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Tritt auf die Bremse. 2003 begann Herbert Geisterts „Karriere“ bei der Potsdamer Tafel. Jetzt will der 76-jährige Fahrdienstleiter den Staffelstab an die nächste Generation übergeben.

© A. Klaer

Potsdam: Die Tafel am Rollen halten

Elf Jahre lang war Herbert Geistert Leiter des Fahrerteams der Potsdamer Tafel und baute eine zuverlässige Truppe auf, nun gibt er die Verantwortung weiter.

Potsdam - Verschenken statt wegschmeißen: Jede Woche verteilt die Potsdamer Tafel an rund 1300 bedürftige Potsdamer Lebensmittel, die von Supermärkten aussortiert wurden, obwohl sie noch genießbar sind. Doch die Tafel wäre nicht die Institution, die sie ist, ohne die rund 100 Ehrenamtlichen, die sich tagtäglich für sie engagieren – so wie Herbert Geistert: Lange Zeit war der 76-Jährige das Rückgrat des Fahrerteams der Potsdamer Tafel und somit dafür zuständig, dass die Lebensmittel von den Supermärkten in die Ausgabestellen gelangen. Aus einer anfangs bunt zusammengewürfelten Truppe formte er ein professionelles Team, das täglich zuverlässig seine Touren fährt. Nun, nach 14 Jahren bei der Tafel, davon elf Jahre als ehrenamtlicher Fahrdienstleiter, gibt er die Verantwortung an die jüngere Generation ab.

Von der Größe her ist die Potsdamer Tafel ein mittelständisches Unternehmen – nur eben mit Freiwilligen. Da braucht es Führungspersönlichkeiten, und so eine war Geistert: Geboren 1941 im schlesischen Breslau, vertrieben 1945, machte er in den 50er-Jahren eine Ausbildung zum Landmaschinen- und Traktorenschlosser in Dahlewitz, bevor er 1959 als Berufsoffizier zur NVA ging und dort 25 Jahre blieb. Geistert erhielt eine Ausbildung als Ingenieurökonom, wurde Zugführer bei den motorisierten Schützentruppen, war als stellvertretender Kommandeur für die technische Ausrüstung zuständig.

Von der NVA zur Potsdamer Tafel

1984 verließ er die Armee und zog nach Potsdam, wo er als Produktionsleiter im VEB „Max Reimann“ anfing, einem Kfz-Instandhaltungsbetrieb in der Yorckstraße. „Dann kam die Wende – und das Ende“, sagt Geistert mit schlesischem Akzent. 1990 – ein Jahr, bevor seine alte Firma abgewickelt wurde – ging er nach Berlin, wurde Bauleiter. „Das war eine gute Zeit“, erinnert sich Geistert.

2002 ging er in Rente, doch schon 2003 begann seine neue „Karriere“ – was Geistert anfangs noch nicht ahnte: „Jemand von der Potsdamer Tafel fragte mich, ob ich nicht mal helfen könnte?“, sagt Geistert. Er konnte, fuhr zuerst einmal die Woche, dann zweimal, dann immer öfter. Als der frühere Fahrdienstleiter der Tafel aufhörte, wurde Geistert zum neuen Kopf des Fahrerteams.

Rund 20 Freiwillige zählte das Team in den Anfangsjahren, damals ging es noch etwas lockerer zu als heute: „Das lief eher auf Zuruf, von Woche zu Woche wurden die jeweiligen Fahrer eingesetzt“, sagt Geistert. „Das war noch nicht so wie jetzt, mit festen Stammfahrern.“ Über zwei Autos verfügte die Tafel damals, kleine Transporter, sogenannte „Hundefänger“. Ein anstrengendes Geschäft: Zu den Supermärkten fahren, vorsortieren, einladen, zur Ausgabestelle fahren, ausladen. Montags, dienstags, donnerstags und freitags wurden die Lebensmittel zur damaligen Hauptausgabestelle in der Schopenhauerstraße gebracht, am Mittwoch nach Kirchsteigfeld, am Samstag nach Teltow.

„Es ist ein Wunder, dass das damals alles funktioniert hat“

Dazu kam, dass die ersten Autos über keine Kühlung verfügten: „Im Sommer ist uns manchmal viel Ware umgekommen“, sagt Geistert. „Und die Autos rochen oft nicht besonders gut.“ Auch Carsten Stegemann, Geisterts Nachfolger als Fahrdienstleiter, erinnert sich noch gut an diese Zeit: „Es ist ein Wunder, dass das damals alles funktioniert hat.“

Zu den technischen Schwierigkeiten gesellten sich menschliche: Nicht jeder ehrenamtliche Helfer erwies sich im Dienst als zuverlässig. „Wir hatten schon einige schlimme Jungs dabei“, sagt Geistert. „Die haben das Auto nicht saubergemacht oder es irgendwo abgestellt, weil sie keine Lust mehr hatten.“ Ein No-Go für jemanden wie Geistert, für den Dinge wie Ordnung und Verantwortungsbewusstsein an erster Stelle stehen – wer unzuverlässig war, flog raus. Geistert stellte Regeln auf und setzte Standards. So bildete sich nach und nach ein verlässliches Team; als gelernter Offizier hatte Geistert hier sozusagen einen neuen Zug gefunden, den er leitete.

Auch die Fahrzeuge verbesserten sich im Laufe der Zeit: „2006 haben wir einen Opel-Kleintransporter bekommen, zwar ohne Kühlung, aber man konnte drin stehen“, sagt Stegemann. Das erste Fahrzeug mit Kühlung kam erst 2010; heute sind alle der mittlerweile vier Transporter der Potsdamer Tafel gekühlt.

14 Jahre lang Vollzeit als Ehrenamtler

Und die sind auch nötig: 20 bis 22 Supermärkte müssen täglich angefahren werden, nicht immer stehen die Lebensmittel geordnet zur Abholung bereit. So sind die Freiwilligen schon mal bis zu acht Stunden täglich auf Achse – ein Vollzeitjob. Warum macht man so etwas mehr als 14 Jahre lang als Ehrenamtler? „Das frage ich mich manchmal auch“, meint Geistert und schmunzelt. „Mir hat es immer Spaß gemacht.“ Stegemann sieht das ähnlich: „Man wächst da irgendwie rein und irgendwann braucht man es regelrecht. Es ist natürlich auch ein schönes Gefühl, wenn man sieht, dass die Leute sich freuen und dankbar sind für das, was man tut.“

Geistert hätte sicher noch einige Jahre weitergemacht, doch er hat sich aus gesundheitlichen Gründen fürs Aufhören entschieden: „Es ist nicht einfach, das abzugeben“, sagt er. Immerhin gab es einen reibungslosen Übergang: Stegemann ist seit 2009 bei der Tafel und war viele Jahre lang Geisterts Stellvertreter. Der 54-Jährige ist zufrieden mit dem Team und der technischen Ausstattung, die die Tafel heute hat: „Wir haben einen guten Standard.“ Nur ein Problem gebe es nach wie vor: „Leute, Leute!“, sagt Geistert. Nachwuchs kann das 28-köpfige Fahrerteam der Tafel immer gebrauchen, denn: „Die Autos sind das A und O. Wenn die nicht rollen, kommen keine Lebensmittel an“, sagt Stegemann.

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