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Als eine reine Nazi-Kirche, wie Kritiker meinen, könne man die Garnisonkirche nicht betrachten, so Historiker Johannes Leicht.

© R. Damrath, 1939

Potsdam: Historiker: Garnisonkirche war keine reine Nazi-Kirche

Die Stiftung der Garnisonkirche veröffentlicht eine neue Internet-Dokumentation zur Historie des Baus von 1918 bis 1945. Eine zentrale Aussage: Die Geschichte der Garnisonkirche dürfe man nicht nur auf den "Tag von Potsdam" reduzieren.

Potsdam - Der Slogan ist eindeutig. „Potsdam – die Geburtsstätte des Dritten Reiches“ steht in verschnörkelter Schrift auf dem Faltprospekt, das 1937 mit einem großen Bild der Garnisonkirche für den Besuch in Potsdam warb. Bei solchen touristischen Kampagnen für Ausflügler aus Berlin habe sich die Stadt Potsdam damals ganz auf den hohen Bekanntheitsgrad der Garnisonkirche und des „Tages von Potsdam“ konzentriert, bilanziert der Potsdamer Historiker Johannes Leicht. Seine Erkenntnisse zur wechselvollen Geschichte des barocken Gotteshauses zwischen 1918 und 1945 hat er nun auf der Internetseite der Stiftung für den Wiederaufbau der Garnisonkirche publiziert – Kritiker des Projekts hatten immer wieder moniert, dass gerade diese Zeit von der Stiftung ausgeblendet oder zu dürftig behandelt werde. Seit Freitag nun stehen Leichts Recherchen online.

Keine reine Nazi-Kirche

Sein Ergebnis: Als eine reine Nazi-Kirche, wie Kritiker meinen, könne man die Garnisonkirche nicht betrachten – das Bild sei differenzierter. „Es ist nicht alles schwarz und weiß.“ So habe er bei seinen Recherchen Dokumente gefunden, in denen Kirchenwürdenträger über mögliche Veranstaltungen – etwa der Hitlerjugend – stritten, sagte Leicht am Freitag den PNN: „Das fand ich schon überraschend.“

Der Potsdamer Historiker Johannes Leicht forschte über die Geschichte der Garnisonkirche.
Der Potsdamer Historiker Johannes Leicht forschte über die Geschichte der Garnisonkirche.

© A. Klaer

So hätten sich nach dem „Tag von Potsdam“ – bei dem der frisch gewählte Kanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg am 21. März 1933 an der Garnisonkirche ein Bündnis zwischen altem Preußentum und junger nationalsozialistischer Bewegung inszenierten – immer mehr NS-Gruppen angefragt, ob sie das Gotteshaus auch nutzen könnten. So fand etwa 1934 eine Fahnenweihe der Hitlerjugend statt – obwohl in den Bedingungen für die Nutzungsüberlassung der Kirche klar geregelt war, dass diese nur zur gottesdienstlichen Feiern vergeben werden dürfe. „In der Praxis fanden diese Regeln offensichtlich aber nicht konsequent Anwendung“, stellt Historiker Leicht fest.

Diskussion um rein politische Veranstaltungen

Das Ringen im Vorfeld mancher Veranstaltungen zeigt etwa ein Dokument des Gemeindekirchenrats der Garnisonkirche vom 8. November 1938, auch darin geht es um eine mögliche Fahnenweihe der Hitlerjugend. Man begrüße „jeden Wunsch“, politisches Leben unter den Segen Gottes zu stellen. Doch werde die Nutzung von der aktiven Beteiligung eines kirchlichen Amtsträgers abhängig gemacht. „Veranstaltungen rein politischer Art“ aber würden den Rahmen überschreiten und „verletzen das Empfinden Tausender treuer Kirchenbesucher.“ Ferner widmen sich die Dokumente auch dem Kampf zwischen der NS-treuen Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ und der Bekennenden Kirche.

Bei den deutschlandweit stattfindenden Kirchenwahlen 1933 stimmten demnach in der Garnisonkirche 217 Gemeindemitglieder für die NS-Gegner, 280 aber für die Deutschen Christen – rund 56 Prozent. Deutschlandweit hätten die Zustimmungsraten bei 70 Prozent gelegen, so Leicht. Dahingegen gewann das Lager der „Bekennenden Kirche“ damals zum Beispiel knapp in der Friedens- und deutlicher in der Erlöserkirche. Potsdam sei wegen der monarchisch-konservativen Prägung vieler Menschen kein einfaches Pflaster für die NS-Bewegung gewesen, so Leicht – in Städten wie Nürnberg hätte man sich besser präsentieren können.

Geschichte der Garnisonkirche nicht auf 21. März 1933 reduzieren

Die Geschichte der Garnisonkirche dürfe man eben nicht auf den 21. März 1933 reduzieren, so das Credo der Stiftung. Gleichwohl sei die Präsentation zur Geschichte der Kirche „keine Weißwaschveranstaltung“, betonte der theologische Stiftungsvorstand Martin Vogel. Das habe man auch nicht nötig – schließlich wolle man die Kirche nicht trotz, sondern wegen ihrer wechselvollen Geschichte als Versöhnungszentrum wiederaufbauen. Die Kirche könne als Lernort dienen, wie eine Demokratie zur Diktatur wurde.

Auch Zeitzeugen-Videos finden sich auf dem Portal – etwa ein Interview mit dem Theologen Wolfgang Schweitzer, der 1933 den „Tag von Potsdam“ selbst erlebte – als Sohn eines Pastors der Bekennenden Kirche, der zugleich jüdische Vorfahren hatte. Bei der Feier sei das gesamte Nationalgefühl mobilisiert worden, erinnert er sich – und beschreibt einen SA-Mann, der auf der Straße vor der Garnisonkirche das Hetzblatt „Der Stürmer“ an Besucher verteilte und dabei rief: „Die Juden sind unser Unglück.“ „Da wurde mir schlecht“, sagt Schweitzer im Interview. Eine Woche später schon habe es den ersten Judenboykott gegeben.

Weitere Infos sollen online erscheinen

Solche Beispiele würden die Historie griffiger machen als ein Geschichtsbuch, sagte Stiftungsvorstand Wieland Eschenburg – und dass aus der Leerstelle zur Geschichte nun eine Lehrstelle geworden sei. Auch andere Aspekte der Kirchengeschichte – etwa die Zeit nach der Sprengung 1968 oder die Nutzung in der Kaiserzeit, als dort eroberte Standarten feindlicher Armeen gezeigt wurden – wolle man, je nach finanzieller Förderung, auf dem Internetportal zugänglich machen, kündigte Eschenburg an: „Wir werden noch viele Historiker beschäftigen.“

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