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Die Tafel musste wegen Überlastung erstmals einen Aufnahmestopp verhängen.

© Andreas Klaer

Potsdamer Sozialträger schlagen Alarm: „Ein totaler Supergau für Familien“

Nach der Tafel warnen auch andere Einrichtungen vor den Folgen der Preissteigerungen. Die Stadt fordert höhere Hartz-IV-Sätze. Das Land prüft eine einmalige Unterstützung der Tafeln.

Potsdam - Nach dem Aufnahmestopp bei der Potsdamer Tafel warnen auch andere Sozialträger und Einrichtungen in Potsdam vor den Folgen der gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise für finanziell schwächer gestellte Haushalte. Bei der Stadt verweist man auf PNN-Anfrage auf Beratungsangebote für Betroffene zu den Themen soziale und finanzielle Bedürftigkeit sowie Miet- und Energieschulden im Rathaus sowie im Jobcenter. 

Die Stadt sieht aber auch den Bund in der Pflicht: Bei den einschlägigen Sozialleistungen wie der Sozialhilfe im Alter, der Grundsicherung für Arbeitssuchende oder den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssten die Regelsätze vom Bund angepasst werden, fordert Potsdams Sozialbeigeordnete Brigitte Meier (SPD).

Christoph Olschewski leitet die Arche in Drewitz.
Christoph Olschewski leitet die Arche in Drewitz.

© Andreas Klaer

Beim kirchlichen Kinderhilfswerk Arche in Drewitz sind die Auswirkungen längst greifbar. „Das ist gerade ein totaler Supergau für unsere Familien“, sagt Standortleiter Christoph Olschewski den PNN. Hart betroffen seien nicht nur Familien, die komplett auf Transferleistungen vom Staat angewiesen sind, sondern auch doppelverdienende Haushalte mit niedrigem Einkommen, berichtet er von der Arbeit in Drewitz. 

Eine Mutter habe zum Beispiel gesagt, dass sie selbst mittlerweile nur noch Tütensuppen esse, um ihren Kindern noch eine vollwertige Ernährung ermöglichen zu können. Die Familien hätten keine Puffer mehr.

Arche-Chef Olschewski warnt vor Versorgungsloch in den Sommerferien

Umso größere Sorgen macht dem Potsdamer Arche-Chef der Blick auf die bevorstehenden Sommerferien: „Wenn das Kita- und Schulessen wegbricht und Familien noch mehr selbst machen müssen – das geht noch mehr ins Geld.“ Nötig sei gezielte Hilfe für diese Familien, über Einmalzahlungen hinaus. „Wir schaffen es gar nicht mehr, vor diese Welle zu kommen, wir sind schon drauf“, sagt Olschewski. Es drohe eine Situation, in der Kinder auch in Potsdam hungern müssen: „Es wird schlimm“, warnt er. Deswegen mache sich die Arche bundesweit für eine Kindergrundsicherung stark: 600 Euro, die zur Hälfte an die Familien, zur Hälfte ins Bildungssystem fließen sollen.

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Die Drewitzer Arche stellt den Familien seit Beginn des Ukrainekrieges wie schon zur Zeit des Corona-Lockdowns zusätzlich einmal monatlich kostenfrei Lebensmittelpakete zur Verfügung – unter anderem mit Müsli, Nudeln, Reis, Konserven, Obst und Gemüse. „Der Bedarf ist da, das rufen immer mehr Familien ab“, sagt Olschewski. Die Arche besuchen den Angaben zufolge rund 130 Kinder und 40 Jugendliche – sie erhalten dort neben den Freizeitangeboten auch eine kostenfreie Mahlzeit. Man sei zudem mit rund 90 Familien in Kontakt.

Kosten für Lebensmitteleinkäufe von 900 Euro auf 1500 Euro gestiegen

Die Preissteigerungen seien auch für die Finanzierung der Arche selbst eine Herausforderung, zumal es Spendenrückläufe gebe. Die Einkäufe für die Lebensmittelpakete kosteten mittlerweile im Schnitt 1500 Euro statt anfangs 900 Euro, berichtet der Arche-Leiter. Zwar gebe es Unternehmen, die die Potsdamer Arche unterstützen. „Wir brauchen aber weitere Spenden“, machte er klar.

