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Potsdam: Nadja Uhl: „Wir haben hier ein kostbares Stück Heimat für die Flüchtlinge“

Die Potsdamer Schauspielerin Nadja Uhl über die Arbeit mit Andreas Dresen, die Liebe zu „Timm Thaler“ und ihre ganz persönliche Beziehung zum Krieg in Syrien.

Frau Uhl, Sie haben vor zehn Jahren zuletzt mit Andreas Dresen gedreht, „Sommer vorm Balkon“ ist ein großer Erfolg geworden. Wie war das Wiedersehen für „Timm Thaler“?

Ich habe sehr bedauert, dass es keine Projekte in der Zwischenzeit gab, weil ich ausgesprochen gern mit Andreas arbeite. Und ich habe wieder gemerkt: Andreas steht auch für ein bestimmtes Team. Der Kontakt zwischen uns ist nie abgerissen, allein schon durch Potsdam nicht. Genauso übrigens wie zur Maskenbildnerin Grit Kosse oder der Kostümbildnerin Sabine Greunig, beides Potsdamerinnen.

Beide waren bei „Timm Thaler“ dabei.

Mit diesem Team zu arbeiten, ist für mich ein tolles Gefühl. Das ist ein bisschen wie nach Hause kommen.

Kannten Sie das Buch von James Krüss vor dem Dreh?

Ich bin wie viele in meiner Generation aufgewachsen mit der Fernsehserie mit Thomas Ohrner und Horst Frank

als Timm und sein Gegenspieler, dem teuflischen Baron Lefuet

Die Reihe habe ich geliebt als Kind! Und das Buch kenne ich auch. Als Andreas gefragt hat, ob ich diese kleine Rolle übernehmen würde, habe ich sofort zugesagt.

Was macht Andreas Dresen anders als andere?

Er schafft eine besondere Stimmung als Regisseur, zwischen Autorität, aber auch großer künstlerischer Freiheit. Ich glaube auch, dass alle um Andreas herum etwas widerspiegeln, was ihn selbst ausmacht: Nämlich, dass er versucht, wahrhaftig an die Dinge heranzugehen, ob sie nun bequem sind oder nicht. Er hat eine gewisse Authentizität, man merkt, dass er kein Show-Mensch ist. Er kann sehr streng sein und auch sehr nachdenklich und ernst, und im nächsten Moment sehr albern und sehr kindlich. Und er ist in jeder Hinsicht einer guter Anführer, ein Gradmesser, auf dessen Urteil man sich ganz verlassen kann. Das strahlt aufs Team aus.

Auch für die erwachsenen Zuschauer ist der Film eine Art Wiedersehen: Viele Gesichter aus Dresens früheren Filmen tauchen in kleinen Rollen auf: Axel Prahl, Steffi Kühnert, Milan Peschel, Andreas Schmidt... Wie war die Stimmung am Set?

Das ist ein vertrautes Gefühl. Gut, nach 23 Jahren in der Branche habe ich mit vielen Leuten langsam ein vertrautes Gefühl. Wir werden ja allmählich auch alle miteinander alt. Aber hier ist es eben auch so, dass über Andreas sich eine Weltsicht miteinander verbindet.

Wie würden Sie die beschreiben?

Sie zeigt sich auch in diesem Film. Er bedient etwas, wonach nach meinem Empfinden im Moment eine Sehnsucht herrscht. Wenn ich in Brandenburg unterwegs bin, nach Jüterbog fahre, nach Dahme oder in die Prignitz: Überall erlebe ich die Menschen als sehr engagiert, gar nicht so negativ, wie das teilweise in der Presse wiedergegeben wird. Ich erlebe die Menschen in einem wachsamen, auch politischen Diskurs – den Diskurs um unsere Werte. Und ich finde, dass dieser Film das aufgreift.

Inwiefern?

Es gibt da diese Sehnsucht, zu sagen: Mann, irgendwas stimmt nicht! Die Sehnsucht, auszusprechen, dass man jahrelang geglaubt hat, ein Loser zu sein, weil man bestimmten Werteverständnissen nicht entspricht – von Leistungsgesellschaft, von Ökonomisierung –, bis man merkt: Ich bin nicht der Loser. Ich passe da nicht rein, weil es nicht gesund ist, da reinzupassen. Das greift Andreas mit „Timm Thaler“ auf. Bis hin zu der These, dass bestimmte Dinge, in dem Fall symbolisch das Lachen oder die Seele, mit Geld nicht aufzuwiegen sind. Und dass wir aufpassen müssen, welchen Einflüsterern wir zum Opfer fallen. Das empfand meine ältere Tochter übrigens als wichtigste Botschaft aus dem Film: Dass Baron Lefuet den Menschen ständig etwas einredet. Ich hatte das aus diesem Blickwinkel noch gar nicht gesehen. Alles fängt damit an, dass Baron Lefuet, also der Teufel, Timm oder seiner Freundin Ida etwas einredet.

Er erfindet Probleme, für die er dann die vermeintliche Lösung hat.

Zu einem hohen Preis! In Zeiten, in denen uns ein Lefuet einredet, dass alles ökonomisch sein muss, wissen wir gleichzeitig, dass der Mensch, dass das Menschliche nicht ökonomisch ist. In Zeiten der Digitalisierung wissen wir, dass die wahre Kunst das Analoge ist. Und Babys, das weiß die Forschung, kommen als solidarische Wesen auf die Welt. Also: Wir müssen aufpassen, was wir uns einreden lassen. Und das müssen wir auch unseren Kindern vermitteln: Die Dinge zu hinterfragen.

Wie kann das gelingen?

