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Alles gesund? Laut dem neuen Gesundheitsatlas wird bei rund der Hälfte der Erstklässler in Potsdam ein medizinischer Befund festgestellt, dazu zählen Sprachstörungen, Allergien, ADHS, Übergewicht oder emotionale Störungen, jedes vierte Kind erhält Fördermaßnahmen oder Behandlungen.

© Jens Kalaene/dpa

Potsdamer Gesundheitsatlas 2016: Macht weniger Geld krank?

Der zweite Potsdamer Gesundheitsatlas zeigt, wie viele Kinder in welchen Stadtteilen an gesundheitlichen Defiziten leiden und welche Rolle der soziale Status der Eltern dabei spielt. Ein Überblick.

Potsdam - In welchem Stadteil gibt es am häufigsten Allergien? Wie viele Kinder in Potsdam weisen Sprach- und Sprechstörungen auf? Und wo wird am wenigsten geimpft? Diese Fragen beantwortet der zweite Potsdamer Gesundheitsatlas, der am Dienstag von Sozialdezernent Mike Schubert (SPD) und Frank Thomann, Leiter des Fachbereichs Gesundheit und Soziales der Stadtverwaltung, vorgestellt wurde.

Es handelt sich damit um die Fortschreibung des ersten Gesundheitsatlas, der 2013 veröffentlicht wurde und dessen Daten zwischen 2008 und 2012 erhoben wurden. Der neue Atlas bezieht sich auf den Zeitraum von 2011 bis 2015. Quelle der Daten sind die gesetzlichen Früherkennungsuntersuchungen von Kindern zwischen null und zwölf Jahren.

Sozialer Status

Der Gesundheitsatlas zeigt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Gesundheit und sozialem Status auf: So sind Kinder mit niedrigem sozialem Status um ein 4,5-Faches häufiger von Sprach- und Sprechstörungen betroffen, auch bei Störungen wie ADHS zeigt sich eine ungleiche Verteilung. Derzeit erhält rund jedes vierte Kind in Potsdam Fördermaßnahmen oder gesundheitliche Behandlungen.

Der Atlas offenbart auch, dass der Anteil von Familien mit einem hohen sozialen Status in Potsdam gestiegen ist - möglicherweise wegen des Zuzugs sozial starker Familien. Dies ergibt sich aus Befragungen zum Bildungsstand und zur Erwerbssituation der Eltern. Kamen 2008 noch 8,6 Prozent der Erstklässler aus Familien mit niedrigem sozialem Status, waren es 2015 nur noch 3,8 Prozent. Der Anteil von Kindern mit hohem sozialem Status ist hingegen zwischen 2011 und 2015 von 62,4 Prozent auf 67,8 Prozent gestiegen.

Impfungen

„Bei den Teilnahmen an allen Impfungen liegt die Landeshauptstadt Potsdam unter den Landesdurchschnitten und bildet so insgesamt das Schlusslicht“, heißt es im Gesundheitsatlas. So liegt die Quote der Eltern, die ihren Kindern eine MMR-Impfung (Masern, Mumps, Röteln) geben ließen in Potsdam bei 88,8 Prozent, in Brandenburg liegt dieser Wert bei 95 Prozent. Die Impfungen gegen Tetanus, Diphtherie und Keuchhusten sind sogar leicht zurückgegangen: Lag die Quote für diese Impfungen 2008 in Potsdam noch bei über 95 Prozent, waren es 2015 nur noch rund 93 Prozent.

Auffällig ist dabei, dass es einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Impfrate und dem sozialen Status der Eltern zu geben scheint: So werden Kinder aus Familien mit einem hohen sozialen Status wesentlich seltener geimpft als Kinder aus Familien mit mittlerem oder niedrigem sozialem Status. Dies unterstreicht den Trend, „dass es eine steigende Anzahl an gut gebildeten Eltern, vor allem mit hohem Sozialstatus gibt, die ihre Kinder bewusst nicht impfen lassen“, so der Gesundheitsatlas.

Das wird auch im Vergleich der sogenannten Planungsräume in Potsdam deutlich: In „Waldstadt I, Industriegebiet“ wurden 100 Prozent der Kinder gegen Masern geimpft, an letzter Stelle liegt die Brandenburger Vorstadt mit 76,5 Prozent. Der Wert ist damit noch einmal gesunken, 2012 lag er bei 79,9 Prozent. Insgesamt weisen Gebiete wie Am Stern, Drewitz oder Kirchsteigfeld die besten Impfraten auf.