Angela Schweers ist Vorstand des Awo-Bezirksverbands Potsdam e.V.
Angela Schweers ist Vorstand des Awo-Bezirksverbands Potsdam e.V.

© Andreas Klaer

Auch bei der Arbeiterwohlfahrt Potsdam (Awo) ist man alarmiert. „Wenn das Angebot der Tafel zusammenbricht, zeigt das, dass dringend etwas getan werden muss“, sagte Awo-Vorstandschefin Angela Schweers den PNN. Das ehrenamtliche Angebot der Tafel sei wichtig, dürfe aber kein Ersatz für soziale Leistungen sein, betont sie. „Wenn die Tafeln überbeansprucht sind, bedeutet das, dass soziale Leistungen fehlen, um die grundlegendsten Bedürfnisse zu decken.“

Für viele werden die Heizkostenabrechnungen zum großen Problem werden, warnt Awo-Chefin Schweers

Die Folgen der Preissteigerungen machten sich auch in der Awo-Familienarbeit bemerkbar. So würden etwa über das Potsdamer Büro Kinder(ar)mut viel mehr Lernmittel als sonst ausgegeben – schon die Coronakrise habe dort für mehr Nachfrage gesorgt. Schweers warnt davor, dass die Folgen der Inflation noch gar nicht voll durchgeschlagen sind. Sie rechnet damit, dass in vielen Familien die Heizkostenabrechnungen zum großen Problem werden. Schweers fordert ein strukturiertes Vorgehen zur Hilfe – über die Kitas und Schulen, da diese für fast alle Familien Anlaufpunkte sind.

Ebenso mit Sorge beobachtet die Entwicklung die Volkssolidarität. Für ältere Menschen bedeuteten die Preissteigerungen deutliche Einschnitte, sagt Frank Jagomast vom Bereich Fördermittel den PNN. Für viele seien Angebote zum Kaffee in den Begegnungsstätten wegen der moderaten Preise wichtig. In der ebenfalls von der Volkssolidarität betriebenen Suppenküche gebe es zwar noch nicht mehr Kund:innen als sonst – die Preissteigerungen schlagen aber beim Einkauf zu Buche. Preiserhöhungen soll es trotzdem nicht geben, sagt Jagomast: „Die Kunden haben ja auch nichts.“ Man hoffe auf die Finanzierung durch die Stadt und über Spenden.

Sozialministerium prüft nun doch eine einmalige Unterstützung der Brandenburger Tafeln

Wie berichtet hat die Potsdamer Tafel am Donnerstag zum ersten Mal in ihrer 30-jährigen Geschichte einen Aufnahmestopp für neue Kunden verhängen müssen. Die Kapazitäten der knapp 200 ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen seien erschöpft, hieß es zur Begründung. Für Ärger bei den Brandenburger Tafeln hatte zuvor Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) gesorgt. Sie hatte das Angebot der Tafeln zwar gelobt, eine finanzielle Unterstützung durch das Land – wie etwa in Sachsen – aber abgelehnt, weil die Tafeln nicht Teil des sozialstaatlichen Systems seien. Auch der Landtag hatte einen Antrag der Linken zur Tafel-Finanzierung abgelehnt.

Das Sozialministerium prüft nun trotzdem eine einmalige Unterstützung der Tafeln, wie Ministeriumssprecher Gabriel Hesse am Freitag auf PNN-Anfrage mitteilte. Er verweist auf die Einigung zwischen Bund und Ländern vom April, wonach der Bund in diesem Jahr wegen der Mehraufwendungen für Geflüchtete aus der Ukraine insgesamt zwei Millarden Euro an Länder und Kommunen zahlt. „Wir prüfen, ob von diesen zwei Milliarden des Bundes Gelder auch für eine einmalige Unterstützung für die Tafeln gewährt werden können“, so der Sprecher.

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