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Potsdam: Exklusiv: Ein Brief und die brisante Lage am Oberlinhaus

Die Probleme im Potsdamer Oberlinhaus sind größer als bislang bekannt - menschlich und finanziell. Erlöse sinken, Ausgaben steigen. Interne Zahlen und ein Brief von vier teils schon gegangenen Geschäftsführern offenbart das ganze Ausmaß der Lage.

Potsdam - Angenommen, es sollte gar kein Befreiungsschlag sein. Und der theologische Vereinsvorstand des Oberlinhauses, Matthias Fichtmüller, meinte es ernst. Mit seinem Eindruck, das städtische Bergmann-Klinikum und Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) hätten eine feindliche Übernahme der diakonischen Oberlinklinik geplant. Diese Botschaft wollte Fichtmüller vergangene Woche unbedingt loswerden. Sie wurde gern geglaubt angesichts der Einkaufstouren des Bergmann-Klinikums. Die Botschaft überlagerte alles. Die eigenen Probleme im Oberlinhaus, aber auch in der Oberlinklinik. Dass auch die eine Rolle gespielt haben dürften im Laufe der Ende 2015 gestarteten Verhandlungen über eine strategische Kooperation mit dem Bergmann-Klinikum, die wegen der Vorgaben des Gesundheitsministeriums im Landeskrankenhausplan begonnen worden sind, dafür gibt es zumindest Hinweise. Probleme, über die die PNN im Oktober erstmals in Zusammenarbeit mit dem Recherchezentrum Correctiv berichtet hatten. Wobei die Spitze des Oberlinhauses wert darauf legt, dass nur wegen des Krankenhausplans verhandelt wurde, nicht wegen der finanziellen Lage der Oberlinklinik.

Nach den Geschehnissen der vergangenen Monate aber kann es nur der Versuch eines Befreiungsschlags gewesen sein, einen Feind außerhalb des Oberlinhauses zu suchen. Denn die Lage im Oberlinhaus ist dramatischer als bislang bekannt. Menschlich zwischen Führung und Mitarbeitern – und finanziell. Tochterunternehmen müssen dem Trägerverein immer mehr Kredite einräumen, die Klinik hat zugleich mit sinkenden Vergütungen für bestimmte Operationen zu kämpfen.

Groß angelegte Durchsuchung von E-Mail-Postfächern: Gerade im Oberlinhaus ein brisanter Vorgang

Fichtmüller aber sorgte lieber für Schlagzeilen über einen angeblichen Wirtschaftskrimi, der keiner zwischen zwei Kliniken in Potsdam ist, sondern eine Tragödie im Oberlinhaus selbst. Inzwischen ist die Stimmung so vergiftet, dass selbst im Führungsapparat die Brisanz von Gerüchten erahnt wird, die in der Mitarbeiterschaft umgehen – nämlich über eine groß angelegte Durchsuchung von E-Mail-Accounts. Dies wäre ein brisanter Vorgang angesichts der Geschichte des Oberlinhauses in der DDR, als die Staatssicherheit das Traditionshaus im Visier hatte. Hinzu kommen nach Auskunft der Gewerkschaft Verdi und der Landesdatenschutzbeauftragten Dagmar Hartge hohe Hürden für derlei Durchsuchungen.

Angefangen hat alles vor Monaten. Die Lage eskalierte Ende August, als Klinikgeschäftsführer Michael Hücker fristlos entlassen wurde (später schlossen die Parteien eine einvernehmliche Einigung) – angeblich weil er den Umbaukurs des Vorstandes nicht mittragen wollte. Der Vorstand dementiert diesen Grund jetzt: Dies sei "schlicht unzutreffend". Im Oktober hatte der Vorstand auf Anfrage erklärt, das Oberlinhaus und Hücker hätten die Zusammenarbeit im besten Einvernehmen beendet, weil er „die strukturellen Veränderungen im Oberlinhaus nicht mittragen“ konnte, da sie nicht seinen unternehmerischen Vorstellungen entsprechen würden.

Wobei es das Wort Strukturumbau, vom Vorstand mit Wettbewerbsdruck und Wachstum begründet, nur bedingt trifft. Es geht vordergründig um straffere Strukturen, kürzere Wege, wenn beide Vorstände in jeder Oberlin-Tochter selbst Geschäftsführer sind. Man könnte auch sagen: Es geht um Macht und Kontrolle.

Immer neue Kredite an den Mutterkonzern: Geschäftsführer von Tochterfirmen krititsierten Oberlin-Schulden

Zuvor hatten sich Anfang Juli vier Geschäftsführer von Oberlin-Tochterfirmen in einem fünfseitigen Brief an den Aufsichtsrat gewandt. Darin sahen sie den einzigen Ausweg, weil sie mit ihren Mahnungen nicht durchdrangen beim Vorstand. Und weil sie sich auf den Oberlin-Verhaltenskodex beriefen, wonach es bei einem begründeten Verdacht auf einen Verstoß gegen die Compliance-Regeln möglich sein müsse, „diesen zu äußern, ohne deshalb Konsequenzen befürchten zu müssen“. Stattdessen gab es einen Rausschmiss und Abmahnungen.

