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Potsdamer Mitte: „Man sollte der Fachhochschule eine Chance geben“

Vor 30 Jahren war Thomas Topfstedt, DDR-Architekturexperte und früherer Dekan für Geschichte und Kunstwissenschaften der Universität Leipzig, scharfer Kritiker der Bebauung der Potsdamer Mitte. Im PNN-Gespräch erklärt er, warum er heute anderer Meinung ist und die Fachhochschule für erhaltenswert hält.

Herr Topfstedt, in Ihrem 1988 erschienenen Buch „Städtebau in der DDR 1955-1971“ findet sich ein bemerkenswerter Satz über den heutigen Fachhochschulkomplex: Es sei, schreiben Sie, „nicht gelungen, die durch Kriegseinwirkung und Flächenberäumung entstandenen Raumschneisen mit städtebaulichen Neuschöpfungen von Rang wieder zu schließen“. Wie kam es, dass ein so vernichtendes Urteil in einem DDR-Verlag publiziert werden durfte?

Ich habe damals an meiner Dissertation B, wie die Habilitation in DDR genannt wurde, zum Thema „Abriss der Städtebaugeschichte der DDR von der Mitte der 1950er- bis zum Beginn der 1970er- Jahre“ gearbeitet – übrigens als erster Kunsthistoriker der DDR, der sich ernsthaft mit diesen Dingen auseinandergesetzt hat. Mit dem Seemann-Verlag in Leipzig hatte ich dann einen Verlag gefunden und, aus welchen Gründen auch immer, hat das keine Aufmerksamkeit erregt. Es rutschte einfach unter der Türschwelle durch. Interessanterweise nicht in der Bundesrepublik. Dort fand das Buch an den Universitäten viel Beachtung.

In dem Buch sprechen Sie dem Komplex zwischen Altem Markt und Platz der Einheit, der seinerzeit als Wissenschaftliche Allgemeinbibliothek des Bezirkes Potsdam und Institut für Lehrerbildung der DDR errichtet wurde, die städtebaulichen Qualitäten ab. Was hat Sie zu diesem Urteil veranlasst?

Zunächst einmal allgemein der Umgang mit der historischen Bausubstanz. Die Abrisse der Schlösser in Berlin, Putbus auf der Insel Rügen oder eben Potsdam – das war Kulturbarbarei. Und die Neubebauung empfand ich als wenig gelungen. An und für sich war die Fachhochschule kein schlechter Bau, aber in der Nachbarschaft zur Nikolaikirche wirkte sie damals doch sehr unglücklich.

Sehen Sie das heute auch noch so?

Ich stehe zu dem, was ich damals geschrieben habe. Dennoch glaube ich, dass der Platz es heute aushalten würde, wenn die Fachhochschule stehen bliebe.

Warum?

Das Gesicht des Alten Marktes hat sich gewandelt. Mit dem als Landtag wiederaufgebauten Stadtschloss hat die Nikolaikirche wieder ein Gegenüber. Die Fachhochschule bildet dazu einen spannenden Kontrast.

Woher dieser Sinneswandel?

Die Architektur der DDR erfährt inzwischen auch in Fachkreisen eine andere Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Erst jetzt beschäftigt man sich ja intensiver mit dieser Epoche. Und da erscheinen viele Gebäude heute eben nicht mehr als generell minderwertig.

Aber wie Sie sicher wissen, soll das Haus ab November abgerissen und die Fläche in der historischen Stadtstruktur neu bebaut werden.

Ja, und diese Entwicklung schafft neue Probleme. Ich habe etwas gegen diesen Wiederaufbau verloren gegangener Denkmale – mit wenigen Ausnahmen wie die Frauenkirche in Dresden. Aber schon die Bebauung des Dresdener Neumarkts mit den historisierenden Fassaden atmet eine Rückwärtsgewandtheit, die mir zutiefst unsympathisch ist.

