zum Hauptinhalt

POSITION: Wenig zu feiern, noch viel zu tun

Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) will keine Brüche, sondern das Trugbild einer preußischen Barockidylle, findet Die-Andere-Stadtverordneter Lutz Boede.

Von Valerie Barsig

Potsdam - Seit Jahren lasse ich regelmäßig die Einladung des Oberbürgermeisters zum Neujahrsempfang verfallen. Wahrscheinlich sollte ich künftig auch die Berichte der Lokalpresse nicht mehr lesen, um die festliche Selbstbeweihräucherung nicht ertragen zu müssen. Vielleicht ist es normal, dass eine Partei, die 35 Jahre den OB-Sessel besetzt, sich die Welt einfach und gemütlich macht. Umso wichtiger ist es, dass hin und wieder mal jemand sagt, dass der Kaiser nackt ist.

Wenn der Gastredner vom Tagesspiegel findet, dass Potsdam zwischen Mercure und DDR-Kunst im Barberini mit Brüchen produktiv umgeht, weiß er offenbar nicht, dass der Abriss des Mercure noch immer als Sanierungsziel besteht, weil der gelobte Jann Jakobs eben keinen Bruch im Stadtbild will, sondern das Trugbild einer preußischen Barockidylle.

Wenn Herr Casdorff von einer Modellstadt sozialverträglichen Miteinanders spricht, ahnt er nicht einmal, dass nicht nur viele Menschen die Angst umtreibt, sich ein Leben in ihrer Heimatstadt bald nicht mehr leisten zu können, sondern dass gleichzeitig reiche Eltern bei Trainern von Fußballvereinen anrufen und Geld anbieten, damit der Sprössling einen Platz im überfüllten Fußballteam bekommt.

Wenn Potsdam als Stadt gelobt wird, in der „Maß und Mitte ausgelotet werden“, wird übersehen, dass die Stadtentwicklung dogmatisch nach der Mitteschön-Doktrin „Wo es war, wie es war“ vorangetrieben wird und dass das Tempo des Flächenabrisses in der Innenstadt längst das menschliche Maß überschreitet.

Warum hofieren Journalisten und Oberbürgermeister auf dem Neujahrsempfang die „von Preußens“ und freuen sich, dass der Urenkel des letzten deutschen Kaisers nach Babelsberg zieht?

Sollten sie nicht eher kritisieren, dass die Hohenzollern-Nachfolger bis heute eine millionenschwere Entschädigung für ihre Enteignung im Rahmen der demokratischen Bodenreform verlangen, obwohl ihre Vorfahren das NS-Regime aktiv unterstützt haben? Kann man von Repräsentanten einer Demokratie nicht erwarten, dass sie sich von monarchistischem Mummenschanz emanzipieren?

Aber auch die selbstgerechte Rede des Oberbürgermeisters Jann Jakobs ärgert mich. Wenn er die Kreativwirtschaft als Alleinstellungsmerkmal der Stadt bezeichnet, aber gleichzeitig keine hinreichenden Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Wenn er sagt, dass alle Stadtteile und damit alle Potsdamerinnen und Potsdamer an der höheren Lebensqualität partizipieren, aber selbst die Bedürfnisse der Wohngebiete und der neuen Ortsteile erkennbar gegenüber dem touristischen Stadtzentrum vernachlässigt. Wenn er mehr Geld für Integration und Sprachunterricht fordert, aber selbst den Kursleiterinnen an der Volkshochschule die geringe Honorarerhöhung verweigert, die die Stadtverordneten beschlossen haben. Wenn er den Familiennachzug von Flüchtlingen schnell geregelt wissen will, aber seine Ausländerbehörde hochschwangeren Frauen deutscher Kinder Krankenversicherung und Aufenthaltstitel verweigert oder Anträge auf Familiennachzug monatelang nicht einmal beantwortet. Wenn er vor den rassistischen Stimmungen im Lande warnt, aber am Holocaustgedenktag in der Gedenkstätte Lindenstraße spricht, in der den Opfern des NS-Regimes seit Jahren ein eigener Gedenkort verweigert wird.

Wenn Jann Jakobs will, dass er uns in wenigen Monaten fehlt, hat er also noch viel zu tun.

Der Autor ist Fraktionsgeschäftsführer und langjähriger Stadtverordneter der linksalternativen Wählergruppe Die Andere und tritt für sie bei der Oberbürgermeisterwahl im Herbst 2018 an. Mit dieser Position reagiert er auf die Festrede von Tagesspiegel-Chefredakteur Stephan-Andreas Casdorff beim Neujahrsempfang der Landeshauptstadt und auf die dort gehaltene Rede von Oberbürgermeister Jann Jakobs (PNN berichteten).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false