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Steffen Schroeder spielt seit gut fünf Jahren den Kriminalkommissar Tom Kowalski in der ZDF-Krimiserie "Soko Leipzig". Dass der Potsdamer Schauspieler auch ehrenamtlicher Justizhelfer ist, wussten lange nur Familie und enge Freunde.

© S. Gabsch

Potsdam: TV-Kommissar trifft Mörder

Der Potsdamer Schauspieler Steffen Schroeder hat ein Buch geschrieben. Darüber, wie er einem verurteilten Mörder als Justizhelfer zur Seite steht. Eine wahre Geschichte.

Tegel – bei dem Namen denken viele zuerst an den nächsten Urlaub und in diesen Tagen vielleicht auch an die Frage, ob ein Streik am Flughafen die Reisepläne durchkreuzt. Wenn sich Steffen Schroeder – Schauspieler, Wahlpotsdamer und seit 2012 TV-Ermittler in der „Soko Leipzig“ – alle zwei bis drei Wochen nach Berlin-Tegel aufmacht, dann aus einem ganz anderen Grund: Schroeder ist ehrenamtlicher Vollzugshelfer im Gefängnis Tegel, das nur durch ein kleines Wäldchen vom Flughafen getrennt ist. Er betreut einen Mann, der wegen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt ist. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben. „Was alles in einem Menschen sein kann“ heißt es, Untertitel: „Begegnung mit einem Mörder“.

Micha, so nennt Schroeder den Mann, den er seit 2013 begleitet. Es ist eine ungewöhnliche Beziehung, die sich zwischen den beiden gleichaltrigen Männern entwickelt, sind sie doch scheinbar so verschieden: Auf der einen Seite der erfolgreiche Schauspieler und Familienvater, auf der anderen ein Mann, der fast die Hälfte seines Lebens im Knast verbracht hat: aus schwierigen Verhältnissen kommend, erst Heimkind, dann in der rechten Szene aktiv und schwer gewalttätig, was ihm zwei Haftstrafen einhandelt, bekam dieser Micha, der zwischenzeitlich auch in Potsdam lebte, als 22-Jähriger das Urteil lebenslänglich, weil er einen brutalen Mord an einem Unbeteiligten verübte.

Das Thema Verbrecher habe Steffen Schroeder schon lange interessiert

Nach 14 Jahren im „Planet Tegel“, wie das Gefängnis mit den 933 Plätzen bei den Häftlingen heißt, hat Micha praktisch keine Kontakte mehr nach draußen. Der neue Justizhelfer Steffen Schroeder wird, wie schnell klar wird, für ihn zur wichtigen Bezugsperson. Aber was bewegt den Fernsehkommissar, sich auf diese emotional anspruchsvolle Reise zu begeben? Vom zeitlichen Faktor – Schroeder lebt mit seiner Frau und den drei Söhnen in Potsdam, pendelt für die Dreharbeiten aber nach Leipzig – ganz zu schweigen.

Das Thema Verbrecher, sagt er, habe ihn schon lange interessiert. Weil er als Jugendlicher selbst eine „problematische Phase“ hatte und sich von vielen Seiten missverstanden fühlte, auch wenn sich seine Aggressionen nie gegen andere richteten. Hinzu kommen die beruflichen Parallelen: „Als TV-Kommissar lebe ich in gewisser Weise vom Verbrechen.“ Als er bei einer Charity-Veranstaltung etwas Geld verdient hatte, habe er das für einen guten Zweck spenden wollen. Ein Teil ging an die Organisation Weisser Ring, die sich für die Opfer von Verbrechen starkmacht. Aber ihn habe auch die Täterseite interessiert. Er stieß auf den „Verein für Straffälligenhilfe“. Bei einer Gefängnisbesichtigung entschloss er sich dann, selbst Justizhelfer zu werden – eine Bauchentscheidung. „Ich dachte, ich probiere das für ein Jahr aus“, sagt Schroeder.

„Ich möchte ihn dazu bringen, seine Schuld anzuerkennen"

Aus dem Probejahr sind inzwischen fast vier Jahre geworden. Es ist eine Zeit mit Höhen und Tiefen, tagebuchartig lässt Schroeder die Leser daran teilhaben. Vom ersten Treffen hin zu Erfolgserlebnissen und berührenden Momenten, etwa wenn Schroeder sich der Aufgabe annimmt, die Beerdigung eines Mithäftlings zu organisieren. Aber es gibt auch viele Situationen, in denen er Zweifel, Misstrauen oder Wut empfindet. Immer wieder versucht er Micha dazu zu bringen, über seine Tat nachzudenken: „Ich möchte ihn dazu bringen, seine Schuld anzuerkennen und Verantwortung zu übernehmen“, erklärt Schroeder. Damit kommt er voran, wenn auch in kleinen Schritten. „Ich bin jemand, der nicht schnell aufgibt“, sagt er.

Bei den Gesprächen mit Micha gewinnt der Leser auch Einblicke in Strukturen und ungeschriebene Gesetze im Gefängnis. Steffen Schroeder fragt immer wieder nach, bis er zum Beispiel versteht, wie jemand hinter Gittern drogenabhängig werden kann – oder wieso es Gefangene gibt, die irgendwann gar nicht mehr nach „draußen“ wollen, weil der trostlose Gefängnisalltag der einzige Halt ist, den sie noch im Leben haben. „Dieser Apparat Gefängnis ist in vielen Bereichen überholt“, sagt Schroeder.

Schroeder nähert sich dem verurteilten Verbrecher unvoreingenommen

Sein Engagement im Gefängnis sieht der 42-Jährige auch als Präventionsarbeit: „Wenn wir nicht wollen, dass es wieder neue Opfer gibt, dann müssen wir diese Menschen integrieren, wenn sie irgendwann einmal entlassen werden“, ist er überzeugt. Schroeder lässt sich ganz persönlich auf diese Aufgabe und auf Micha ein. Die Unvoreingenommenheit und Offenheit, mit der er sich dem verurteilten Verbrecher nähert, hat etwas beinahe Christliches. Darauf angesprochen, nickt Steffen Schroeder. Mit der Institution Kirche, sagt er, habe er zwar seine Probleme. Aber die biblische Geschichte davon, wie Jesus den sündigen Zöllner Zachäus durch Vertrauen und Zuwendung dazu bewegt, sein Leben zu ändern, war für ihn „die Bibelstelle, die mich als Kind am meisten bewegt hat“ – und die für ihn den Kern des christlichen Glaubens auf den Punkt bringt: „Auf den Sünder zugehen und versuchen, ihn wieder reinzuholen.“

Sein Buch stellt Schroeder in der kommenden Woche bei der Leipziger Buchmesse vor. Und er hat auch schon Pläne für ein zweites, wie er verrät. In der Krimi-Sommerpause will er mit der Arbeit anfangen. Am 26. März um 20 Uhr liest Steffen Schroeder am Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, aus seinem Buch „Was alles in einem Menschen sein kann. Begegnung mit einem Mörder“ von Steffen Schroeder ist im Verlag Rowohlt Berlin erschienen. 304 Seiten kosten 16,99 Euro.

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