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Potsdam nach der Bundestagswahl: Die rote Festung bröckelt

Potsdams SPD ist bei der Bundestagswahl auf ein historisches Tief gefallen. Die Rückeroberung des Direktmandats ist ein kleiner Trost – auch wenn das Verdienst der Gegnerin gebührt. Eine Analyse

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Potsdam - Desaster und Spitzenergebnis zugleich: Mit 18,3 Prozent sackte die Potsdamer SPD bei der Bundestagswahl auf ihr schlechtestes Zweitstimmenergebnis seit 1990. Doch holte die bisher nur mäßig bekannte SPD-Kandidatin Manja Schüle gegen ihre national-konservative CDU-Kontrahentin Saskia Ludwig im Potsdamer Wahlkreis 61 das einzige Direktmandat für die Sozialdemokraten in Ostdeutschland. Die PNN analysieren das Ergebnis.

Warum hat Manja Schüle das einzige Direktmandat für die SPD im Osten gewonnen?

So bitter das für die 41-Jährige, die einen engagierten Wahlkampf geführt hat, klingen mag: Das Direktmandat hat sie vor allem deshalb geholt, weil ihre Gegnerin auch in den eigenen Reihen so unbeliebt ist, dass es vielen nur darum ging, den Einzug von Saskia Ludwig in den Bundestag zu verhindern. Die Frage, die man also eigentlich stellen muss, lautet:

Warum hat Saskia Ludwig gegen den Bundestrend verloren?

Den Verlust des Direktmandats hat sich Ludwig selbst zuzuschreiben. Das zeigt schon ein Blick auf die Zweitstimmen: Dort siegte die Union im Potsdamer Wahlkreis 61 mit 24,9 Prozent – mit haushohem Abstand zur SPD, die es nur auf 18,5 Prozent brachte. Das lässt nur einen Schluss zu: Auch zahlreiche Anhänger von Grünen, Linken, FDP und selbst der Union haben bei der Erststimme ihr Kreuz bei Schüle gemacht. Auf diese Weise holte Schüle mit 26,1 Prozent fast acht Prozent mehr als ihre Partei. „Viele Wähler haben bewusst ihre Erst- und Zweitstimme gesplittet“, bestätigte die Bereichsleiterin Wahlen im Rathaus, Heike Gumz, am Montag. Viele CDU-Anhänger haben sich offenbar von Ludwigs radikalem Kurs und ihrer mitunter recht offen zur Schau gestellten Sympathie für Positionen der rechtspopulistischen AfD verprellt gefühlt. Ihr Verhältnis zur Spitze der Landespartei galt schon lange als eisig, man ließ sie gewähren, pushte sie im Wahlkampf aber nicht. Ein weiteres Indiz dafür war ihr schlechter Platz acht auf der Landesliste, der dafür sorgte, dass sie ohne das Direktmandat keine Chance auf den Einzug ins Parlament hatte. Noch am Wahlabend rächte sie sich und gab ihrer Partei eine Mitschuld an der Niederlage. Landes- und Kreis-CDU hätten sie nicht ausreichend unterstützt, sagte sie – was dort freilich zurückgewiesen wird.

Wie wirkte sich der Zweikampf auf die anderen Parteien aus?

Das starke Ergebnis für Schüle ging zulasten der anderen Direktkandidaten: So landete Norbert Müller von den Linken 1,6 Prozentpunkte unter dem Zweitstimmenergebnis seiner Partei, bei Linda Teuteberg von der FDP waren es 1,7 Prozentpunkte, bei Annalena Baerbock von den Grünen sogar 1,8. Und in Potsdam erhielt Ludwig nur 20,5 Prozent – ihre Partei aber 21,2 Prozent. Es gab also vermutlich CDU-Wähler, die als Erststimme für andere Kandidaten votierten.

Wie ist das Ergebnis der AfD zu werten?

Auch wenn die Rechtspopulisten ihr Zweitstimmenergebnis gegenüber 2013 mehr als verdoppelt haben: Potsdam ist keine AfD-Hochburg. Mit 12,8 Prozent liegt die Partei hier in etwa auf Bundesniveau, von sächsischen Verhältnissen, wo die AfD stärkste Kraft wurde, ist Potsdam weit entfernt. Auch innerhalb Brandenburgs bildet die Landeshauptstadt den Ausreißer. Im Rest des Landes, vor allem im Süden, fuhr die AfD teils Ergebnisse von mehr als 25 Prozent ein.

Wo war die AfD besonders stark?

In den Stadtteilen Schlaatz, Waldstadt II und Fahrland erreichte die AfD Ergebnisse von knapp 20 Prozent und mehr. Das Auffällige: In diesen Vierteln liegt die Wahlbeteiligung deutlich unter dem Durchschnitt der Stadt von 78,8 Prozent, bei 55 Prozent und weniger. Insgesamt 13 245 Potsdamer wählten die Rechtspopulisten mit ihrer Zweitstimme, im gesamten Wahlkreis mit Kommunen wie Werder (Havel) sogar 26 133 Personen – bei insgesamt 247 441 Wahlberechtigten. Auffällig auch: Das Erststimmenergebnis von AfD-Direktkandidat René Springer lag mit 11,7 Prozent im Stadtgebiet noch unter dem Zweitstimmenwert, einige der AfD-Anhänger dürften daher auch für Ludwig gestimmt haben. Doch das reichte für die CDU-Politikerin nicht, weil sie in Gegenden mit besonders hoher Wahlbeteiligung wie in Babelsberg oder in der Brandenburger Vorstadt eben nur schwache Ergebnisse zwischen 15 und 20 Prozent einfahren konnte – während ihre SPD-Kontrahentin Schüle dort auf Werte bis zu 30 Prozent kam. In diesen Stadtteilen kam auch die AfD nur auf Werte unter zehn Prozent.

