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Irene Wewer.

© Ottmar Winter

Potsdam, die Stadt der Gründerinnen: „Ich hatte keine Lust mehr auf blöde Männersprüche“

2020 wurden erstmals mehr als die Hälfte der neuen Unternehmen in Potsdam von Frauen gegründet. Die Stadt bietet gute Bedingungen – einige Hürden bleiben.

Potsdam - Irgendwann wollte sie selbst entscheiden, welche Aufträge sie annimmt. „Ich hatte keine Lust mehr auf blöde Männersprüche“, sagt Irene Wewer. Sprüche wie „ach, ich dachte, der Chef macht das“, wenn sie mit der Bohrmaschine an der Tür klingelte. Also gründete die Raumausstatterin vor fünf Jahren HammerFrau, eine Firma von Frau zu Frau. So will die 48-Jährige, stets mit dem Rad unterwegs, Frauen die Hemmschwelle nehmen, Handwerker ins Haus zu lassen. Und Kundinnen ein offenes Ohr bieten, um Ideen zur Gestaltung ihrer Wohnung zu diskutieren. Mit Erfolg: „Ich habe noch nie so viel gearbeitet“, sagt Wewer. Obwohl sie sich traute, den Stundenlohn ein Drittel höher anzusetzen, als in der Gründungsberatung vorgeschlagen. „Frauen verkaufen sich unter Wert“, glaubt sie.  

Wirtschaftlich unabhängig und selbstbestimmt arbeiten: Das steckt bei vielen hinter dem Wunsch nach dem eigenen Unternehmen. Doch Gründen, so zeigt der KfW-Gründermonitor, ist deutschlandweit in der Mehrheit der Fälle noch immer Männersache. Nur hinter 38 Prozent der Existenzgründungen steckten 2020 Frauen. Doch in Potsdam sieht es anders aus: 2020 wurde erstmals die Mehrheit der neuen Gewerbe von Frauen angemeldet. 52,8 Prozent Gründerinnen registrierte der Bereich Statistik der Landeshauptstadt 2020, nach 41,2 Prozent im Vorjahr. Was macht Potsdam zur Stadt der Gründerinnen? Heißt diese Zahl auch, dass alles gut läuft bei den Frauen in der Potsdamer Wirtschaft? 

Was macht Potsdam zur Stadt der Gründerinnen?

Wer mit Potsdamer Gründerinnen spricht, hört viel Lob für die Unterstützung durch die Wirtschaftsförderungen der Stadt und des Landes sowie der Verbände wie der Industrie- und Handelskammer (IHK). „Die Bedingungen für Gründer sind in Potsdam sehr gut. Die Wirtschaftsförderung ist gut organisiert, es gibt Fördermittel und gute Beratung“, sagt Laura-Maria Horn. Die 37-Jährige hat 2019 das Start-Up Marktkost gegründet, das Unternehmen und Privatleute mit nachhaltigem Mittagessen im Glas beliefert. Also alles in Butter? „Ich glaube, dass man als Frau beim Werben um Finanzierung härter kämpfen muss“, so Horn. Sie habe in der Gründungsphase bei Investoren manchmal das Gefühl gehabt, nicht ernst genommen zu werden.  

Laura-Maria Horn.
Laura-Maria Horn.

© Ottmar Winter PNN

Das kann Andrea Wickleder bestätigen. „Statistiken zeigen, dass in Start-Ups mit Frauenteams weniger investiert wird. Investoren vertrauen weiblichen Gründerinnen offenbar weniger“, sagt die Managerin des Media Tech Hub. Dessen Accelerator begleitet technikbasierte Start-Ups – und legt besonderen Wert auf Diversität. Etwa 40 Prozent der unterstützten Firmen haben mindestens eine Frau im Gründerteam. Weniger als die Hälfte – aber deutlich mehr als im Bundesschnitt. 

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Firmengründung ist meist kein 40-Stunden-Job

Das Hauptproblem sieht Wickleder aber nicht in externen Faktoren. „Ich denke, dass wir Frauen häufig spätestens dann, wenn Kinder kommen, unbewusst in tradierte Rollenmuster zurückfallen“, sagt die 43-Jährige. Die Zerrissenheit zwischen Familie und Beruf, die doppelte Verantwortung von Müttern, trifft Unternehmerinnen und Gründerinnen besonders. Denn Firmengründung ist meist kein 40-Stunden-Job.  

