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Büro in Potsdam. Ryo Ueki, Richter aus Japan, begleitet während seines einjährigen Studienaufenthalts derzeit Kollegen am Landgericht Potsdam. Dass ihm hier neben seiner umfänglichen Arbeit sogar noch Zeit für seine Familie bleibt, freut ihn sehr.

© Ronny Budweth

Potsdam: Verhandeln auf Deutsch

Ryo Ueki ist Richter in Japan und seit Januar Hospitant am Landgericht Potsdam. Er mag die deutsche Redefreudigkeit, deutsches Essen und das viele Grün in der Stadt.

Die Deutschen diskutieren gern. Das hat Ryo Ueki als Erstes bemerkt, seitdem er in Deutschland ist. Der Japaner verbringt derzeit ein Jahr, von Juli 2017 bis Juli 2018, als Hospitant an verschiedenen Gerichten in Potsdam und Cottbus. Jetzt setzt er seinen Studienaufenthalt seit Januar am Landgericht Potsdam fort. Für den 30-Jährigen, der in Shizuoka an der Südostküste von Honshu, der Hauptinsel von Japan, am dortigen Landgericht als Richter tätig ist, ist es ein aufregendes Jahr mit vielen neuen Einblicken. Dass die deutschen Anwälte und Parteien gerne mündlich verhandeln, beispielsweise während eines frühen ersten Termins, ist eine der neuen Erfahrungen. „In Japan“, sagt Ueki, „übergeben die Anwälte einander lieber Schriftsätze. Die Anwälte möchten lieber alles in Ruhe bedenken und aufschreiben.“

Das Diskutieren findet er persönlich ganz gut. Vielleicht wird er nach seiner Rückkehr die Parteien eines Verfahrens als Richter verstärkt dazu auffordern, mehr miteinander zu sprechen. „Mal sehen, wie das angenommen wird“, sagt Ueki.

Hier in Deutschland fällt ihm das Sprechen noch etwas schwer. Vor seiner Abreise nach Deutschland besuchte er in Japan einen Grundkurs am Goethe-Institut, in Berlin ging der Unterricht weiter. Ueki spricht langsam, aber deutlich, und Begriffe wie Kammergericht und Klageerwiderungsschrift gelingen besonders gut. Als Hospitant einer Potsdamer Zivilkammer muss er hier vor allem Akten lesen und Gutachten studieren. Er nimmt an Beratungen der Kammer teil und begleitet Kollegen in Verhandlungen, wo er die Diskussionen interessiert verfolgt. Sein Eindruck: „Die Rechtsanwälte treten dem Gericht gegenüber manchmal sehr forsch und selbstbewusst auf.“

Er hat ein eigenes Büro, auch das ist anders als in Japan. Dort teilen sich meist mehrere Richter-Kollegen, auch der Vorsitzende, ein Großraumbüro. Das erleichtere zwar den Gedankenaustausch unter Kollegen, aber die Ruhe eines eigenen Büros lernt er gerade zu schätzen. Zum Reden gibt es hier andere Gelegenheiten, zum Beispiel wenn er mit den Kollegen mittags in die Mensa geht. Eine Kantine gibt es am Landgericht Shizuoka nicht.

Seit Mitte der 90er-Jahre sind Brandenburger Gerichte Gastgeber für Hospitanten aus dem Ausland, aus Japan kamen bisher allerdings erst wenige. Ryo Ueki wollte nach Deutschland, weil er hier einst einen Freund besuchte. Deutschland gefiel ihm. Deshalb bewarb er sich um ein Sabbatical und war einer von 30 Richtern aus ganz Japan, die für ein Jahr freigestellt wurden. Das Gehalt wird weiterhin bezahlt.

Der internationale Austausch funktioniert auch umgekehrt, auch deutsche Richter unternehmen regelmäßig Studienreisen ins Ausland. „Es ist wichtig, auch einmal über den Tellerrand zu schauen, um zu sehen, wie unsere Kollegen aus anderen Ländern arbeiten“, sagt der Pressesprecher des Landgerichts, Sascha Beck. „Letztlich versuchen wir alle, Sachverhalte aufzuklären und Gesetze anzuwenden. Trotzdem arbeiten unsere ausländischen Kollegen zum Teil sehr unterschiedlich“.

Ryo Ueki interessiert sich vor allem für Fälle aus dem Bau- und Architektenrecht. So hat er einen Fall verfolgt, bei dem ein Architekt sein Honorar einklagte, der Beklagte aber aufgrund von Ausführungsmängeln nicht zahlen wollte. „Da gibt es jetzt einen Vergleich“, sagt Ueki. Demnächst wird er medizinische Gutachten lesen müssen, wenn er einer Arzthaftungskammer hospitiert. Im April geht es dann zum Arbeitsgericht. Ein Rechtswörterbuch – Ueki benutzt ein elektronisches aber auch das gute alte Buch – hat er immer zur Hand. Es sei erstaunlich, sagen seine hiesigen Kollegen, dass Ryo Ueki nach so kurzer Zeit in Deutschland stets gründlich vorbereitet ist und den mündlichen Verhandlungen scheinbar mühelos folgen kann.

Für den Deutschlandaufenthalt hat Ueki seine Familie mitgebracht, seine Frau, die ebenfalls Richterin ist, und ihre kleine Tochter. Wegen des Babys hatten sie sich entschieden, in Berlin zu wohnen. „Meine Frau wollte eine Großstadt mit einem großen Krankenhaus“, sagt Ueki, aus der Ferne erschien ihnen Berlin da geeigneter. Das Pendeln findet er nicht schlimm. In Japan ist Pendeln normal, er selbst fährt dort täglich 180 Kilometer mit dem Zug hin und zurück, zwischen seinem Wohnort Tokio und Shizuoka. Das sei allerdings selbst für japanische Verhältnisse etwas weit. Arbeitszeit ist dort von 9 bis 22 Uhr, das Wochenende nutzt er meist zum Aktenstudium.

Insofern empfindet er das Jahr in Potsdam und Berlin als besonders familienfreundlich. Hier habe er auch mal Zeit, um mit seiner Tochter spazieren zu gehen. „Potsdam und Berlin sind sehr grün, das ist in Tokio ganz anders.“ Ihm gefällt auch die Architektur, vor allem die vielen historischen Altbauten, ein starker Kontrast zum modernen Japan. „Und die Menschen sind sehr freundlich, besonders zu Kindern“, sagt der Familienvater. Weniger begeistert ist er vom Dreck auf den Straßen, von den vielen Zigarettenkippen. Vom deutschen Essen hat er schon vieles probiert. Das Bier ist lecker, sagt er, Bratwürste schmecken, Eisbein und Sauerkraut auch. „Aber Fisch ist leider teurer als in Japan.“

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