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Potsdamer ist halbseitig gelähmt: Eine Gabel steckte im Kopf von Stefan Kost

Vor neun Jahren erlitt Stefan Kost bei einer Party einen schweren Unfall, der ihn halbseitig lähmte. Mit neuer Technik kämpft er sich zurück ins Leben

Potsdam - Stefan Kost ist sportlich, er geht regelmäßig joggen und ins Fitnessstudio. Noch häufiger trainiert der 34-Jährige jedoch in seiner kleinen Wohnung in Potsdam: Dann schaltet er seinen Fernseher an und hält die rechte Hand vor eine kleine Kamera, bis sie registriert wird. Nach einem schweren Unfall vor neun Jahren war der Potsdamer halbseitig gelähmt und hat sich bis heute noch nicht vollständig erholt. Auch mit Hilfe neuer Technik erkämpft er sich ein Stück Selbständigkeit zurück. Nach der Registrierung setzt sich ein animiertes Fahrzeug auf dem Fernsehbildschirm in Bewegung. Durch seine Körperbewegungen kann Stefan Kost das Fahrzeug steuern und Münzen auf der virtuellen Fahrt einsammeln. „MindMaze“ – so heißt das Gerät einer Schweizer Firma, das Stefan Kost bei seiner Rehabilitation unterstützt.

Mühsames Training: Stefan Kost mit der Ergotherapeutin Maren Waschatz. 
Mühsames Training: Stefan Kost mit der Ergotherapeutin Maren Waschatz. 

© PNN / Ottmar Winter

Blick zurück, Juli 2009

Stefan Kost ist 23 Jahre alt. In Lübbenau (Oberspreewald-Lausitz) ist er aufgewachsen und hat dort bis zu seinem 21. Lebensjahr gelebt, sein Abitur und ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert. Dann erfüllt er sich einen Traum, indem er nach Berlin zieht und seine Ausbildung als Physiotherapeut beginnt. In seinem dritten Lehrjahr feiert ein Freund aus Lübbenau Geburtstag. Stefan Kost feiert ausgelassen, trägt zu später Stunde einen Freund auf seinen Schultern. Als er ihn wieder herunterlassen will, verliert er das Gleichgewicht. Reflexartig greift er nach Halt, bekommt aber nur eine Gabel auf dem nahestehenden Tisch zu fassen – und rammt sie sich knapp über dem linken Auge acht Zentimeter tief in den Kopf. „Ich selber kann mich heute nicht mehr an das erinnern, was unmittelbar danach passiert ist“, so Kost. Aus Erzählungen weiß er aber, dass er sich die Gabel zunächst selbst aus dem Kopf gezogen hat – und erstmal einfach weiter feiern wollte. Seine Freunde hielten ihn dann zurück und riefen einen Krankenwagen. Als er abgeholt wird, versucht Kost noch einmal, aufzustehen – dann bricht er endgültig zusammen.

Die virtuelle Darstellung der Bewegung soll Stefan Kost dabei helfen, neue Verbindungen im Gehirn zu schaffen.
Die virtuelle Darstellung der Bewegung soll Stefan Kost dabei helfen, neue Verbindungen im Gehirn zu schaffen.

© PNN / Ottmar Winter

Stück für Stück ins Leben zurück

In einer Cottbuser Klinik liegt er dann elf Tage lang im künstlichen Koma. Wie es für ihn weitergeht, ist zunächst völlig unklar: Seine linke Augenhöhle, die Orbita, ist gebrochen, die linke Hirnhälfte stark geschädigt.

Nach dem Aufwachen ist Kost zunächst sechs Wochen lang auf den Rollstuhl angewiesen, noch vier Jahre nach dem Unfall hat er starke Wortfindungsstörungen. Stück für Stück findet er zurück ins Leben, lernt, wieder zu laufen, und fängt nach der Reha 2011 eine Ausbildung als Kaufmann für Bürokommunikation an. „Aber den ganzen Tag im Büro sitzen, das wollte ich eigentlich nie“, sagt er. Also bricht er ab, beginnt in Cottbus ein Studium der sozialen Arbeit und bricht es wieder ab.