Schadet die AfD den Linken?

Ja. Auch in Potsdam hat die Linke einen Teil ihrer Zugkraft als Protestpartei an die AfD verloren. Von den starken Verlusten der Volksparteien CDU und SPD – zwischen gut fünf und mehr als sieben Prozent – profitierten vor allem die Rechtspopulisten. Gegenüber 2013 verlor die Linke fast drei Prozent bei den Zweitstimmen – auch in diesem Teich dürfte die AfD also gefischt haben. Der auch in seiner Partei nicht unumstrittene Linke-Kandidat Norbert Müller verlor im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 sogar 3,9 Prozentpunkte.

Wo hatten andere Parteien Hochburgen?

Bei den Zweitstimmen holte die Linke Zustimmungswerte um die 26 Prozent in Potsdam-West, Am Stern und in der Waldstadt II. Die Grünen waren besonders stark im Norden Babelsbergs, in der Nauener und der Brandenburger Vorstadt mit Werten von bis zu 18 Prozent. Stadtweit verbesserten sie ihr Ergebnis um 0,8 Prozentpunkte auf 9,8 Prozent, ihre Kandidatin Annalena Baerbock steigerte sich um 0,7 Prozentpunkte. Auf Werte um die 15 Prozent kam die FDP in der Berliner und in der Nauener Vorstadt, auch in Groß Glienicke erhielten die Liberalen mehr als 13 Prozent. Das bedeutete stadtweit 8,2 Prozent, ein Plus von 5,9 Prozentpunkten. Kandidatin Linda Teuteberg steigerte das Erststimmenergebnis um 5,7 Prozent, vor vier Jahren hatten die Liberalen hier nur 1,8 Prozent geholt.

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Steigende Wahlbeteiligung in Potsdam

Die Wahlbeteiligung im gesamten Potsdamer Wahlkreis 61 lag bei 79,1 Prozent – nach 74,4 Prozent im Jahr 2013. In Potsdam selbst lag dieser Wert bei 78,8 Prozent, in Kleinmachnow sogar bei 89,2 Prozent.

Parteien: Die "Sonstigen"

Unter den sonstigen Parteien erhielt die Tierschutzpartei im Wahlkreis 61 insgesamt 1,9 Prozent der Stimmen – besonders am Schlaatz und in der Waldstadt II wurde sie gewählt. Die satirische Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative kam auf 1,8 Prozent – im Wahllokal Finkenweg in der Innenstadt gaben ihr sogar 20 Unterstützer die Stimme, was dort für 9,3 Prozent reichte. Für die Partei des in Potsdam lebenden und umstrittenen Politikaktivisten Christoph Hörstel, die Deutsche Mitte, votierten nur 662 Wähler – 0,3 Prozent. Im sozialen Netzwerk Facebook hat Hörstel dagegen fast 100 000 Unterstützer. Mit 146 Stimmen das niedrigste Ergebnis im Wahlkreis 61 holte die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD).

Potsdams schnellste Wahlhelfer

Als erstes Wahllokal in Potsdam war am Sonntagabend der Bereich „Grasmückenring/An der Bahn“ ausgezählt – um 18.40 Uhr waren dort 219 Stimmen durchgesehen. Bei den Erststimmen gewann dort Manja Schüle (SPD) mit 29,5 Prozent – vor Saskia Ludwig mit 21,7 Prozent. Bei den Zweitstimmen kam dagegen die CDU auf 23,4 Prozent, es folgten die Linken mit 21,6 Prozent und erst dann die SPD mit 13,8 Prozent.

Wahlhelfer im Einsatz

Zur Organisation der Bundestagswahl waren nach Angaben aus dem Rathaus mehr als 1000 Wahlhelfer im Einsatz, rund 200 davon waren freiwillig tätige Mitarbeiter der Stadtverwaltung. An 350 Wahlhelfer seien Ehrennadeln verteilt worden, weil diese bereits bei fünf oder mehr Wahlen in Potsdam geholfen hätten, hieß es weiter.

Kreiswahlausschuss tagt

Die Sitzung des Kreiswahlausschusses zur endgültigen Feststellung des Ergebnisses der Bundestagswahl im Wahlkreis 61 – also Potsdam, Potsdam-Mittelmark II, Teltow-Fläming II – findet am Freitag um 10 Uhr auf dem Campus der Stadtverwaltung in der Hegelallee im Haus 6, Raum 205, statt. Die Sitzung ist öffentlich. 

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Kommentar von Henri Kramer

Eine klare Haltung und Transparenz haben in Potsdam ein stärkeres Abschneiden der AfD verhindert, meint PNN-Autor Henri Kramer in seinem Kommentar.

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Bilderstrecke 

Was Potsdamer Bürger über den Ausgang der Bundestagswahl 2017 sagen

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Interview

Politikwissenschaftler Jochen Franzke von der Universität Potsdam im PNN-Interview: "AFD-Positionen kopieren funktioniert nicht"

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