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PNN-Serie zur Oberbürgermeisterwahl in Potsdam: „Ich bin stolz auf Potsdam“

Potsdamer Realitätscheck: Marc Liebscher von der Babelsberger Flüchtlingshilfe wünscht sich eine tolerante Stadt, mehr Unterstützung für das Ehrenamt und günstige Wohnungen.

Toleranz hat in Potsdam bekanntlich eine lange Tradition: Schon der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm begrüßte im 17. Jahrhundert erst aus Österreich vertriebene Juden und später aus Frankreich geflohene Hugenotten in Brandenburg. Später folgten böhmische Weber und holländische Handwerker. Dem Land hat es nicht geschadet. Im Gegenteil.

Toleranz ist auch für den Babelsberger Marc Liebscher ein wichtiger Begriff. Und zwar nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch. Er ist nämlich einer der Gründer der Babelsberger Flüchtlingshilfe. Spricht er heute über die Tage im Herbst 2015, merkt man ihm immer noch an, wie ihn das Thema mitnimmt. Dann beugt er sich nach vorn und redet mit den Händen. Seinerzeit korrigierte das Land die Zahl der in Potsdam unterzubringenden Flüchtlinge mehrfach nach oben. Die Stadtverwaltung suchte händeringend nach Unterkünften. Im November verkündete sie dann, dass an vier Standorten Leichtbauhallen aufgestellt werden sollen – eine davon an der Babelsberger Sandscholle. Im Umfeld fanden sich hilfsbereite Babelsberger zusammen, verteilten Flyer und suchten Gleichgesinnte. „Zu einem ersten Treffen in der katholischen Marienschule kamen schon mehr als 100 Menschen zusammen“, erinnert sich Liebscher, der seit rund fünf Jahren in Babelsberg mit seiner Frau und zwei Kindern lebt. Ihnen sei klar gewesen, dass das Zusammenleben mit den Neuankömmlingen nur gelingen kann, wenn sich die ganze Stadtgesellschaft an der Integration beteiligt. „Das kann man nicht allein der Verwaltung überlassen.“

Die ehrenamtlichen Helfer begleiteten Flüchtlinge zu Ärzten und Ämtern, halfen bei der Suche nach Arbeitsplätzen und Praktika und beim Lernen der deutschen Sprache. Von ganz links bis zu Konservativen habe es in Potsdam einen Konsens gegeben, so Liebscher. „Man muss sich um die Menschen kümmern, die hier sind.“ Die Stadtgesellschaft sei dazu motiviert. „Darauf kann Potsdam stolz sein. Ich bin auch stolz auf Potsdam.“

Damit das so bleibt wünscht sich Liebscher einen Oberbürgermeister, der Potsdam auch weiterhin als offene Stadt prägt. Jann Jakobs habe das getan. Unter den Kandidaten für dessen Nachfolge erkenne er den Willen dazu bei allen außer bei dem der AfD, so der 45-Jährige.

Liebscher lobt auch die Zusammenarbeit mit der der Stadtverwaltung. Dort habe man als Flüchtlingshelfer offene Türen eingerannt. Allerdings sieht er auch noch Verbesserungsmöglichkeiten – etwa bei der interkulturellen Kompetenz mancher Mitarbeiter. Formulare seien ja schon für die meisten Deutschen kaum zu verstehen. Neuzugezogene mit geringen Sprachkenntnissen täten sich entsprechend schwer. „Da muss man sich nicht an Formfehlern festbeißen“, so Liebscher. Das sei ein beidseitiger Lernprozess. Freiwillige Helfer würden dabei gern einen Beitrag leisten. Es sei eben auch die erste Generation von Verwaltungsmitarbeitern, die in nennenswertem Umfang mit Menschen aus anderen Kulturkreisen konfrontiert sei.

Mehr Unterstützung für Ehrenamtler

Unabhängig von der Flüchtlingsfrage wünscht sich Liebscher noch mehr Unterstützung für das Ehrenamt. Die vielfältigen Initiativen würden zum Funktionieren der Stadtgesellschaft beitragen. Doch viele Ehrenamtler seien mit der Bürokratie überfordert – beispielsweise bei Anträgen für Fördermittel. Da brauche es hauptamtliche Unterstützung. „Wir müssen das zusammen leisten.“

Dass das Thema Flüchtlinge in Potsdam für vergleichsweise wenig Spannungen gesorgt habe, schreibt Liebscher dem Integrationskonzept der Stadt gut. „Es war konsequent und klug, auch 2015/2016 an der dezentralen Unterbringung festzuhalten.“ Es sei sehr viel aufwendiger für die Verwaltung gewesen, viele kleinere Unterkünfte zu finden als eine große. Aber die Verteilung über das gesamte Stadtgebiet habe zur Akzeptanz in der Bevölkerung beigetragen – besser als in vielen anderen Städten. Zudem sei es so leichter, Kontakt zu knüpfen und zu halten. „Große Unterkünfte überwältigen auch die freiwilligen Helfer“, so Liebscher.

Das Konzept sieht auch vor, dass Flüchtlinge nach der Anerkennung so schnell wie möglich in eigene Wohnungen umziehen. „Das ist in einer wachsenden Stadt eine Herausforderung – egal für wen“, sagt Liebscher. Um diese Herausforderung wisse auch die Stadt. Der Bedarf nach günstigen Wohnungen sei für ihn von der Flüchtlingsfrage losgelöst. Das Problem hätte sich so oder so gestellt. Er habe den Eindruck, dass auf Seiten der Stadt getan wird, was möglich ist. Die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums werde auch eines der wichtigsten Themen für den nächsten Oberbürgermeister.

Folge 8. Der nächste Teil der Serie „Potsdam-Realitätscheck“ zur Oberbürgermeisterwahl erscheint am Mittwoch, dem 5. September, in den Potsdamer Neuesten Nachrichten

Marc Liebscher ist 45 Jahre alt und lebt seit rund fünf Jahren in Babelsberg. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Als Rechtsanwalt beschäftigt er sich mit Bank- und Kapitalanlagerecht und ist in einer Berliner Kanzlei tätig. Er hat einen Lehrauftrag an der Universität Potsdam inne. In Babelsberg fühlt er sich sehr wohl und ist Fan des SV Babelsberg 03. 2015 war Marc Liebscher einer der Gründer der Flüchtlingshilfe Babelsberg, deren Vorstandsvorsitzender er ist.

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