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Potsdam auf Papier: Urban Sketcher: Mit dem Block durch die Stadt

Urban Sketcher halten die Welt in ihren Skizzenbüchern fest. Nun hat sich auch eine Gruppe in Potsdam gegründet. Ein Treffen auf dem Ruinenberg.

Von Helena Davenport

Potsdam - Es ist Freitagabend, kurz nach 18 Uhr und die Außentemperatur beträgt 32 Grad. Ein Spaziergang zu einem Wasserreservoir mag da zunächst verlockend klingen. Der Haken? Das Wasserreservoir auf Potsdams Ruinenberg liegt in 74,1 Metern Höhe. „Wer hatte eigentlich diese Idee?“, fragt Raina Lau lachend. Sie und Jörg Schönrock gehen vorne weg, drei junge Frauen folgen ihnen. Das alles beruhe auf einem Missverständnis, erklärt Schönrock, er habe eigentlich den Telegrafenberg gemeint. Lau prustet los: „Der wäre ja noch höher!“ Genau genommen geht es den fünf auch gar nicht um eine Erfrischung, vielmehr wollen sie gemeinsam zeichnen, ihre Stadt Potsdam genau betrachten, um dann einzelne Facetten, alltägliche Momente in ihren Skizzenbüchern einzufangen. Urban Sketchers heißt die weltweite Gemeinschaft, die sich im Laufe der vergangenen zehn Jahre gebildet hat. Seit Ende Juni hat nun auch Potsdam eine eigene Gruppe. Am vergangenen Freitag fand bereits ihr zweites Treffen statt.

Die Idee entstand im Kulturzentrum Freiland. Stefanie Stock und Schönrock sahen sich wie gewohnt beim Aktzeichenkurs und fragten sich gemeinsam: Wieso immer nach Berlin fahren für Urban Sketchers Treffen, wenn die eigene Stadt doch so viele Motive zu bieten hat? Und so gründete die 38-jährige Grafikdesignerin Stock eine Gruppe im Sozialen Netzwerk Facebook. „Beim ersten Treffen auf der Freundschaftsinsel waren wir schon zu acht – das hat Mut gemacht“, sagt Schönrock. Der 50-Jährige ist Musiker, spielt und unterrichtet Schlagzeug. Außerdem ist er seit 2015 Fernstudent an der Akademie für Malerei Berlin. Porträts zeichnet er am liebsten. Aber beim Urban Sketching gehe es auch darum, über den eigenen Schatten zu springen: „Man sollte sich schon auf Neues einlassen können und sich nicht nur auf das eigene Thema konzentrieren“, sagt er.

„Andere machen Yoga, ich mache das“

Oben auf dem Ruinenberg ist die Stimmung geradezu romantisch. Die Sonne steht schon tief, das Licht ist nicht mehr beißend grell, stattdessen wirft es die Landschaft in ein orangefarbenes Gewand. Die Hitze macht sich allerdings noch immer als Flimmern bemerkbar. Das Potsdam, das hinter den antik anmutenden Ruinen sichtbar wird, scheint zu vibrieren. Schönrock und Lau haben sich im Monopteros zwischen die Säulen gesetzt und kolorieren mittlerweile ihre Bleistiftzeichnungen mit Aquarellfarben. Stock sitzt auf der anderen Seite, um den Normannischen Turm mit Buntstiften festzuhalten.

Hinter die 28-jährige Erzieherin Carolin Winning hat sich ein älterer Herr gestellt. Gibt er Tipps oder möchte er nur schauen? „In der Gruppe ist man stärker. Ich mag es nämlich nicht, wenn Leute plötzlich auf mich zukommen“, kommentiert Ulrike Niedlich, die neben Winning den Stromkasten als Ablagefläche nutzt. Genau deswegen sei sie lieber mit der Gruppe unterwegs, sagt die 36-Jährige. Niedlich zeichnet auch beruflich, ihre Handbewegungen sind schnell, ihr Strich geübt. Sie ist Animatorin und Illustratorin, möchte aber wieder mehr für sich zeichnen, sagt sie. Für Winning ist das Zeichnen ein Ausgleich, Entspannung: „Andere machen Yoga, ich mache das“, sagt sie und grinst. Bevor sie anfing, im Kindergarten zu arbeiten, war sie drei Jahre lang als Grafikerin in Potsdam tätig. Durch die Gruppe lerne sie neue Motive kennen, etwa den Rundbau samt Säulen zu zeichnen sei eine ganz neue Herausforderung.

Die ersten Schritte der Bewegung machte der in Seattle ansässige Journalist und Illustrator Gabriel Campanario. Er gründete 2007 ein Online-Forum, um Urban Sketchers aus verschiedenen Regionen zusammenzubringen. Sein Ziel: Kein geringeres, als die Welt zu zeigen. Auf seiner Website hat er auch ein Manifest veröffentlicht. Die Mitglieder zeichnen vor Ort, von einer Fotografie abzuzeichnen ist hingegen tabu – es soll darum gehen, Ort und Zeit zu dokumentieren und die Skizzen anschließend zu veröffentlichen. Hierbei sind alle Stile, alle Medien möglich. Außerdem solle man sich gegenseitig unterstützen.

40 Künstler im „Urban Sketchbook: Band I“

Das Handwerk ist altbekannt, die Verbreitungsart über Soziale Netzwerke neu. Erst vor kurzem überführte der Trickfilm-Designer Sebastian Koch gesammelte Werke aber wieder in ein altes Medium, um einen Überblick zu schaffen. Im Jüli-Verlag erschien das „Urban Sketchbook: Band I“, das Arbeiten von 40 Künstlern vereint. Jede einzelne Zeichnung – ob flüchtig im Vorbeigehen entstanden oder aufwendig gestaltet – gibt ein anderes Gefühl von Stadt wieder.

Die Potsdamerin Raina Lau hat ihre Zeichenutensilien immer dabei. Die 37-Jährige arbeitet in einer Krebsberatungsstelle und zeichnet vorwiegend auf Reisen, im Italienurlaub, an der Ostsee, in Warschau. Durch ihre Skizzen intensiviere sie ihre Erinnerungen. Zuhause musste sie aber erst durch die Gruppe angestiftet werden, wie sie sagt. „Das ist alles wunderbar zwanglos und gleichzeitig spannend. Man kann Materialfragen klären und auch vergleichen“, so Lau.

Nach rund zwei Stunden versammeln sich die fünf Potsdamer Urban Sketcher, um die gefundenen Motive, die fertigen Zeichnungen zu besprechen. „Die Gemeinschaft ist mir sehr wichtig“, sagt die Initiatorin Stefanie Stock. Großen Wert legt sie auch darauf, dass die Gruppe kostenlos und für alle zugänglich ist. „In Potsdam kosten sonst alle Kurse Geld“, sagt sie. Dass sie dieses Mal nur zu fünft waren, findet sie nicht schlimm: „Es ist schließlich Urlaubszeit.“ Am schönsten fände Stock es, wenn die Treffen 14-tägig stattfinden könnten. Aber erst einmal will sie jeden Monat ein Zeichner-Rendezvous organisieren. Das nächste ist für den 24. August um 18 Uhr in Babelsberg-Nord angesetzt, Näheres will sie auf ihrer Facebookseite bekanntgeben. So viel ist schon klar: Sowohl Profis als auch Amateure sind herzlich eingeladen.

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