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Potsdam: Werbeschlacht um Potsdams Mitte

Gegner und Befürworter der Pläne für Potsdams Stadtzentrum haben sich einmal mehr in Stellung gebracht. Ein Besuch in beiden Lagern.

Von Matthias Matern

Potsdam - Zwölf Uhr mittags an der Kreuzung Friedrich-Ebert-Straße und Am Kanal. Bert Nicke steht etwas verloren vor der Brandschutzwand des Bildungsforums und wartet auf den Oberbürgermeister. Eigentlich wollte der Chef des Potsdamer Sanierungsträgers zusammen mit Jann Jakobs der Presse die beiden Riesenplakate vorstellen, die seit dem Morgen an der Hauswand zur Friedrich-Ebert-Straße hängen. Darauf zu sehen: Visualisierungen der Potsdamer Mitte. Anstelle der vor sich hin siechenden Fachhochschule finden sich dort Häuserzeilen, historische Fassaden zieren die Eckbauten. Auf dem Alten Markt vor dem Landtagsschloss sitzen Passanten in namenlosen Cafés unter Schirmen. Eine durchaus schöne Vision.

An diesem Freitag ist es aber einfach nur heiß, die Sonne brennt, der Wind pfeift über die viel befahrene Kreuzung – und schmeißt erst einmal Nickes Fahrrad um. Wer nicht kommt, ist Jakobs. „Tja, dann nicht“, sagt Nicke und zuckt mit den Schultern. „Ist ja ohnehin nur ein Fototermin.“

17.000 Unterschriften für das Bürgerbegehren

Möglicherweise feilt der Oberbürgermeister noch an der richtigen Wortwahl für den Auftritt am Abend. In wenigen Stunden will er zusammen mit seinem Chefstadtplaner Andreas Goetzmann den Potsdamern auf einer Bürgerversammlung die Pläne erläutern, die zu den Plakaten an der Brandschutzwand gehören. Nicke will auch dabei sein. Möglicherweise wird ihm dort ebenfalls ein strammer Wind um die Ohren pfeifen. Gegen den geplanten Abriss der Fachhochschule und weiterer Bauten aus DDR-Zeit wie dem Hotel Mercure und dem Wohnblock „Staudenhof“ macht die Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ mobil – durchaus erfolgreich. 17 000 Unterschriften haben sie innerhalb von rund drei Monaten gegen den angeblichen Ausverkauf der Stadtmitte gesammelt. Schließlich soll das Areal, auf dem die Fachhochschule steht, in einzelne Parzellen aufgeteilt und an Investoren verkauft werden. Am Mittwoch will die Initiative die Stimmen übergeben und einen Bürgerentscheid beantragen. Was wäre, wenn die Gegner Erfolg hätten, die Pläne gekippt würden? Nicke will sich das wohl lieber gar nicht vorstellen. „Dann wäre die ganze Arbeit umsonst und der Stadtumbau, der 1990 begonnen wurde, wenn nicht beendet, so zumindest angehalten“, sagt er und sieht dabei etwas zerknirscht aus.

Aus seiner Sicht ist der Umbau des Alten Markts ohnehin beschlossene Sache und demokratisch legitimiert. Am 1. Juni dieses Jahres hatten die Stadtverordneten dem Leitbautenkonzept zugestimmt. Danach ist klar: Auf dem rund 25 000 Quadratmeter großen Grundstück sollen zwei neue Karrees entstehen, entsprechend dem einstigen Stadtgrundriss. Die Wohn- und Geschäftshäuser sollen zum Teil ihre historischen Fassaden bekommen, andere Gebäude sollen an das historische Antlitz erinnern. Wieder andere können relativ frei und modern gestaltet werden. Ein Drittel der geplanten Wohnfläche soll mietpreis- und belegungsgebunden sein.