Woran das liegt, darüber kann Thomann nur spekulieren: Möglicherweise bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Zuzug aus Westdeutschland, wo Impfskepsis und die Angst vor Impfschäden schon seit Längerem verbreitet sind, während langjährige Bewohner der Stadt noch mit der Impfpflicht in der DDR aufgewachsen sind. „Wir werden vielleicht ortsspezifisch Impf-Kampagnen auflegen, um die Zahlen wieder hochzukriegen“, sagte Mike Schubert. Bereits jetzt werden Eltern bei jeder Vorsorgeuntersuchung ihrer Kinder auf die Wichtigkeit von Impfungen und entsprechende Beratungen hingewiesen. Seit September 2015 gibt es sogar die gesetzliche Möglichkeit, nicht-geimpfte Kinder vom Schulunterricht auszuschließen. „Dies musste bislang aber noch nicht angewandt werden“, so die Leitende Amtsärztin Kristina Böhm. „Wir sind da immer auf Eltern gestoßen, die sehr proaktiv waren.“

Medizinische Befunde

Der Gesundheitsatlas zeigt ebenfalls auf, wie viele Kinder vor der Einschulung an Sprach- und Sprechstörungen, Allergien, Entwicklungsstörungen, Über- und Untergewicht oder sozialen und emotionalen Störungen leiden. Bei knapp der Hälfte aller Kinder wurde nach der Schuleingangsuntersuchung ein solcher Befund festgestellt, bei den meisten davon handelte es sich um Allergien und Sprachstörungen.

Sprach- und Sprechstörungen

2015 wiesen 15,7 Prozent der untersuchten Kinder Beeinträchtigungen beim Sprechen auf, wobei Jungen häufiger betroffen waren als Mädchen. Das ist ein Anstieg gegenüber 2012, damals lag der Wert noch bei 9,1 Prozent. Am häufigsten sind Kinder aus Kirchsteigfeld, Schlaatz und Waldstadt II davon betroffen. Ursachen könnten laut dem Gesundheitsatlas der steigende Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund sein, aber möglicherweise auch der erhöhte Medienkonsum von Schulanfängern. Im Vergleich zum Landesdurchschnitt steht Potsdam aber gut da, hier haben durchschnittlich 19,3 Prozent der Kinder Sprachdefizite (Stand 2014).

Allergien

Zwischen 2014 und 2015 gab es einen Anstieg an Allergien um 3,4 Prozent bei Potsdamer Kindern, damit weisen aktuell 12,3 Prozent der Schulanfänger Allergien auf. Vor 2014 war der Trend eher rückläufig, nun ist er wieder leicht angestiegen. Waren 2012 vor allem Kinder aus Kirchsteigfeld, Waldstadt II und dem Potsdamer Norden von Allergien betroffen, stehen 2015 Babelsberg mit 18,8 Prozent und Potsdam-West mit 17,3 Prozent an der Spitze.

Emotionale und soziale Störungen

7,2 Prozent der Kinder in Potsdam leiden unter Angststörungen, Phobien, depressiven Störungen und Zwangsstörungen. Der Anteil dieser Störungen war seit 2012 auffallend rückläufig, stieg 2015 jedoch wieder an. Jungen leiden 2,5-mal häufiger daran als Mädchen. Am häufigsten betroffen sind die Ortsteile im Potsdamer Norden sowie in Zentrum Ost.

Über- und Untergewicht

Erhebliches Über- oder Untergewicht ist in Potsdam seit Jahren auf sehr niedrigem Niveau: Lediglich 2,1 Prozent der Kinder leiden an zu viel Gewicht, 1,4 an zu wenig, Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gibt es kaum.

Maßnahmen

Auf die Vorstellung des ersten Gesundheitsatlas folgte 2014 ein Fachtag, an dessen Ende eine Reihe von Handlungsempfehlungen stand: Dazu zählten der Ausbau von Präventionsketten, der Elternbildung, die Anhebung des Erzieherschlüssels und bessere Vernetzung von Ärzten und Gesundheitsbehörden.

Einiges davon wurde bereits umgesetzt: So wurde der Erzieherschlüssel ab 2016 für die unter Dreijährigen erhöht, ab 2017 soll eine Erhöhung für die Drei- bis Sechsjährigen folgen. Über das Jugendamt stehen fünf Sprachberater zur Verfügung, die die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas bei Problemen mit Kindern mit Sprachstörungen unterstützen. Um soziale und emotionale Störungen zu vermindern, wurden verstärkt in Potsdam Schulhelfer über das „Schule und Jugendhilfe-Konzept“ eingesetzt. Zudem sei Potsdam in mehreren Netzwerken aktiv, zum Beispiel dem Netzwerk „Gesunde Kinder“, das die Stadt jährlich mit 30 000 Euro unterstützt.

Die Maßnahmen werden spezifisch für die betroffenen Stadtteile gesteuert und die Mittel dementsprechend verteilt; dafür diene der Gesundheitsatlas als Grundlage, so Mike Schubert. Anfang 2017 soll es ebenfalls einen Fachtag geben, um die Ergebnisse des neuen Gesundheitsatlas zu diskutieren, bisherige Handlungsempfehlungen zu überprüfen und bei Bedarf neu zu formulieren.

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