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Die Angeklagte und mehrere, teils ehemalige Kolleg:innen des Thusnelda-von-Saldern-Hauses beklagten eine unzureichende personelle Ausstattung. 

© Ottmar Winter

Potsdamer Thusnelda-von-Saldern-Haus: Heimkontrolle in Corona-Zeiten

Im Strafprozess nach der Gewalttat in der Einrichtung des Oberlin-Hauses beklagten mehrere Mitarbeiter die dortigen Zustände. Doch eine Kontrolle der Aufsicht kurz vorher ergab keine Mängel. Wie kann das sein?

Potsdam - 15 Jahre Haft, Unterbringung in der Psychiatrie – mit der Verurteilung der Potsdamer Pflegekraft Ines R. unter anderem wegen vierfachen Mordes endete kurz vor Weihnachten der Prozess nach der Gewalttat im Babelsberger Thusnelda-von-Saldern-Haus. Das Verfahren vor dem Landgericht Potsdam warf über die Tat hinaus ein Licht auf die Zustände und Arbeitsbedingungen in der Pflege und Behindertenbetreuung, gerade zu Corona-Zeiten

Nicht nur Ines R. selbst – seit 30 Jahren im Oberlinhaus, zuletzt aber nur in Teilzeit beschäftigt – klagte über Überlastung. Auch andere, teils ehemalige Mitarbeiter monierten vor Gericht eine aus ihrer Sicht nicht ausreichende Personalausstattung, die sich auch auf die Klienten mit Behinderung ausgewirkt habe: Diese hätten nicht immer adäquat versorgt werden können.

Opfer waren in einem guten Pflegezustand

Dem gegenüber stehen zwei andere Befunde: Laut Obduktionsbericht, der vor Gericht vorgetragen wurde, waren die vier Opfer, zwei Frauen und zwei Männer mit schwersten Behinderungen, in einem guten Pflegezustand. Was vor Gericht hingegen keine Rolle spielte, entsprechende Zeugen waren nicht geladen: Am 27. April 2021, just einen Tag vor der Tat, wurde das Thusnelda-von-Saldern-Haus bei einer Routinekontrolle überprüft. 

Das übergeordnete Gesundheitsministerium in Potsdam erklärte seinerzeit auf Anfrage, dass bei der Überprüfung auch die Themen „Umgang mit besonderen Belastungen während der Corona-Pandemie, Gewalt in der Pflege“ angesprochen worden sei. „Dabei wurden keine Vorfälle berichtet“, hieß es. Nach Einschätzung der Aufsicht sei der Träger auch in Bezug auf die Begleitung der Mitarbeitenden „angemessen aufgestellt“ gewesen. Wie lässt sich diese Diskrepanz zwischen Mitarbeiteraussagen und Kontrollbefund erklären und wie laufen solche Prüfungen ab?

Keine Stellungnahme zu "konkreten Einzelfällen"

Verantwortlich für die Prüfung war die Aufsicht für unterstützende Wohnformen (AuW) mit Hauptsitz in Cottbus. Zum Zuständigkeitsbereich der AuW gehören 1375 Wohnformen in Brandenburg. Davon sind neun Pflegeeinrichtungen für Menschen mit Behinderung. Zu den Befunden im Oberlinhaus äußert sich die AuW nicht. „Zu konkreten Einzelfällen, hier insbesondere unter Berücksichtigung aller Beteiligten, können wir keine Stellung nehmen“, heißt es. AuW-Dezernatsleiterin Katja Augustin erklärt auf PNN-Anfrage aber, wie solche Kontrollen im Allgemeinen ablaufen.

flegeeinrichtungen würden von der Aufsicht nach landesgesetzlicher Vorgabe grundsätzlich einmal jährlich, Einrichtungen der Behindertenhilfe alle zwei Jahre geprüft. Zudem geht die Aufsicht Hinweisen und Beschwerden nach. Landesweit wurden im Jahr 2019 insgesamt 215 Beschwerden erfasst, 2020 waren es mit 350 deutlich mehr. Jeder Beschwerde werde nachgegangen, so Augustin. Beschwerdeführer seien in der Regel Angehörige, Mitarbeitende oder die Bewohner selbst. „Beanstandet wurden mehrheitlich Qualität und Quantität pflegerischer und betreuender Leistungen. Beschwerden zu Personal stehen an zweiter Stelle“, so Augustin. 

