um 31 Minuten verlängert hat.

Provision bei Stornierung  weg - trotz Beratung zuvor

„Die Lage ist sehr, sehr schwierig“, sagt Jutta Nizze, Inhaberin von atlastouring in der Lindenstraße. Vielen Kunden sei nicht bekannt, dass die Ausarbeitung einer Reise oft einen Arbeitsaufwand von zwei Stunden und mehr verlange, „was man sich da verdient, ist bei einer Stornierung komplett weg“. Auf 40 Prozent schätzt Nizze den Anteil der Kunden, die online buchen, ihre Schätzung wird von Branchenexperten bestätigt.

Es ist für die Reisebüros oft ein anstrengendes Hin und Her. Es wird umgebucht, nochmals umgebucht oder abgesagt. Das führt zu einem kompletten Verlust der Provision. Ohnehin leiden sie mitunter darunter, dass Kunden sich im örtlichen Büro ausführlich beraten lassen, aber dann doch im Internet buchen.

Touristiker Beyer: "Keine vernünftige Arbeit mehr möglich"

Viele reden nicht drum herum, wenn sie ihre täglichen Mühen beschreiben. „Es ist doch keine vernünftige Arbeit mehr möglich, wenn die Regeln, wer unter welchen Bedingungen, ob mit Tests oder ohne, ob ohne Quarantäne oder doch plötzlich mit, immer wieder verschoben werden“, sagt Udo Beyer. Der Olympiasieger im Kugelstoßen, der 1976 bei der Olympiade in Montreal im Alter von 20 Jahren für die DDR die Goldmedaille holte, betreibt seit 26 Jahren ein Reisebüro an der Lotte-Pulewka-Straße im Zentrum-Ost. „Die Kunden rufen mitunter im Zehn-Minuten-Takt an, um sich über die neuesten Vorschriften und Stornomöglichkeiten zu informieren“, sagt Beyer, „selbst wenn Potsdamer nach Schweden fliegen, rate ich ihnen, drei Tage vor dem Abflug vorbeizukommen und sich von mir über den neuesten Stand unterrichten zu lassen.“

"Kein vernünftiges Arbeiten mehr möglich." Reisebüro-Inhaber Udo Beyer verzweifelt an den ständigen Änderungen der Regeln.
"Kein vernünftiges Arbeiten mehr möglich." Reisebüro-Inhaber Udo Beyer verzweifelt an den ständigen Änderungen der Regeln.

© Andreas Klaer

Seine Hauptarbeit sei die Internet-Recherche: herauszufinden, wohin man entspannt reisen kann und wohin nicht. Sein aktuelles Resümee: „Im Augenblick geht gar nichts entspannt.“

Die Betreiber von Reisebüros, so scheint es, zählen inzwischen zu den hartgesottensten Akteuren des Wirtschaftskreislaufs. Sie wollen sich nicht kleinkriegen lassen von diesem Virus, der ihre Umsätze so stark dezimiert hat, dass nicht wenige ans Aufgeben dachten. „Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich mir einen anderen Job suchen“, sagt eine Potsdamer Reise-Expertin den PNN, „jetzt geht es darum, irgendwie durchzuhalten“. Ihren Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen.

Kaum Spanien-Stornierungen bei Reiseberaterin Henselmann

Katrin Henselmann war mutig – sie hat für sich einen neuen Beruf erfunden. 20 Jahre hat sie für Thomas Cook gearbeitet und machte sich nach deren Pleite als sogenannte solamento-Reiseberaterin selbständig. Sie arbeitet seit einem Jahr allein im Homeoffice, sie ist frei von Kosten für Büromiete und Mitarbeiter – und hat über das Reiseunternehmen solamento Zugang zu allen touristischen Portalen. Überraschend ist, dass sie „bisher kaum Stornierungen von Spanien-Buchungen verzeichnet“. Der Renner bei ihr sind gut zehn Reisen von Potsdamern auf die Malediven, sogar für Kreuzfahrten haben sich einige angemeldet.

Kaum Stornierungen für Spanien. Katrin Henselmann vermittelt Reisen nur noch von zuhause aus.
Kaum Stornierungen für Spanien. Katrin Henselmann vermittelt Reisen nur noch von zuhause aus.

© Andreas Klaer

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Viele Touristiker haben viel unternommen, um Kosten zu reduzieren. Bianca Weidemann etwa, Chefin des Babelsberger Reisebüros Holiday & Sun in Alt Nowawes, hat ihre Geschäftsräume von 60 auf 35 Quadratmeter verkleinert, um Miete zu sparen. „Ich musste darauf reagieren, dass die Lage dramatisch ist“, sagt sie den PNN. Jetzt sind gerade fünf ihrer Kunden in Spanien unterwegs. Geimpfte Spanien-Urlauber können nach Potsdam zurückkehren, ohne fünf Tage in Quarantäne zu müssen – was für Familien oft nicht möglich ist, weil vielleicht die Eltern, aber nicht die Kinder Impfschutz haben. Diese Kunden, sagt Weidemann, hätten „damit gerechnet und das Risiko in Kauf genommen.“ 

Einige Potsdamer wurden bei ihr auf der Suche nach Reisezielen an der deutschen und der polnischen Ostseeküste fündig: „Sie fahren mit dem Auto, was ja ohne Probleme möglich ist“.

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