2017 zieht er nach Potsdam, „für mich die schönere, grünere Stadt“, sagt er. Erneut beginnt er zu studieren, diesmal Erziehung und Bildung von Kleinkindern. Aber es fühlt sich nicht mehr richtig an, „in meinem jetzigen Zustand wäre ein Beruf in diesem Bereich für mich kaum zu stemmen“, so Kost. „Außerdem wurde mir klar, dass ich mich einfach noch mehr auf mich und meine Gesundheit konzentrieren muss.“ Obwohl er weiter therapiert wird, hat er bald das Gefühl, gesundheitlich nicht mehr richtig voranzukommen. 2017 empfiehlt ihm ein Freund die Physio- und Ergotherapiepraxis „Hellmuth und Thiel“ in Potsdam.

Neben klassischen Formen der Physio- und Ergotherapie hat sich die Praxis auf den Einsatz von modernen Geräten spezialisiert und bietet unter anderem robotikassistierte Therapie an. Als Kost vor knapp anderthalb Jahren zum ersten Mal die Praxis in der Lennéstraße betritt und die vielen computerbasierten Geräte sieht, ist er zunächst misstrauisch. Inhaber Ullrich Thiel erinnert sich: „Im klassischen Sinn galt Stefan zu diesem Zeitpunkt als austherapiert. Was er brauchte, war ein individuell auf seinen Befund abgestimmter Therapieplan.“ Gemeinsam mit dem Sportwissenschaftler Jörn Hellmuth stellte der Physiotherapeut vor sechs Jahren eine Versorgungslücke fest: „Während eine Kombination aus klassischen Formen der Physiotherapie und moderner Rehabilitationstechnik in vielen Kliniken mittlerweile Standard ist, kommt sie im Bereich der Nachsorge bisher kaum zum Einsatz“, erklärt er. 2012 gründen sie deshalb ihre Praxis in Potsdam, in der auch, aber nicht nur auf gerätegestützte Therapie und Robotik gesetzt wird. „Wer bei uns aber wieder lernen möchte, selbst Kartoffeln zu schälen, wird das auch weiterhin mit richtigen Kartoffeln tun“, betont Thiel.

Stefan Kost beginnt im Herbst 2017 seine Therapie in der Praxis. Fortan wird er dort zweimal wöchentlich behandelt und macht zusätzlich täglich seine „Hausaufgaben“. Das „MindMaze“ erlaubt es ihm etwa, Bewegungen spielerisch neu zu lernen. Die virtuelle Darstellung der Bewegung kann zudem dabei helfen, neue Verbindungen im Gehirn zu schaffen: „Ohne Technik ist dieses Ziel schwieriger umsetzbar“, so Thiel. Außerdem arbeitet Kost intensiv mit der „Gloreha Workstation“: Das robotikgestützte Therapiesystem trainiert Hände und Finger, indem ein Handschuh sie bei der Bewegung unterstützt und sie gleichzeitig auf dem Bildschirm darstellt, um das Gehirn anzuregen. Alle drei Monate hält Kost seine Fortschritte per Video fest und lässt auf seiner Facebook-Seite „mach's einfach.“ auch andere Menschen an seiner Entwicklung teilhaben. Mittlerweile zählt die Seite über 1000 Likes.

Heute kann Kost nicht nur wieder laufen, joggen und den rechten Arm bewegen. An guten Tagen schafft er es, gezielt mit der rechten Hand zu greifen. „Meine Physiotherapeutin hat mir von Anfang an gesagt: In meiner gesundheitlichen Entwicklung werde ich stets zwei Schritte vorwärts und einen zurückgehen. Damit kann ich arbeiten“, sagt er.

Clara Zink

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