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Der Weinberg auf dem Schloss Sanssouci thront ist einer der Spitzenberge der Stadt, sagt Mörtl.

© Ottmar Winter PNN

Potsdam und seine Berge: Die Stadt der 75 Gipfel

Pfingstberg, Klausberg, Ruinenberg? Klar, die kennt man. Doch wo ist bloß der Tiroler Berg? Wolfgang Mörtls überraschender Wanderführer rund um Potsdamer Erhebungen.

Von Carsten Holm

Potsdam - Sein schlohweißes Haupt leuchtet in der Nachmittagssonne, als Wolfgang Mörtl am Schloss Sanssouci steht und neben dem Rossbrunnen, der alten Pferdetränke, die ziemlich verrückte Geschichte des Hügels hinter ihm erzählt. Am heutigen Donnerstag erscheint sein erstes Buch. Der „Bergführer Potsdam“ beschreibt „Die schönsten Spaziergänge zu den 75 Gipfeln der Stadt“. Der kleine Berg hinter ihm spielt darin eine große Rolle, er schmückt sogar das Buchcover.

Ein Stück Italien nachgebaut auf einem Berg

Was der Potsdamer an der Tränke erzählt, ist die Geschichte von Wünschen, die sich Könige wie Friedrich II. erfüllen konnten, wann immer ihnen danach war. Untertanen standen bereit, die mauerten, was gemauert werden sollte, und die, wenn in Potsdam ein Stück Italien fehlte, es kurz mal nachbauten. Das ist, grob vereinfacht, die Geschichte des Ruinenbergs. Sie steht auf Seite 24 von Mörtls Buch.

75 Potsdamer Berge hat Wolfgang Mörtl erkundet, auch den Ruinenberg. In seinem Bergführer lädt er zum Nachwandern ein.
75 Potsdamer Berge hat Wolfgang Mörtl erkundet, auch den Ruinenberg. In seinem Bergführer lädt er zum Nachwandern ein.

© Ottmar Winter PNN

Die Details: 1847 war das Schloss Sanssouci auf dem 50,2 Meter hohen Weinberg errichtet, aber die Umgebung seiner Sommerresidenz empfand Friedrich II. als unvollkommen. Wasserspiele mussten her, doch das Wasser der Havel war zu weit weg. Also ließ er auf einer 74,1 Meter hohen Erhebung, bis dahin Höneberg genannt, ein Wasserreservoir herrichten, das die Fontäne vor dem Schloss nähren sollte. Aber er störte sich daran, dass der Berg geradezu nackt wirkte und sann auf Abhilfe. Die Untertanen fällten viele Bäume – protestierende Umweltschützer gab es noch nicht – und schufen, schon kurios, Neubau-Ruinen: einen Tempel, der wirkte, als sei er längst verfallen, auch ein paar Säulen, die den Eindruck machen sollten, irgendwann eingestürzt zu sein.

„Antikisierende Gestaltungselemente“ nennt Wikipedia die Fake-Ruinen. „Der König wollte auf Symbole für das Vergängliche schauen“, erklärt Mörtl dessen Motiv, „die hat er sich dann mit einer künstlichen Ruinenlandschaft geschaffen“ – und der Berg kam zu seinem neuen Namen.

Bereits Rätsel um Krater von Fahrland gelöst

Mörtl, 1949 in Meißen geboren, hatte in Dresden Mathematik studiert, zog 1973 nach Potsdam und erwarb 1993 am Institut für Agrartechnik den Doktortitel. Als Dozent an der Hochschule in Zittau entdeckte er später seine Leidenschaft für das Bergwandern, sie hielt an, als er 2015, nach seiner Pensionierung, nach Potsdam zurückkehrte. Schon bald wanderte er rund um die Landeshauptstadt und las bändeweise, was ihm über Erhebungen vor die Augen kam. Bald galt er als Experte, es sprach sich herum, dass man nicht gegengooglen musste, was er referierte. PNN-Leser wissen, wie akribisch Mörtl recherchiert. Anfang Januar schilderte der Vater zweier Söhne mit seinem Schwager Helmut Matz aus Caputh exklusiv, wie beide das Rätsel um den 120 Meter breiten und 13 Meter tiefen Krater von Fahrland lösten: Es war ein Übungsplatz der Roten Armee für Sprengungen. Anfang dieser Woche der jüngste Erfolg der beiden Natur- und Heimatdetektive: Sie wiesen nach, dass das 1911 gegründete Naturtheater seine Stücke am Brauhausberg an anderer Stelle aufgeführt hatte, als jahrzehntelang lang angenommen worden war.

