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Natascha Petriuk (rechts) mit ihren Kindern Olga (18 Jahre), Denys (10) und Vevhenija (7) fanden Zuflucht in Potsdam.

© Andreas Klaer

Potsdamer nehmen Geflüchtete auf: Erst einmal in Sicherheit

Nach fast 30 Stunden erreichte Familie Petriuk aus der Ukraine Potsdam. Dort kam sie in der Brasserie zu Gutenberg unter.

Von Carsten Holm

Potsdam - In Potsdam sind sie in der Pension der Brasserie zu Gutenberg an der Jägerstraße erst einmal in Sicherheit – und doch holt sie der Krieg in ihrer ukrainischen Heimat immer wieder ein. Mit bangem Blick schaut Natascha Petriuk auf ihr Handy, wann immer ein kurzes Signal anzeigt, dass eine Nachricht von ihrem Ehemann Wassil eingetroffen ist. Ein Lebenszeichen aus dem Krieg. Am Freitag waren es wieder keine guten Neuigkeiten. 

„Wir haben eine neue Mobilmachung angekündigt“, war da in der deutschen Übersetzung zu lesen. Der 43-jährige Familienvater darf wie alle ukrainischen Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren nicht ausreisen. Er hat sich am Dienstag von seiner Familie verabschiedet und wartet in der westukrainischen Großstadt Czernowitz darauf, dass er in den Krieg gerufen wird.

Über das Handy hält die Familie Kontakt

Der gelernte Feuerwehrmann hatte seine 40-jährige Frau Natascha, ihre 63 Jahre alte Mutter Nina Korchov und die 18, zehn und sieben Jahre alten Kinder Olga, Denys und Yevhenija aus dem bis zum Freitag noch unzerstörten Czernowitz, gut 500 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Kiew, an die Grenze zu Rumänien gebracht. Dort waren sie mit einem Polen verabredet, der wie viele seiner Landsleute den Opfern des Kriegs aus dem Nachbarland helfen wollte und sie kostenlos nach Potsdam brachte – in 29 Stunden über Rumänien, Ungarn und Tschechien. Kurz vor Mitternacht traf er am Donnerstag mit seinen Fahrgästen an der Brasserie ein.

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Über das Handy kann die Familie in Kontakt bleiben. „Es ist für mich, vor allem aber für die Kinder wichtig, dass sie mit ihrem Vater sprechen können“, sagt Natascha Petriuk am Freitag den PNN. Mitunter aber sei es schwierig, die Nachrichten auszuhalten. „Wie geht es Dir?“, hat seine Frau ihn am Freitag gefragt. „Na, ich komme gerne zu euch“, antwortet Wassil Petriuk, „ich denke auch, nächste Woche komme ich zu euch.“ Er hat ein Herz an das Ende gesetzt – und beide wissen, dass es ihm nicht möglich sein wird, auszureisen. Wenn seine Frau davon erzählt und die Nachrichten zeigt, hat sie Tränen in den Augen. Ihr ist, anders als ihren jüngeren Kindern, bewusst, dass sich die Familie im schlimmsten Fall nicht wiedersehen wird.

Überwältigt und dankbar

„Jeder, der es kann, sollte den Menschen, die vor dem Krieg flüchten, helfen“, sagt Bengt Rudolph, Inhaber der Brasserie, den PNN. In der zugehörigen Pension bezog die Familie eine Suite im Obergeschoss, zwei Zimmer und ein Badezimmer gehören dazu. Inhaber Bengt Rudolph stellt ihnen die Unterkunft kostenlos zur Verfügung, an jedem Abend ist im Restaurant ein Tisch für sie reserviert. Am Donnerstag bestellten Mutter Natascha und Tochter Olga mit Käse überbackenen Croque Madame, die Großmutter Süßkartoffelsuppe mit Bacon und die jüngeren Kinder Hähnchenbrust mit Nudeln. „Sie waren alle sehr zufrieden“, sagte Serviceleiterin Rebekka, die die Familie bei der Auswahl beriet und bediente.

Die Brasserie-Mitarbeiter um Manager Sebastian Minuth taten noch mehr: Sie kauften extra Stullenbrettchen, Messer und Gabeln, die nicht zur Grundausstattung der Suite gehören, Brot, Butter, Fisch aus der Dose, löslichen Kaffee und Milch und einen Gutschein über 20 Euro für den Einkauf in einem Drogeriemarkt. Sie sammelten in ihren Familien Spielzeug, Kuscheltiere und Kleidung für die Kinder und suchten über einen Aufruf bei Facebook nach Helfern, die eine dauerhafte Wohnmöglichkeit bereitstellen oder beim Wäschewaschen helfen könnten. Bis Freitagmittag hatten schon rund 1300 Facebooknutzer die Nachricht gelesen, 29 hatten sie geteilt. Die Familie war überwältigt und dankbar. Großmutter Nina Korchov wollte etwas zurückgeben. Sie bot an, in der Küche des Restaurants Kartoffeln zu schälen. 

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