Ich rede vielleicht genauso ins Leere wie alle anderen Eltern auch. Ich glaube nur, dass es schon viel wert ist, wenn man so einen Film sieht. Und dass die Kinder zum Beispiel durch den Trickfilmanteil anfangen, Fragen stellen.

Spielen Sie an auf den Plan des Barons, der in Trickfilmsequenzen gezeigt wird und der an die Geschäfte des Nestlé-Konzerns mit Trinkwasser in Afrika erinnert...

Es wäre schade, wenn wir die Möglichkeiten verschenken, Fragen zu stellen. Auch wenn das unbequem ist. Das vermittelt der Film gut, obwohl es „nur“ ein Kinderfilm ist und alle auch lachen können.

Das weltpolitische Geschehen rückt in diesen Tagen näher an uns heran. Wir hören über den Krieg in Syrien – und erleben in Potsdam die Flüchtlinge, die von dort zu uns gekommen sind. In der Villa Gutmann, die Ihrer Familie gehört, gibt es das historische Arabicum, ein in Syrien gefertigter, kostbar ausgestatteter Raum. Was bedeutet Ihnen das vor dem Hintergrund der Zerstörungen und des Elends in Syrien?

Wissen Sie, ich bin vor zirka zehn Jahren in Syrien gewesen, in Damaskus, in Aleppo, in Homs, in Palmyra. Ich hatte auch die Ehre, den Chef der Ausgrabungsstätten in Palmyra, der dann so gemetzelt wurde, persönlich kennenzulernen. Gelinde gesagt, zerreißt es mir das Herz, zu sehen, was dort jetzt geschieht. Ich bin damals wiedergekommen vom Besuch meiner Freundin Jala und habe allen erzählt: Das wird der nächste Renner am Mittelmeer, weil es ein so tolles Land ist, mit tollen Menschen und fantastischem Essen.

Das Gegenteil ist passiert.

Und das macht mich unendlich traurig. Meine Freundin ist mittlerweile als Flüchtling in Potsdam angekommen. Sie wohnte eine Zeit lang bei uns, heute steht sie auf eigenen Beinen. Mit ihrer Hilfe und gemeinsam mit syrischen Flüchtlingen haben wir vor Kurzem ein kleines Konzert im Arabicum organisiert.

Sie haben Ihr Haus geöffnet?

Wir hatten das bisher eigentlich nicht in Erwägung gezogen, einfach weil es noch zu baufällig ist, zu krank. Aber uns ist bewusst geworden, dass wir hier ein kostbares Stück Heimat für die syrischen Flüchtlinge haben. Wir haben dann vorgefühlt und gesehen, dass der Raum viel mit den Menschen macht. Da war uns klar, das Arabicum kann bei so einer Veranstaltung auch etwas geben.

Das klingt nach bewegenden Momenten.

Es war sehr berührend. Ein Geiger und eine Pianistin aus Syrien haben ein wunderbares Konzert gegeben, wir hatten eine Lesung. Das fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, damit alles authentisch bleiben kann.

Wie war die Stimmung?

Fast alle syrischen Flüchtlinge, die ich kenne, sind krank vor Heimweh. Sie wollen lieber heute als morgen zurück. Und wer das Land kennt, der weiß, was sie verlieren. Wenn Sie dann sehen, wie sie dieses Stück Heimat hier betrachten und das wertzuschätzen wissen, ist das für uns natürlich sehr bewegend.

Wird es eine Wiederholung geben?

Nicht offiziell , nicht so, dass es vermarktet wird. So einen Abend zu gestalten, praktisch auf einer Baustelle, das kostet natürlich unsere Zeit und unsere Kräfte. Wenn wir das machen, dann weil wir glauben, dass das der Heilung dient oder auch der Erinnerung. Das soll ein Prozess sein, der den Flüchtlingen dient.

Der Regisseur Volker Schlöndorff, mit dem Sie schon gearbeitet haben, hat im Dezember zur Demonstration gegen den Krieg in Syrien vor der russischen Botschaft in Berlin aufgerufen. Waren Sie dabei?

Nein. Ich sehe das Ganze etwas differenzierter. Zu diesem Krieg stellen sich mir viele Fragen. Und mir scheint das Bild, das vermittelt wird, nicht umfassend genug, um an so einer Demonstration teilzunehmen.

Was meinen Sie?

Wenn man wie ich Menschenrechtlern aus arabischen Ländern begegnet ist, fängt man an, die Rolle der Nato zu hinterfragen, die Rolle Saudi-Arabiens und Katars. Das ist unpopulär bei uns. Ich würde auch erst gern mehr über Russland und Herrn Putin erfahren und mir dann eine Meinung bilden. Ich höre aber immer nur die Schlussfolgerungen. Das hat mir noch nie gereicht. Und das ist mir auch zu schwarz-weiß. Mein Bild reicht einfach nicht aus, um einzuschätzen, wo die Ursachen dieses Krieges liegen. Also kann ich mich da nicht so eindeutig ereifern, dass es für eine Demo vor der russischen Botschaft reicht. Da mache ich lieber mein Ding, wie das Konzert mit den Flüchtlingen im kleinen Kreis. Ich war auch in der Unterkunft für Flüchtlingsfrauen in Potsdam und habe dort einen Eindruck davon bekommen, was die Frauen bewegt. Ich bin eher an Differenziertheit interessiert und an den menschlichen Geschichten.

Das Gespräch führte Jana Haase

ZUR PERSON: Nadja Uhl, geboren 1972, arbeitete nach dem Schauspielstudium zuerst am Hans Otto Theater, später mit namhaften Filmregisseuren. Sie lebt mit Familie und zwei Kindern in Potsdam.

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