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Die Stellung halten. Florian Marsch, Kathleen „Klarer“ Wakle und Christoph Rettig (v.l.n.r.) am Havelufer in Potsdam-West. Seit einigen Wochen lädt die Gruppe um Kunsthandwerker Marsch Passanten zum Kreativwerden ein – man wolle den Freiraum sichern. Die „Seelenphilosophen“ haben auch weitere Pläne.

© Manfred Thomas

Potsdam: Die Boots-Philosophen

Am alten Hafen unweit der Kastanienallee beleben Aktivisten das Ufer. Sie sehen den Freiraum wegen eines geplanten Bootssteges in Gefahr. Der wird indes wohl kleiner ausfallen.

Potsdam - Improvisierte Sitzgelegenheiten aus Holzpaletten, ein paar Stühle, auf dem kleinen Tisch davor liegen Käse und Marmelade. Ein blauer Sonnenschirm und eine Stoffbahn schützen die kleine Sitzecke vor der Hitze. Um sie herum sind einige Installationen aufgestellt, Kunst aus Gefundenem, Holz und Maschendraht, bunter Stoff, ein rostiges Gitter. Auf einer weißen Tafel werden für den Nachmittag Workshops angekündigt: Kunst und Jonglage, Eintritt frei. Am Havelufer unweit der Kastanienallee, dort, wo abends die Bänke auf den Kaimauern des alten Potsdamer Hafens von Jugendlichen und jung Gebliebenen belagert sind, ist neuerdings auch tagsüber Betrieb.

„Seelenphilosophen“ nennt sich die Gruppe um Florian Marsch, die seit einigen Wochen dort aktiv ist. Der Lebenskünstler, Jahrgang 1988, ist Tischler und Kunsthandwerker, wie er erzählt. Aber damit verdiene er nur im Winter sein Geld. Außerdem sei er „gelernter Bauer“ aus Luckenwalde, seit 15 Jahren jedoch in Potsdam zuhause, unterwegs „im sozialen Bereich“. Er engagiere sich auch beim Konsens e.V., der die kleine Baulücke in der Gutenbergstraße mit einem Gemeinschaftsgarten belebt, bei einem Gartenprojekt in Leest oder für Geflüchtete.

„Wir brauchen in Potsdam nicht noch einen Ort, wo der Kaffee 2,30 Euro kostet – sondern einen, wo man einen Kaffee für 30 Cent bekommt“

Noch sind die „Seelenphilosophen“ ein Freundeskreis, 20 bis 30 Unterstützer gehörten zum festen Kern, sagt Marsch. Irgendwann, so der Plan, soll daraus ein Verein werden. Man arbeite gerade an einem Konzept. Dafür wolle man sich mit anderen alternativen Initiativen in der Stadt vernetzen, zum Beispiel der Wagenhausburg auf Hermannswerder, den Stadtrandelfen, Kultür Potsdam oder dem Friedrich-Reinsch-Haus am Schlaatz. Bildungs- und Kreativangebote für Kinder soll es geben, zum Beispiel Müllsammel- und Bastelaktionen, wie man sie bereits mehrfach an verschiedenen Orten in der Stadt durchgeführt habe. Einen Anlaufpunkt für Kreative und alle anderen wolle man schaffen, auch bezahlbares Essen anbieten, nachhaltig sein, sich für Klimaschutz und gegen Kinderarmut engagieren. „Wir brauchen in Potsdam nicht noch einen Ort, wo der Kaffee 2,30 Euro kostet – sondern einen, wo man einen Kaffee für 30 Cent bekommt“, sagt Marsch.

Sein Traum: Einen alten Kahn, der vor Ort schon lange verlassen am Havelufer liegt, dafür aufzumöbeln. Mit dem Eigentümer sei man in Gesprächen. „Ein Mehrgenerationenhausboot“, erklärt Marsch. „Hier wäre eine schöne Stelle dafür.“

„Ich möchte nicht zu denen gehören, die sagen: Wir haben uns alles wegnehmen lassen.“

Unscheinbar wirkt das kleine Stück Uferweg zwischen dem ehemaligen Elektrizitätswerk und der Kastanienallee, nur den rauhen alten Betonweg gibt es hier, die Kaimauern, auf die irgendwann Sitzflächen aus Holz montiert wurden, und diesen wunderbaren Blick nach Hermannswerder. Manch einer wird sich noch an die Strandbar erinnern, die es dort Anfang der 2000er Jahre gab. Lange lag hinter dem Uferweg eine Brache, die immer mehr verwilderte. Jetzt entsteht dort die noble Yachthafenresidenz „Havelwelle“, vergangene Woche wurde Richtfest gefeiert (PNN berichteten). Zwei Tage vorher wurde der Uferweg von Ordnungsamt und Polizei geräumt, Marsch und einige weitere des Platzes verwiesen. Kein Zufall, denken sie. Die Stadt hatte den Einsatz mit der Beschwerde von Bürgern erklärt.

Marsch sieht durch das Bauprojekt, insbesondere durch den geplanten Bootssteg, das öffentliche Ufer mit freiem Blick in Gefahr. „Wir wollen Freiräume sichern“, sagt seine Mitstreiterin Kathleen „Klarer“ Wakle: „Diese kleinen Oasen sollen bleiben.“ Die 59-jährige gelernte Binnenfischerin ist Gründungsmitglied der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“, sie hat sich gegen den Abriss der Fachhochschule am Alten Markt engagiert und gegen den geplanten Abriss des Kreativhauses Rechenzentrum. Am Havelufer sieht Wakle einen alten Potsdamer Konflikt erneut aufflammen: Den um Freiräume für diejenigen, die nicht das große Geld haben. „Ich möchte nicht zu denen gehören, die sagen: Wir haben uns alles wegnehmen lassen.“

Uferweg soll in städtischer Hand bleiben

Der Uferweg ist in städtischer Hand und soll es auch bleiben, wie Stadtsprecher Jan Brunzlow auf PNN-Anfrage sagte. Und doch wird sich dort künftig einiges ändern. Für die Gestaltung gibt es bereits konkrete Pläne: Der Weg wird in einen 25 Meter tiefen Uferpark mit Bäumen und Sträuchern eingebettet, der bis an die neue „Havelwelle“ heranreicht. Das ist im vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nummer 16 aus dem Jahr 2014 festgeschrieben. Auch Böschungen und Hügel sollen angelegt werden. „Somit entsteht der Eindruck einer ,bewegten’ Landschaft, welche nicht nur als bloßes Abstandsgrün zur Wohnbebauung fungiert“, heißt es im Plan. Mit dem Investor sei damals vertraglich vereinbart worden, dass er die Herstellung des Uferparks übernimmt und bezahlt, so der Stadtsprecher. Auch der Durchgang in Richtung Zeppelinstraße wird laut Plan wieder geöffnet.

Der neue Bootssteg wird indes nicht in der vom Investor ursprünglich geplanten Größe gebaut werden können, so der Stadtsprecher weiter. Die Anlage, die fast so lang wie das Haus werden sollte, sei „nicht genehmigungsfähig“ gewesen, wie die Stadt in Vorabgesprächen mit dem Investor deutlich gemacht habe. Seit vergangener Woche liege nun ein Antrag für einen Bootssteg mit „reduziertem Umfang“ vor. Über den werde die Stadt unter Berücksichtung von Planungsrecht, Umweltschutz und Denkmalschutz entscheiden.

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