Die PNN hatten dem Oberlin-Vorstand in der vergangenen Wochen eine umfangreiche Anfrage zu den in dem Schreiben erhobenen Vorwürfen gestellt. Statt einer Antwort auf den Fragenkatalog schickte der Vorstand einen bekannten Medienanwalt in die Spur, um die Berichterstattung über die Inhalte des Briefs zu verhindern.

Fichtmüller hatte den Verdacht geäußert, dass schon hinter dem Brief ein Plan gesteckt haben müsse, eine Kampagne, um das Oberlinhaus zu zerstückeln. Als sei da etwas Böses im Gange. Dann wechselte noch der rausgeschmissene Klinikgeschäftsführer zum Bergmann-Klinikum. Obendrein will noch der ärztliche Leiter der Oberlinklinik zum Konkurrenten wechseln, lädt seine Oberlin-Mitarbeiter in die Villa Bergmann, angeblich gab es Abwerbeversuche. Es ist genau jener Experte für Wirbelsäulen-Operationen, der Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) nach einem Urlaubsunfall in Italien operiert hat.

Scharfe Kritik am Oberlinhaus: Eigene Leitlinien werden nicht eingehalten

Aber das Böse ist hier nicht am Werk. Denn Geschäftsführer haften im Zweifelsfall. Deshalb hielten die Verfasser des Briefes „im Rahmen unserer Gesamtverantwortung“ es „für unsere Pflicht“, die Entwicklungen im Oberlinhaus dem Aufsichtsrat aufzuzeigen. „Die im Verein Oberlinhaus und seinen Gesellschaften geltenden Leitlinien und Führungsgrundsätze werden durch den Vorstand nicht eingehalten“, heißt es darin etwa. Fichtmüller und der kaufmännische Vorstand Andreas Koch seien „weder menschlich noch fachlich“ in der Lage, den Verein – zu dem mit den Tochterunternehmen 1800 Mitarbeiter gehören, damit drittgrößter Arbeitgeber der Stadt ist – in die Zukunft zu führen. Generell sei der Umgang der Konzernspitze mit Geschäftsführern der Tochterunternehmen nicht durch Respekt und Wertschätzung geprägt. Der Vorstand halte sich nicht an Leitbild und Verhaltenskodex. Mitdenkende Mitarbeiter würden unter Druck gesetzt, Initiativen zur Einhaltung gesetzlicher Vorschriften ignoriert. Es gebe keine Fehlerkultur.

Aufgelistet werden unklare Ziele, mangelnde Transparenz, ständig revidierte Entscheidungen. Trotz Forderungen eines Wirtschaftsprüfers würden „Grundsätze zur ordnungsgemäßen Führung und Aufbewahrung“ von elektronischen Büchern nicht konsequent beachtet. Alle Fälle seien seit Jahren beim Vorstand angesprochen worden, geschehen sei nichts. Daher wachse „die Sorge um eine sichere Weiterentwicklung“ des Oberlinhauses. Die Lage wirke sich auf die Qualität der Arbeit aus, das Leben diakonischer Werte gehe immer mehr verloren.

Ohne Konzept und Instandhaltungsstrategie: Konzern-Immobilien werden als „großer Risikofaktor“ bezeichnet

Konkret wird es bei den Finanzen: bei den Immobilien des Konzerns etwa. Es sind Anlagevermögen, langfristige Sicherheiten. Doch beim Oberlin-Verein, so monieren die Verfasser, seien sie ein „großer Risikofaktor“, es fehlten ein Immobilienkonzept und eine Instandhaltungsstrategie, die Investitionen seien zurückgefahren worden. Stattdessen würde der Vorstand Grundstücke „für externe Nutzer“ entwickeln und verkaufen wollen, was für den Oberlin-Auftrag „fachlich, wirtschaftlich und diakonisch weder nachvollziehbar noch vermittelbar“ sei. Für das leer stehende „Reinhold Kleinau“-Haus seien seit 2010 „erhebliche Planungskosten in siebenstelliger Höhe“ entstanden – „bisher ergebnislos“. Bei der Sanierung des Handwerkerhauses sei mindestens eine Auftragsvergabe „zu einem mehr als doppelten Preis nach Baukostenindex“ erfolgt.

Angesprochen werden in dem Schreiben auch die Finanzen in der Oberlinklinik. Der Vorstand habe den Aufsichtsrat im November 2016 nicht über die erwartete negative Entwicklung der Erlöse im Jahr 2017 informiert. Das sei erst im Frühjahr erfolgt, als der Wirtschaftsplan längst beschlossen war. Diesem Verdacht widerspricht der Vorstand energisch. Die Information sei im November 2016 erfolgt. Dies können man anhand von Protokollen nachweisen. 