Gegner des Leitbautenkonzepts bringen sich in Stellung

Klingt eigentlich ganz gut? Das sieht Lutz Boede von der Fraktion Die Andere in der Stadtverordnetenversammlung anders: „Die Miet- und Belegungsbindung gilt ja leider nur für 20 Jahre, wenn überhaupt“, sagt er und stellt einen wackligen Klapptisch vor der Fachhochschule auf. Es ist kurz nach 16 Uhr. Die Gegner des Leitbautenkonzepts bringen sich in Stellung. Boede legt noch zwei Kladden mit den Unterschriftenlisten auf den schwarzen Campingtisch. „Wir wollen ja noch ein paar Unterschriften, soll ja keiner traurig sein, dass er nicht dabei sein kann.“ Das Versprechen der Stadt, dass auf dem Areal von den angepeilten bis zu 400 neuen Wohnungen rund ein Drittel dauerhaft bezahlbar sein sollen, hält er für unlauter. „Am Ende werden es sowieso weniger, weil dies und das wieder nicht umsetzbar ist“, sagt er und winkt ab. Inzwischen haben sich auch andere Mitstreiter der Initiative um den Klapptisch versammelt. Bei den Passanten scheint das Interesse eher gering, unterschreiben will bislang keiner.

Auch Inge Jahnke lässt die Unterschriftenlisten links liegen und steigt die Treppen zum Hörsaal 1 empor, wo gleich die Bürgerversammlung beginnt. Ob sie unterschrieben hat? „Nein, ich bin ja für den Abriss. Ich bin nur gekommen, um zu erfahren, was hier alles genau entstehen soll“, sagt sie. Sie sei zwar keine gebürtige Potsdamerin, sei aber schon 1969 nach Potsdam gezogen. Heute allerdings lebe sie in Rehbrücke. „Was mich besonders stört, wenn ich hier immer vorbeifahre, ist die kahle Fassade an der Bibliothek. Ich hoffe einfach, dass das ganze Areal belebter wird, dass Cafés entstehen, dass das mal ein richtiges Zentrum wird“, sagt sie.

Warum werden keine Bäume auf dem Alten Markt gepflanzt?

Wenig später, gegen kurz nach 17 Uhr geht es los. Diesmal ist Sanierungsträger-Chef Nicke nicht allein. Oberbürgermeister Jakobs und Stadtplaner Goetzmann sitzen neben ihm vor den gut gefüllten, ansteigenden Sitzreihen. Etwa 100 Menschen sind da. Nach einer kurzen Rede von Jakobs ergreift Goetzmann das Wort und erläutert die Gestaltungspläne – selbstverständlich in bestem Fachchinesisch. Im Hörsaal ist es heiß und stickig, dem ein oder anderen fallen zwischendurch die Augen zu. Von Gegenwind ist nichts zu spüren, von einer gewissen Skepsis allerdings schon. In der Fragerunde wollen die Teilnehmer etwa wissen, wie gewährleistet werde, dass sich nicht wie an anderen Orten der Stadt Investoren ganze Häuserzeilen „unter den Nagel reißen“ können? Ob die geplante Tiefgarage nur für Anwohner gedacht ist? Warum auf dem Alten Markt keine Bäume gepflanzt wurden? Jakobs, Nicke und Goetzmann arbeiten sich durch die Fragen, berichten vom „ausgeklügelten“ Vergabeverfahren, von zu erwartender Verkehrsbelastung, hohen Denkmalschutzauflagen. Gelegentlich gibt es, wohl von Befürwortern der Pläne, moderaten Beifall.

Boede und die meisten seiner Mitstreiter sitzen zusammen in einer Reihe. Sie warten noch. Erst nach einer guten Stunde Fragerunde legen sie los, stellen die Grundsatzentscheidung zur Annährungen an das historische Stadtbild infrage, warnen vor Mietexplosion und dem Ausverkauf der Stadt. Doch offenbar ist die Luft raus. Die Zustimmung ist, gelinde gesagt, verhalten. Einige, die die Hitze noch nicht ganz ermattet hat, schütteln die Köpfe, andere verlassen bereits den Hörsaal. Draußen steht die Luft, kein Wind geht, die beiden neuen Riesenplakate hängen müde in den Seilen.

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