Genau den hat sich ja Potsdam zum Vorbild für sein Leitbautenkonzept genommen. Auch hier wurden einst stadtbildprägende Fassaden festgelegt, die wieder erstehen sollen. Was halten Sie davon?

Man muss das von Fall zu Fall betrachten. Den Landtag finde ich gelungen. Das Gebäude mit der Schlossfassade wieder in Potsdams Mitte zu stellen, war die richtige Entscheidung, zumal man mit der Nutzung als Landesparlament auch eine vernünftige Lösung gefunden hat – im Gegensatz etwa zu Braunschweig, wo man verzweifelt nach einer Nutzung gesucht hat und schließlich eine banale Shopping-Mall einzog. Auch die Bebauung an der Alten Fahrt, insbesondere das Museum Barberini, gefällt mir. Ich finde, dabei sollte man es bewenden lassen.

Und die Fachhochschule stehen lassen?

Ja. Meiner Überzeugung nach wäre es besser, wenn sie saniert und öffentlich genutzt würde.

Dem stehen inzwischen aber mehr als 20 Stadtverordnetenbeschlüsse entgegen, die im Laufe der letzten mehr als 25 Jahre gefasst wurden. Die Abrissbefürworter pochen darauf, dass die Entwicklung demokratisch legitimiert ist und den Mehrheitswillen der Potsdamer repräsentiert.

Natürlich kann man das so sehen. Aber die Frage ist doch, wie wir mit der Geschichte als Ganzes umgehen. Meiner Meinung nach wäre eine unabhängige fachliche Überprüfung nötig, wie architektonisch wertvoll dieses DDR-Gebäude nach heutigen Maßstäben ist und welche neuen Nutzungspotenziale es enthält.

Seit 25 Jahren wird in Potsdam über dieses Thema gestritten, doch jetzt nimmt die Debatte wieder an Schärfe zu. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Weil der Verlust so groß wäre. Es gibt ein neues Bewusstsein dafür, die ja überall in Ostdeutschland rigide schrumpfende Bausubstanz aus DDR-Zeiten nicht mehr einfach als unwert beiseite zu schieben. Hinzu kommt: Viele Menschen verbinden damit auch Erinnerungen, weil sie mit dem DDR-Stadtbild aufgewachsen sind.

Überall in Deutschland ist eine Rückbesinnung auf die alten Stadtansichten zu beobachten, etwa in Frankfurt am Main, rund um den Römer. Die Mehrzahl der Menschen mag offenbar historisch gewachsene Strukturen, selbst wenn es sich um Repliken handelt. Was ist daran so falsch?

Es stimmt schon, die große Mehrheit mag das wohl. Ich selbst bin auch der Allerletzte, der sich nicht für die Bewahrung des historischen Erbes und der alten Bausubstanz einsetzt. Aber diese neugebauten, auf alt gemachten Erlebniswelten sind nun einmal nicht das Original. Ich muss zugeben, ich bin da hin- und hergerissen. Ich kann beide Seiten verstehen.

Aber...?

Aber wenn Sie mir die Pistole auf die Brust setzen, sage ich, man sollte der Fachhochschule eine Chance geben und noch einmal wirklich untersuchen, welche Qualitäten das Bauwerk aufweist. Jetzt sieht es zwar schäbig aus, aber das muss ja nicht so bleiben. Natürlich braucht man ein stichhaltiges Nutzungskonzept. Das setzt aber erst einmal den politischen Willen voraus.

Glauben Sie, dass das noch zu erreichen ist?

Ehrlich gesagt, nein. Die Erfahrungen aus anderen Städten sprechen leider dafür, dass das Gebäude keine lange Lebensdauer mehr hat.

Die Fragen stellte Peer Straube

Thomas Topfstedt, 70, ist Experte für DDR-Architektur und war von 1996 bis 1999 Dekan/Prodekan der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Uni Leipzig.

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