Und dann der Finanzbedarf des Vorstands. Dazu schrieben die vier Geschäftsführer: „Interne Kredite einzelner Gesellschaften sichern seit Jahren die Liquidität des Vorstandsbereichs, ohne dass transparent kommuniziert wird, wofür die Mittel verwendet werden und wann Rückzahlungen möglich sind.“ Dadurch sei das Investitionsvolumen für die Weiterentwicklung der Gesellschaften „stark gesunken“.

Immer höhere Darlehen, die nicht zurückgezahlt werden

Beim Verein als Träger der 13 Tochtergesellschaften ist die Lage ernst. Zwar hatte der gesamte Sozialkonzern mit 1,7 Millionen Euro im vergangenen Jahr ein positives Ergebnis, doch der Verein verbuchte ein Minus von 1,3 Millionen Euro, die Tendenz war in den vergangenen Jahren steigend. Wobei das nur das negative Jahresergebnis ist, hinzu kommen die Ausgaben und der offenbar steigende Finanzbedarf.

Der Verein verlangt daher von den Tochterfirmen immer höhere Darlehen. Die Geschäftsführer schreiben dazu: „dass nicht transparent kommuniziert werde, wann Rückzahlungen möglich sind“. Der Vorstand ließ dazu mitteilen, dass hier Zins- und Tilgungspläne erstellt worden seien, die auch bedient würden.

Den Finanzbedarf zeigen auch die Jahresabschlüsse, etwa beim Berufsbildungswerk: Von 3,5 auf knapp vier Millionen stieg das Gesamtdarlehen an den Mutterverein. Sein Schuldenstand bei den Oberlin-Werkstätten betrug 2016 ganze 1,4 Millionen, Tendenz steigend. Auch die Oberlinklinik musste 2016 ran, erst mit 100 000 Euro, inzwischen ist von einem neuen Kredit von mehr als einer Million Euro die Rede. Insgesamt stieg die Summe der internen Darlehen an den Verein von 3,5 Millionen Euro im Jahr 2013 auf knapp 5,5 Millionen Euro. Für dieses Jahr wird mit einer Verdopplung im Vergleich zu 2013 gerechnet.

Fragen dazu wollte der Vorstand nicht beantworten. Um sich dennoch ein Bild zu machen, muss man die Zahlen und die Kritik der vier Geschäftsführer – weniger Investitionen und Instandhaltung, überbordende Kosten bei zwei Bauten, steigende Darlehen – übereinanderlegen. Das Ergebnis: Der Mutterverein leidet unter einem wachsenden, strukturellen Defizit. Die Frage ist: Wie lange geht das noch gut?

Trotz finanzieller Schieflage: Vorstandsreferent für Personal und Recht bezog mehr als 150 000 Euro Jahreshonorar

Zu den Krediten kommen wachsende Personalkosten, die der Vorstand teils bestreitet. So das Honorar für einen Vorstandsreferenten für Personal und Recht von mehr als 150 000 Euro im Jahr, das ist mehr, als viele Geschäftsführer der Oberlin-Töchter bekommen haben, und in etwa so hoch wie die Bezüge eines Ministers in Brandenburg. Für einen Mann, der Psychologe und Coach ist, der „Beziehungsklärung im Beruf und Geschäft“ durch „werthaltige Kommunikation“ anbietet. Ein Bekannter von Koch obendrein.

Dann die Klinik, eine der bundesweit führenden orthopädischen Fachkliniken. Wegen der Gesundheitsreform werden seit diesem Jahr Operationen für Knie- oder Hüftprothesen von den Krankenkassen geringer vergütet. Bereits im Frühjahr hatte die Oberlinklinik verkündet: In diesem Jahr werde sie rund eine Million Euro an Erlös einbüßen. Bei einem Jahresergebnis von 1,7 Millionen Euro im Plus im vergangenen Jahr, bei einem Umsatz von 30 Millionen Euro ist das nicht wenig. Hinzu kommen das Ende des Haustarifs und die Wiedereinführung der Arbeitsvertragsrichtlinie für Mitarbeiter in kirchlichen Einrichtungen. Das bringt Mehrkosten von mehreren Hunderttausend Euro für die Klinik mit sich. Auch dazu wollte sich der Oberlin-Vorstand nicht äußern.

Auch wegen all der Mehrlasten erschienen den Verhandlern im Oberlinhaus die Gespräche mit dem  Bergmann-Klinikum offenbar über Monate sinnvoll, alles wurde eng begleitet vom Gesundheitsministerium. Damit nicht ein privater Anbieter den Gesundheitsstandort aufmischt. Angebote gibt es längst, große Krankenhausketten schielen nach Potsdam. Der Vorstand aber hat sich verschanzt.

Hinweis:

Der Beitrag wurde am 27. Dezember 2017 geändert und präzisiert. Das betrifft die Passagen zur den Verhandlungen des Oberlinhauses mit dem Bergmann-Klinikum, die Entlassung des Klinikgeschäftsführers, die Tilgungspläne für Darlehen der Tochterunternehmen an den Mutterverein sowie die Erlöswarnung für die Oberlinklinik.

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