Goldschmiedemeisterin Elisabeth Baumgart hat vor sechs Jahren ein eigenes Geschäft in Babelsberg geöffnet. Nach der Geburt ihres Kindes ist sie schnell wieder voll eingestiegen, ihr Partner nahm ein Jahr Elternzeit. „Aber die Erwartungshaltung ist tief verankert“, sagt die 35-Jährige. Als die PNN sie erreichen, hat sie einen freien Tag genommen – zwangsweise, weil die Kita einen Schließtag hat. „Man will ja für sein Kind da sein, alles in der Firma schaffen, aber so trägt man die doppelte Last“, beschreibt sie. „Wir leben in einer Zeit, in der wir alles dürfen, alles können, aber eben auch alles sollen.“  

Potsdams Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth sieht darin ein strukturelles Problem. „Wir haben in Potsdam gute Kitas, aber wir brauchen flexible Kitastrukturen“, sagt sie. Betreuungszeiten, die auch auf Frauen Rücksicht nehmen, die nicht um 16 Uhr Feierabend machen können. Und ein Bewusstsein dafür, so Trauth, dass Frauen noch immer 80 Prozent der Sorgearbeit übernähmen – auch wenn sie voll arbeiten. Darin sieht sie eine Ungleichheit mit Folgen. „Das Potenzial der Frauen ist längst nicht ausgeschöpft.“ 

Potsdams Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth. 
Potsdams Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth. 

© Ottmar Winter

„Männer haben oft mehr Selbstbewusstsein, Frauen Angst vor Blamage.“

Das liegt auch an einer weiteren Barriere in den Köpfen. Franka Kohler ist Potsdamer Coachin und begleitet Frauen bei der beruflichen Neuausrichtung. „Zu mir kommen immer wieder Frauen, die genau wissen, was sie wollen – aber dann kommt eine Schwelle aus Ängste“, beschreibt Kohler. Für sie ein klarer Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Gründern. „Männer haben oft mehr Selbstbewusstsein, Frauen Angst vor Blamage.“ Unterstützung leisten können hier weibliche Netzwerke zum Austausch, zur Bestärkung, um der Angst die Macht zu nehmen. 

Franka Kohler.
Franka Kohler.

© Maria Noi/Promo

Die Gründerinnen in ihrer Beratung, sagt sie, kämen oft nach „jahrelangem Feilen im stillen Kämmerchen“ – und zögerten vor dem Schritt in die Sichtbarkeit.  

Als Karin Genrich ihr erstes Modegeschäft in Potsdam öffnete, waren die Hürden ganz andere. 1987 war das, in einem politischen System, das Privateigentum nicht akzeptierte. „Mir wurden große Steine in den Weg gelegt, aber ich habe mich durchgesetzt“, sagt die heute 77-Jährige. „Ich habe mir immer starke Frauen als Vorbild genommen.“  

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Solche Vorbilder findet auch Aenne Lamprecht wichtig. Sie hat in den vergangenen 25 Jahren acht Physiotherapiepraxen in Potsdam aufgebaut. „Es geht ums Mut machen“, sagt Lamprecht, die auch in Schulen Vorträge hält. Sie möchte „die Idee einpflanzen“, dass sich auch Frauen selbstständig machen können. „Wer den Schritt wagt, für sich und andere Verantwortung zu übernehmen, den macht das auch als Menschen stark.“ 

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Unternehmerinnen und Politikerinnen

„Frauen auf dem Weg“ heißt eine Veranstaltung im Rahmen der Frauenwoche, die sich am 14. März mit dem Thema berufliche Orientierung und Gründen in Potsdam befasst. Neben einem Impulsvortrag über „Überwindbare Hürden“ sind zwei Talkrunden angesetzt. Zunächst geht es um Orientierung und Entscheidungen, in einer zweiten Runde wird die Frage „Gründen Frauen anders?“ behandelt. 

Delesa Wiesenthal-Neumann, Potsdamer Gründungsberaterin und eine der Diskutantinnen, beantwortet die Frage klar mit Ja. „Frauen haben immer Plan B und Plan C. Männer gehen dagegen gar nicht davon aus, dass das Unternehmen scheitern könnte“, fasst sie knapp zusammen. Was weibliches Unternehmertum ausmacht, soll in der Runde beleuchtet werden. 

Die Veranstaltung findet ab 15 Uhr in den Räumen der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK) statt. Anmeldung und mehr Informationen unter frauen-auf-dem-weg.de. Um „Alltagsheldinnen und Lokalexpertinnen“ geht es bei einer Podiumsdiskussion am morgigen Dienstag um 15 Uhr im Plenarsaal des Landtags oder digital. Kommunalpolitikerinnen berichten von ihrem persönlichen Werdegang. Anmeldung unter teilnahme.protokoll-bb.de

Sandra Calvez

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