Keine Mindesthöhe für Berge vorgegeben

Aber nun das Buch. Sieben Hügel in Rom – und 75 Gipfel in Potsdam? Mörtl, 71 Jahre alt, verschweigt nicht, „dass ich fast immer etwas ungläubig angeschaut und sogar etwas belächelt wurde, wenn ich auf das Thema Potsdamer Berge zu sprechen kam“. Und er gibt einen skurrilen Dialog vom 28. August 2016 an der Bundesstraße 273 wieder. „Was fotografieren Sie denn da?“, wird er gefragt. „Den Hasselberg dort drüben.” Die Nachfrage: „Beeeerg?" Mörtls Buch taugt zum Touristenführer ebenso wie für Einheimische, die ihre Heimat besser kennenlernen wollen. Es war ihm „nicht wichtig, ob es sich um natürlich oder künstlich entstandene Berge handelt, auch habe ich keine Mindesthöhe vorgegeben“. Entscheidend war, „dass die Stelle Berg heißt und in Potsdam liegt“. Klar: Mit dem Begriff Berge verbinden viele außerhalb Potsdams kaum Erhebungen mit Namen wie Telegrafenberg (96 Meter), Brauhausberg (88), Kirchberg (85,3), Babelsberg (77,4), Pfingstberg (76) oder Klausberg (57,8). Es gibt nun mal nicht die Unbezwingbaren in der Umgebung oder einen Göttersitz wie den Olymp. Für das Naturerlebnis jedoch spielt es keine Rolle, lernt man bei Mörtl, wenn die Erstbesteiger unbekannt sind.

Der Klausberg mit seinem Belvedere.
Der Klausberg mit seinem Belvedere.

© Andreas Klaer

Der Autor macht sich für die eher bescheidene Art der Naturerfahrung ein Zitat aus Theodor Fontanes „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ zu eigen: „Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben.“

Weinberg Sanssouci ein Spitzenberg

Die seiner Einschätzung nach attraktivsten Ziele hat er mit zwei Sternen gekennzeichnet. Die Nummer Eins ist, wenig überraschend, der Weinberg, auf dem Schloss Sanssouci steht, er hieß vor dem Schlossbau der Wüste Berg. Die Historische Mühle daneben entstand ab 1787, und Mörtl räumt mit der Legende auf, Friedrich der Große habe sich an dem Geklapper gestört und sie auf- und wegkaufen wollen. Die Wahrheit: Er schätzte sie als Zeichen ländlicher Idylle.

Tiroler Berg ist 1,30 Meter hoch

Der Klausberg – ein Ort mit dem ersten von mehreren Belvederes und dem im Stil einer chinesischen Pagode errichteten Drachenhaus. Der Tiroler Berg ist mit 32,5 Metern über dem Meerespiegel zwar der niedrigste der Potsdamer Berge, Mörtl hat ihm aber dennoch zwei Sterne verliehen. 

Der Tiroler Berg im Park Sanssouci ist zwar nur 1,30 Meter hoch, hat aber einen Grabaltar.
Der Tiroler Berg im Park Sanssouci ist zwar nur 1,30 Meter hoch, hat aber einen Grabaltar.

© Andreas Klaer

Er erhebt sich nur 1,30 Meter über seine Umgebung – aber seine Besonderheiten sind der 1851 aus weißem Marmor entstandene römische Grabalter und die seltenen Zürgelbäume mit ihren orangenen bis dunkelroten Früchten.

Panoramablick vom Großen Heineberg

Zwei Sterne vergibt er für den Pfingstberg. Das Belvedere mit seinen weithin sichtbaren Türmen ist für ihn allerdings, weil es kaum nutzbare Räume hat, „Schauarchitektur”. Den Telegrafenberg kennen nicht nur Potsdamer wegen des Wissenschaftsparks Albert Einstein. Mörtl empfiehlt dort einen Rundweg mit 14 Stationen. 

Der Große Heineberg in Bornim ist eine aufgeschüttete Deponie.
Der Große Heineberg in Bornim ist eine aufgeschüttete Deponie.

© Andreas Klaer

Er preist auch den Panoramablick vom Großen Heineberg (75,8) in Bornim – auch wenn es eine aufgeschüttete Deponie ist, die die Aussicht ermöglicht.

Seine Liste der 75 Gipfel, weiß Mörtl, ist nicht mehr aktuell: „Es gibt einen neuen Berg auf einer ehemaligen Deponie in Golm.” Für den, so der Autor, werde jetzt ein Name gesucht. Der dortige Chronist Siegfried Seidel habe in der Ortsteilzeitung zu Vorschlägen aufgerufen.

— Wolfgang Mörtl: Bergführer Potsdam – Die schönsten Spaziergänge zu den 75 Gipfeln der Stadt. Bebra Verlag, 192 Seiten,

16 Euro.

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