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Kinderarzt Thomas Erler (l.) hilft gemeinsam mit seinem Kiewer Medizinerkollegen Sergeij Gichka, wo er kann.

© Andreas Klaer

Potsdamer Klinikum: Hilfe für die Kinder des Krieges

Das Bergmann-Klinikum engagiert sich stark in der Ukraine, aber auch bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen in Potsdam.

Potsdam - Potsdam hilft den Menschen in der Ukraine – und dabei spielt das kommunale Klinikum „Ernst von Bergmann“ derzeit die entscheidende Rolle. Spenden in Höhe von gut 90.000 Euro liegen aktuell auf dem Konto des Vereins Freundes- und Förderkreis des Klinikums Ernst von Bergmann e.V. Zusammengekommen ist das Geld vor allem beim Solidaritätskonzert am vergangenen Mittwoch im Nikolaisaal, das Kulturministerin Manja Schüle (SPD) maßgeblich auf die Beine gestellt hatte. 

Doch auch darüber hinaus spendeten viele Potsdamer:innen und Institutionen, eine große Summe kam von der Hasso Plattner Foundation, weiteres Geld von den Kliniken in der Region und vom Rotary Club. Hinter der Hilfsaktion, die auch Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) tatkräftig unterstützt, steht Thomas Erler. Er ist Ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendklinik des Klinikums Westbrandenburg, einem Zusammenschluss von Bergmann-Klinikum und Uni-Klinikum Brandenburg / Havel.

Benefizkonzert im Nikolaisaal mit dem Filmorchester Babelsberg, dem Landespolizeiorchester und Gästen wie Katharine Mehrling.
Benefizkonzert im Nikolaisaal mit dem Filmorchester Babelsberg, dem Landespolizeiorchester und Gästen wie Katharine Mehrling.

© Andreas Klaer

Erlers Sohn kam in der Ukraine zur Welt

Der 62-jährige Erler hat eine enge Bindung zur Ukraine, er absolvierte sein Medizinstudium 1978 bis 1984 in Lwiw, sein Sohn ist dort geboren. Erler beherrscht die Sprache, hat Freunde und Kontakte im Land. Mehrfach im Jahr gab er bisher in Lwiw und Kiew Weiterbildungsseminare für Kinderärzte und -ärztinnen und Pflegepersonal. Ab 2015 baute er auch die Kooperation des Klinikums mit dem Pflege-Kolleg Lwiw auf, mittlerweile arbeiten rund 100 Pflegerinnen aus der Ukraine am Bergmann.

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Als der russische Angriffskrieg begann, war für Erler klar: Er muss helfen. Dabei ist er in ständigem Kontakt mit seinem Studienfreund Sergeij Gichka, Chefarzt der Pathologie der Bogomolets National Medical University in Kiew. Der will sein Land erst nicht verlassen, entscheidet sich dann aber doch, seine Frau und die knapp dreijährige Enkeltochter in Sicherheit zu bringen. Am 1. März erreichen sie Potsdam, wo die Mutter der Enkelin ihre Facharzt-Ausbildung absolviert.

Kaum angekommen, ist für Sergeij Gichka klar, dass er zurück nach Kiew muss, um dort als Arzt zu unterstützen – doch Erler überzeugt seinen Freund, zunächst von Potsdam aus zu helfen. Über ihre Kontakte lassen sich Gichka und Erler detailliert schildern, was in Krankenhäusern in Kiew, Charkiw und Lwiw am dringendsten gebraucht wird, und starten eine Sammelaktion. „Wir haben uns buchstäblich Tag und Nacht ausgetauscht“, sagt Erler. 

Medikamente für Kinderkrankenhaus in Charkiw

Auch die Bergmann-Chefs unterstützen, am 4. März fährt der erste Lkw mit den Hilfsgütern los. Gichka ist dabei, er bringt den Transport bis zu einem geheimen Zwischenlager in der Ukraine, wo ausgeladen und dann, koordiniert von der Militäradministration, weiter verteilt wird – am 6. und 7. März, sagt Gichka, seien die Geräte, Materialien und Medikamente aus Potsdam schon in den Kliniken angekommen, unter anderem im Kinderkrankenhaus in der belagerten Stadt Charkiw.

