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Potsdamer Stadtwerke-Skandal weitet sich aus: Doch kein längerer Vertrag für Stadtwerke-Chef Böhme?

Jetzt gibt es auch noch den Vorwurf der Vetternwirtschaft: Die Stadtwerke prüfen einen Werkvertrag ihres Geschäftsführers Wilfried Böhme mit seinem Schwager. Böhmes Vertragsverlängerung wird immer unwahrscheinlicher.

Potsdam - Der Stadtwerke-Skandal weitet sich aus, Vorwürfe um weitere Begünstigungen erreichen die Spitze des kommunalen Unternehmens. Damit wird die eigentlich von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) geplante Vertragsverlängerung für Stadtwerke-Chef Wilfried Böhme nach PNN-Informationen immer unwahrscheinlicher. Denn der 64-Jährige gerät zunehmend in Erklärungsnot – es geht um den Eindruck, er habe in seinem Unternehmen Vetternwirtschaft betrieben.

Stadtwerke-Chef Böhme soll sich nicht selbst angezeigt haben

Anlass ist ein bekannt gewordener Werkvertrag der Stadtwerke-Tochter Energie und Wasser Potsdam (EWP) mit einer Schlosserfirma, deren Inhaber ausgerechnet der inzwischen in den Ruhestand gewechselte Schwager von Wilfried Böhme sein soll. Böhme führt auch die EWP. Die Stadtwerke hatten die Existenz dieses Vertrags bereits vergangene Woche bestätigt. Einen aktuellen Medienbericht, wonach Böhme selbst eine Selbstanzeige beim Finanzamt wegen einer möglichen sogenannten Scheinselbstständigkeit seines Schwagers gestellt habe, dementierten die Stadtwerke am Mittwoch gegenüber der „Bild“-Zeitung.

Weitere Fragen der PNN zu Details des Vertrags beantworteten die Stadtwerke nicht – etwa ob tatsächlich zwischen 2011 und Mitte 2015 jeweils mehr als 5000 Euro pro Monat an die Firma des Schwagers mit Sitz auf einem Stadtwerke-Areal am Heizwerk gezahlt wurden und für welche Leistungen dieses Geld floss. Dies alles betreffe einen Komplex, der „derzeit intern überprüft wird“, sagte ein Sprecher. Pikanterweise fällt der Beginn der Vertragslaufzeit mit der Schlosserfirma mit dem Jahr zusammen, als Böhme Nachfolger des früheren Stadtwerke-Chefs Peter Paffhausen wurde.

Bisher wurde „Bericht zu nahestehenden Personen“ nicht beanstandet

Schon vor einer Woche hatten die PNN über eine anonym zusammengestellte Liste berichtet, in der vier mutmaßliche Familienmitglieder des Geschäftsführers – zwei Söhne, eine Tochter, ein Neffe – mit Anstellung im Stadtwerke-Verbund aufgeführt wurden, etwa als Ansprechpartner für EWP-Großkunden oder Assistent der EWP-Führung. Auf Anfrage äußerten sich die Stadtwerke dazu aus datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht. Es gebe aber Ausschreibungen, die besagten Arbeitsverträge seien auch standardisiert und tarifgebunden, so ein Sprecher. Ebenso gebe es von den Geschäftsführungen des Verbunds jährlich einen „Bericht zu nahestehenden Personen“ an die Wirtschaftsprüfer des Unternehmens. „Beanstandungen gab es nicht“, hatte ein Sprecher erklärt. Auch ein Stadtsprecher sagte, gegen die Anstellung von Familienangehörigen sei zunächst solange nichts zu sagen, wenn sie in einem offenen und diskriminierungsfreien Bewerbungsverfahren erfolgt sei und im Unternehmen transparent gemacht wurde.

Auch der jetzt in den Fokus gerückte Werkvertrag mit der Schlosserei war auf der anonymen Liste aufgetaucht. Damals hatten die Stadtwerke zu diesem Punkt erklärt: „Der Umfang der Beauftragung liegt im Ermessen der jeweils zuständigen Abteilungen; die Geschäftsführung der EWP hat darauf weder unmittelbar noch mittelbar Einfluss. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit als solche.“ Nun war bei den Stadtwerken nur noch von der internen Prüfung die Rede. „Wir werden uns zu gegebener Zeit äußern“, sagte der Stadtwerke-Sprecher lediglich.

Böhmes Vertrag wurde noch nicht verlängert

Die Vorwürfe kommen zur Unzeit: Wie berichtet hatte zuletzt der Aufsichtsrat der EWP empfohlen, den Vertrag mit Böhme demnächst um zwei Jahre zu verlängern. Allerdings hat Oberbürgermeister Jakobs – die Stadt ist Gesellschafter der Stadtwerke und hält die Mehrheit der EWP – den Vertrag noch nicht unterschrieben. Ein Sprecher von Jakobs sagte am Mittwoch auf Nachfrage lediglich: „Jetzt geht es darum, den Sachverhalt aufzuklären und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Schon seit Tagen soll es Krisensitzungen im Rathaus geben.

In den vergangenen Wochen waren die Stadtwerke nicht zur Ruhe gekommen. Unter anderem hatten die PNN die Ergebnisse von Zwischenberichten von beauftragten Kanzleien sowie von diversen Wirtschaftsprüfer-Gutachten veröffentlicht, wonach eine mit ungewöhnlich wenigen Rechten ausgestattete Ex-Prokuristin der Stadtwerke-Tochter Stadtentsorgung (Step), Petra V., laut einem Gutachten zwischen 2004 und 2014 insgesamt 476 091 Euro Mehrvergütungen erhalten habe – an den Kontrollgremien vorbei. Prüfer hatten zudem nicht nachvollziehbare Kostensteigerungen und fehlende Vertragsgrundlagen bei zurückliegenden Step-Bauprojekten unter der Verantwortung der üppig bezahlten Prokuristin V. und ihres inzwischen suspendierten Ex-Chefs Holger Neumann bemängelt.

Wie im Falle der Empfehlung, Böhmes Vertrag trotz der Unruhe und der diversen laufenden Untersuchungen im Konzern zu verlängern, hatte der EWP-Aufsichtsrat auch zu Neumann schon eine Entscheidung gefällt. Dieser ist nun bei knapp 200 000 Euro Jahresgehalt bis Ende September 2017 freigestellt. Dabei hatte die Kanzlei Raue aus Berlin empfohlen, Neumanns fristlose Kündigung im EWP-Aufsichtsrat zur Abstimmung zu stellen – was nicht erfolgte, weil dem Gremium laut Stadt „aus Versehen“ nur die weichere Version des Raue-Berichts für den Step-Aufsichtsrat vorlag. Ob die damit gefassten Entscheidungen im EWP-Aufsichtsrat gültig sind, da sie auf falscher Grundlage zustande kamen, hat die Stadtspitze bislang noch nicht beantwortet.

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Nach der ersten Stadtwerke-Affäre gab es keinen echten Neuanfang. Das rächte sich. Jetzt sollte dringend der Leitspruch "Neue Besen kehren gut" im Konzern gelten, meint PNN-Autor Henri Kramer. Hier geht es zu seinem Kommentar >>

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