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Position zur Garnisonkirche: Versöhnung wird buchstabiert

In einem Gastbeitrag zur Garnisonkirche betont Cornelia Radeke-Engst, Pfarrerin in der temporären Nagelkreuzkapelle, dass die Geschichte der Kirche nicht schönzureden ist - und dass ein neuer Geist eine neue Kirche bekommt.

Am Ort der ehemaligen Garnisonkirche buchstabiert die Profilgemeinde der Nagelkreuzkapelle Friedens- und Versöhnungsarbeit unter dem Motto „Geschichte erinnern – Verantwortung lernen – Versöhnung leben“.

Versöhnung heißt nicht, sich mit der Geschichte zu versöhnen, das ist unmöglich. Versöhnung heißt, Geschichte aufzuarbeiten und Menschen, die über der Geschichte zu Feinden geworden sind, an einen Tisch zu bringen. Von Paul Oestreicher, dem ehemaligen Leiter des Versöhnungszentrums in Coventry, haben wir gelernt: Conciliation heißt an einem Tisch sitzen und Re-conciliation – das englische Wort für Versöhnung – an den Verhandlungstisch zurückkehren. Die Kurzform davon ist: Feindesliebe. Gemeinsam sollten Befürworter und Kritiker des Wiederaufbaus der Garnisonkirche an einem Tisch sitzen und die Prioritäten der Versöhnungsarbeit aus Coventry umsetzen: 1. Die Wunden der Geschichte heilen, 2. Mit Unterschiedenheit leben und Vielfalt feiern, 3. Eine Kultur des Friedens schaffen. Diesen Prioritäten haben wir den Dreiklang für unsere Arbeit zugeordnet: Geschichte erinnern, Verantwortung lernen und Versöhnung leben.

Die Geschichte ist nicht schönzureden

Aus heutiger Sicht bewerten wir: Die Geschichte dieser Kirche, die Menschen in ihr gestaltet haben, ist nicht schönzureden. Schuld aber hat nicht ein Kirchengebäude. Schuld ist etwas Persönliches. Schuld haben die Menschen in ihrer Schwäche und ihrem Hochmut das Gute zu wollen und das Böse zu tun.

Die Kirche war eine Hof- und Garnisonkirche und preußische Weihestätte, in der Gottes Wort auch missbraucht wurde. Diese Geschichte teilt sie mit anderen Kirchen Deutschlands. Aber zugleich war sie ein Ort, an dem Menschen Christus begegnet sind. Auf dem Altar der Garnisonkirche lag nur die Bibel, während in Nikolai- und Friedenskirche Hitlers „Mein Kampf“ neben der Bibel lag, vom Turm der Garnisonkirche spielte Otto Becker trotz des Verbots der Nazis das Lied des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy „O Täler weit, o Höhen“, über 30 Gemeindemitglieder waren im Widerstand am 20. Juli 1944 und die Pfarrer der Militärgemeinde standen der Bekennenden Kirche nah, einer von ihnen war ebenfalls am Widerstand des 20. Juli beteiligt. Wolfgang Huber sagt, wir bauen den Turm nicht trotz, sondern wegen der Geschichte wieder auf. Denn mit dieser so zwiespältigen Geschichte ist die Kirche zu einem hier anzutreffenden Symbol geworden und damit zu einem besonderen Lernort. In Gedenkandachten, Vorträgen und Seminaren betrachten wir die Geschichte in all ihren Facetten.

Versuch, eine Schule des Friedens zu sein

Wir erarbeiten neun Bausteine für Schulklassen zu Themen der Geschichte der Garnisonkirche. Durch Konfliktseminare und unser neues Format „Potsdamer Friedensdiskurs“ versuchen wir eine Schule des Friedens zu sein. Themen wie die Gefahren von Militäreinsätzen, die Notwendigkeit der Kriegsprävention und die Herausforderung der Friedenssicherung stehen auf unserem Programm.

Dompropst Richard Howard hatte 1940 an die Wand der zerstörten Kathedrale von Coventry geschrieben: Father forgive, Vater vergib. Er hat nicht geschrieben: Father forgive them, Vater vergib ihnen! Nicht die anderen sind schuld. Wir alle stehen in einer Schuldgemeinschaft. Erst aus diesem Bewusstsein heraus gelingt ein Gespräch auf Augenhöhe. (...)

Ein neuer Geist bekommt ein neues Haus. Wir können uns darauf verlassen, dass Christus, der sagt, „siehe, ich mache alles neu“, diese Neuanfänge auch mitten im Leben schenkt. Ohne den Glauben, das Vertrauen in diese Worte, ist Kirche nicht zu denken und nicht lebensfähig. Dieser Geist Gottes ist stärker als der Geist der Vergangenheit. Hier wird keine rückwärtsgewandte Militärkirche aufgebaut und keine preußische Weihestätte. Auch äußerlich wird der Neuanfang erkennbar sein, in einem neuen Text im Architrav, ein neues Lied „Gib Frieden, Gott, gib Frieden“ wird die alten des Glockenspiels ergänzen. Innen gibt es einen starken Bruch. Die Nagelkreuzkapelle wird ganz schlicht gestaltet sein, unter anderen mit einer Gedenkstätte für den Widerstand gegen Hitler um den 20. Juli. Bei der Indienstnahme der neuen Kapelle wird ein Schuldbekenntnis den Neuanfang bekräftigen. Die Ausstellungsetage im Turm wird differenziert die Geschichte dieses Symbolortes beleuchten und die Friedensbotschaft Jesu nahebringen.

Der Neukonzeption der inhaltlichen Arbeit haben Kirchenleitung und Kreissynode Potsdam zugestimmt. Die Profilgemeinde, mit bisher 200 Gemeindemitgliedern, lebt einen Neuanfang und versucht, Versöhnung zu buchstabieren.

Die Autorin ist Pfarrerin in der temporären Nagelkreuzkapelle am Ort der früheren Garnisonkirche an der Breiten Straße. Ihr Text ist die gekürzte Fassung einer Replik auf eine Rede von Matthias-W. Engelke, dem Vorsitzenden der Friedensorganisation Internationaler Versöhnungsbund, gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Die Position von Engelke war in den PNN am 18. März 2016 erschienen.

Cornelia Radeke-Engst

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