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Potsdamer Mitte: Die Frauen hinter den Straßennamen

Nach dem umstrittenen Votum für die Neubenennung historischer Straßen in Potsdams Mitte erläutert das Projekt Frauenwahllokal die Hintergründe.

Potsdam - Die Entscheidung für mehrere Frauen als Namensgeber für historische Straßen in der neu entstehenden Potsdamer Mitte sorgt seit Tagen für Debatten. Am Wochenende nun verteidigten Initiatorinnen des Beschlusses, der am Donnerstag im Kulturausschuss gefallen war, das Votum. So twitterte die Kulturausschussvorsitzende Jenny Pöller (Die Andere): „Es geht um Sichtbarkeit von Frauen in unserer Gesellschaft.“

Entschieden worden war, dass die neu entstehenden Teile der Schloss-, der Schwertfeger- und der Kaiserstraße jetzt doch Anna-Zielenziger-, Erika-Wolf- und Anna-Flügge-Straße heißen sollen – ein Vorschlag aus der Initiativgruppe „Frauenwahllokal“, die gerade an 100 Jahre Frauenwahlrecht erinnert und mit der auch die SPD-Stadtverordnete Sarah Zalfen verbunden ist. Diese erklärte im sozialen Netzwerk Facebook, dass kaum einer diese Frauen kenne, „ist Teil des nach wie vor bestehenden Problems der (Un-)Sichtbarkeit von Frauen im öffentlichen Raum und Erinnern.“

Es wird erklärt, was die Frauen mit der Mitte zu tun haben

Auf deren Internetseite von Frauenwahllokal werden die drei Frauen jetzt vorgestellt – und es wird erklärt, was sie mit der Mitte zu tun haben. Zielenziger war beispielsweise die 1943 in den Lagern der Nationalsozialisten getötete Leiterin des jüdischen Frauenvereins in Potsdam, ihr Mann war Vorsitzender der Synagogengemeinde Potsdam. Ein Stolperstein in der Gutenbergstraße 61 erinnert seit 2009 an Anna Zielenziger. Ein örtlicher Bezug zur Mitte ergebe sich laut dem Projekt Frauenwahllokal durch die Lage der ehemaligen Synagoge neben der heutigen Hauptpost am Platz der Einheit und der geplanten neuen Synagoge in der Schlossstraße. In der Synagoge habe sich auch der besagte Frauenverein regelmäßig getroffen.

Die 2003 verstorbene Erika Wolf war laut dem Projekt Frauenwahllokal 1945 Mitgründerin der CDU in Potsdam und von 1946 bis zu ihrer Flucht nach Westdeutschland 1950 Stadtverordnete. Dem Deutschen Bundestag gehörte sie von 1965 bis 1976 an. Ab 1967 war sie auch Vizepräsidentin der Welthungerhilfe. Nach 1989 unterstützte sie den Wiederaufbau des CDU-Landesverbandes Brandenburg, wurde dessen Ehrenvorsitzende. Seit 1994 lebte sie wieder in Potsdam. „Die Nähe zum Landtag prädestiniert die Benennung einer Straße nach ihr an diesem Ort“, heißt es auf der Internetseite des Frauenwahllokals.

Anna Flügge, sie lebte von 1885 bis 1968, wirkte demnach in der Legislaturperiode von 1929 bis 1933 als eine der wenigen weiblichen Abgeordneten für die SPD in der Stadtverordnetenversammlung mit, war ferner in der Arbeiterwohlfahrt aktiv und gründete 1936 den Kleingartenverein „Bergauf“ am Pfingstberg mit. Ferner betrieb sie eine Licht- und Seifen-Handlung nahe des Alten Markts. 1944 wurde sie von der Gestapo ins KZ Ravensbrück deportiert, kam aber nach wenigen Tagen wieder frei, wie das Projekt Frauenwahllokal recherchiert hat.

Kritik an "politisch motivierten Straßennamen"

Die Wahl der Frauennamen für die Straßen, die im Umfeld des neuen Wohn- und Geschäftskarrees am Landtag entstehen, hat vor allem die Initiative Mitteschön kritisiert, die deswegen auch am Dienstag ab 18 Uhr zu einer Protestaktion vor der Nikolaikirche aufruft. Solche „politisch motivierten Straßennamen“ gehörten nicht in den Stadtkern. Dagegen erklärte Mit-Initiatorin Pöller, natürlich handele es sich um früher politisch aktive Frauen: „Warum auch nicht? Frauen und Politik lässt sich nicht trennen. Gewöhnt euch daran.“

Auch der Stadtverordnete Alexander Frehse von der Satire-Partei Die Partei schrieb, in Anlehnung an den Stadtverordnetenbeschluss zur „behutsamen Annäherung“ an den historischen Grundriss der Stadt: „Von veralteten Namen ist da keine Rede.“ Die Benennung müssen noch die Stadtverordneten in ihrer Sitzung am 6. November absegnen – angesichts des Kulturausschuss-Beschlusses ohne Gegenstimmen gilt eine Mehrheit als sicher.

In der CDU gibt es konträre Positionen

So teilte auch der CDU-Stadtverordnete Matthias Finken mit, seine Fraktion habe intern mehrheitlich für die Umbenennung gestimmt: „Wiederherstellung der historischen Mitte unbedingt, aber warum nicht mit Elementen und Akzenten der heutigen Zeit?“ Allerdings hatten einige Fraktionskollegen wie Wieland Niekisch die Entscheidung öffentlich kritisiert. Finken wiederum erklärte, die Vertreterin der CDU im Kulturausschuss, Anna Lüdcke, sei parteiintern nach ihrem Ja zur Neubenennung der Straßen unter Druck gesetzt worden. So ein Stil dürfe in der ehrenamtlichen Arbeit der Stadtverordneten keinen Platz haben, erklärte Finken – ohne nähere Details zu nennen. Hingegen stellte CDU-Kreischef Götz Friederich bei Facebook klar, dass er die Umbenennung „grundsätzlich ablehne, da es dafür keine zwingende Notwendigkeit gibt“. Gleichwohl seien die Mehrheitsverhältnisse so klar, dass man dann dennoch nicht gegen den Vorschlag einer Erika-Wolf-Straße gestimmt habe: „Das wäre nun wirklich lächerlich gewesen.“

Mitteschön hatte auch gewarnt, die Namenswahl könne zu vergaberechtlichen Problemen führen – so war man bei der Suche nach den Investoren für das neue Karree von historischen Straßennamen ausgegangen. Doch eine Sprecherin des kommunalen Sanierungsträgers für die Mitte sagte auf PNN-Anfrage: „Vergaberechtliche Probleme aufgrund der Umbenennung der Straßen sind uns nicht bekannt.“ Allerdings hätten die bisherigen Namen ein „gewisses Maß“ an Gewohn- und Vertrautheit erzeugt – hier werde eine Umgewöhnung erforderlich sein. 

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