Kontrolle am Tag vor der Tat erfolgte rein routinemäßig

Ob es aus dem Thusnelda-von-Saldern-Haus schon einmal Beschwerden gegeben habe, beantwortet die Aufsicht mit Verweis auf den Datenschutz nicht. Vor Gericht jedenfalls kam nicht zur Sprache, dass sich Mitarbeitende oder Angehörige an die Aufsicht gewandt hätten. Klar ist: Die Kontrolle am 27. April erfolgte rein routinemäßig.

Ob und wie lange vorher der Besuch in Babelsberg angekündigt war, sich das Haus also auf die Kontrolle vorbereiten konnte, lässt die Aufsicht offen. Grundsätzlich könnten Prüfungen unangemeldet oder angemeldet erfolgen. Die Kontrolle könne einen Tag bis zu einen Monat vorher angekündigt werden oder aber auch ohne konkreten Termin, dann werde nur ein Zeitfenster bekanntgegeben. Zur Prüfung vor Ort, die sechs bis acht Stunden dauert, werden je nach Größe der Einrichtung ein oder zwei Mitarbeiter eingesetzt, in Ausnahmefällen auch mehr. 

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Die Teams der Aufsicht seien multiprofessionell aufgestellt, so Augustin. Alle Mitarbeiter:innen verfügten mindestens über einen Hochschulabschluss, viele über Doppelqualifikationen als Sozialarbeiter, Pflegemanager, Pflegefachkräfte, Heilerziehungspfleger, Ergo- oder Physiotherapeuten. Aber auch Volljuristen und Verwaltungswirte seien dabei. Die Zuständigkeit für die Einrichtungen werde den Prüfern zugeteilt. Spätestens alle vier Jahre werde sie geändert. Allerdings dürften sich Prüfer und Heimverantwortliche wohl oft kennen, denn die Zuständigkeit ist regional geregelt. Die AuW arbeitet in drei Teams in Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam. Für Heime in der Landeshauptstadt ist der Aufsichtsstandort Potsdam zuständig, der über neun Prüfer:innen verfügt.

Auch die Dienstpläne wurden eingesehen

Für die Prüfungen sei ein landeseinheitliches Konzept erarbeitet worden, so Augustin. Bestandteil der Kontrolle seien Gespräche mit der Einrichtungsleitung, mit Bewohnern, dem Bewohnerschaftsrat und den Mitarbeitenden. Diese würden zudem bei der Arbeit begleitet, Essenssituationen oder die Betreuung beobachtet. Auch das äußere Erscheinungsbild der Bewohner werde in Augenschein genommen. Für körperliche Untersuchungen des Pflegezustandes sei aber der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zuständig.

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Außerdem würde die Aufsicht Unterlagen und Dokumente sowie Dienstpläne eingesehen. Zu den Dienstplänen im Thusnelda-von-Saldern-Haus äußerten sich Mitarbeiter auch vor Gericht. So seien die Pläne lange im Voraus geschrieben, Kollegen, die dann wegen Krankheit ausfielen, nicht immer ausgetragen worden. Bestünde also die Möglichkeit, dass der Aufsicht Dienstpläne vorgelegt wurden, die nicht den realen personellen Gegebenheiten entsprechen? „Dies wäre ein Verstoß gegen die Auskunftspflichten, der bei Feststellung mit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren geahndet werden würde“, so Augustin.

Corona erschwert die Arbeit der Prüfer

Corona hat die Arbeit der Prüfer beeinträchtigt. Im Jahr 2020 seien aus Infektionsschutzgründen in erster Linie anlassbezogene Prüfungen vor Ort erfolgt. Nach Wiederaufnahme der Prüfungen seien diese zunächst „auf das infektionsschutzfachliche mögliche Maß beschränkt“ gewesen.

Auch für die Einrichtungen selbst bedeutete die Pandemie gerade während des Lockdowns Einschränkungen. Angehörige eines Opfers berichteten, diesem seien im Thusnelda-von-Saldern-Haus teils die Haare und Nägel nicht mehr regelmäßig geschnitten worden. Dafür, heißt es aus dem Heimumfeld, gebe es eine Erklärung, die vor Gericht nicht zur Sprache kam: Dienstleistungen wie Haare schneiden oder medizinische Fußpflege würden von Externen erbracht. Wegen Corona sei es zeitweise aber nicht erlaubt gewesen, diese ins Haus zu lassen.

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