Russische Angriffe sorgten in Charkiw für massive Zerstörungen. 
Russische Angriffe sorgten in Charkiw für massive Zerstörungen. 

© dpa

„Die Hilfe ist sehr wichtig, weil viele Betriebe in der Ukraine kaputt oder nicht mehr in der Lage sind, die nötigen Medizinprodukte herzustellen“, sagt der Ukrainer. Gemeinsam mit Erler organisiert er jetzt die nächste Hilfslieferung. Am Donnerstag um 7 Uhr soll dafür der Lkw vor dem Klinikum stehen, dieses Mal von der Ukraine geschickt. „Denn Sie finden sonst kaum einen Fahrer, der ins Kriegsgebiet fährt“, so Erler. Dann soll der Laster mit Notfallmedikamenten und Material für die Versorgung Kriegsverletzter und zur Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen beladen werden. 

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Partner ist dabei Mario Rüdiger, Chef der Neonatologie und Pädiatrischen Intensivmedizin am Uniklinikum Dresden, der 30.000 Euro gesammelt habe. Dass sie so viel Geld zur Verfügung haben würden, hätten sie nicht erwartet, sagt Erler. Sein ukrainischer Freund sei unglaublich dankbar. „Auf dem Weg nach Haus vom Solidaritätskonzert hat er mir gesagt, jetzt habe er die Seele der Deutschen verstanden.“

Krankenhäuser werden zu Lazaretten

Viele Krankenhäuser in der Ukraine organisierten sich derzeit neu, sie würden zu Lazaretten, sagt Gichka. Wie angespannt die Lage in seiner Heimatstadt ist, bekommt er live mit: Auf seinem Handy ist weiterhin die Fliegeralarm-App für Kiew installiert. Wird der Alarm ausgelöst, schrillt Gichkas Handy. „Das ist jetzt sechs bis acht Mal am Tag.“ In einer großen Kinderklinik in Kiew mit mehr als 600 Betten würden dann die Patienten in Luftschutzkellern in Sicherheit gebracht, sagt er. Ein Gebäude des Krankenhauses sei durch Beschuss zerstört worden.

Ein zerstörtes Gebäude in Kiew.
Ein zerstörtes Gebäude in Kiew.

© dpa

Geholfen wird jedoch mittlerweile auch direkt im Potsdamer Klinikum. In der Kinderklinik versorge man die ersten geflüchteten Kinder, sagt Chefarzt Erler. Sie seien oftmals tagelang auf der Flucht gewesen, bei Kälte, ohne grundlegende Versorgung und unter mangelnden hygienischen Bedingungen, zum Beispiel ohne genügend frische Windeln. Die Kinder litten in der Folge an Infektionen, Durchfall und Erschöpfungssymptomen, so Erler.

Klinikum bereitet sich auf Versorgung von Verletzten vor

Das Klinikum bereitet sich auch darauf vor, Kriegsverletzte aus der Ukraine zu versorgen. Diese würden, so es nötig wird, auf verschiedene Krankenhäuser verteilt, sagte Sprecherin Theresa Decker. Das hatte bereits Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) angekündigt.

Doch zunächst gab es im Bergmann eine freudige Nachricht: Eine aus der Ukraine geflüchtete schwangere Frau hat nach ihrer Ankunft in Potsdam im Klinikum ihr Kind zur Welt gebracht – ein Mädchen namens Lina, geboren am 10. März.

Spenden sammelt der Freundes- und Förderkreis Klinikum Ernst von Bergmann e.V.: Verwendungszweck: Medizinische/humanitäre Hilfe für die Ukraine IBAN DE95120700240309266500

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