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PNN-Serie: Wir im Staudenhof: „Ich habe Glück gehabt“

Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Baghlani.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Baghlani hat eigentlich keine Zeit. Er ist auf dem Amt verabredet, hat dort einen Job als Dolmetscher angenommen. Aber Baghlani ist ein unglaublich höflicher Mensch, einen Gefallen will der 26-Jährige niemandem abschlagen. Wenn jemand seine Wohnung im Staudenhof sehen will, lässt er ihn rein. Auch ganz spontan.

Baghlani ist Afghane, 2016 kam er wie viele seiner Landsleute nach Deutschland. Erst war er in Berlin, wurde von dort in die Erstaufnahmeeinrichtung nach Eisenhüttenstadt geschickt und schließlich nach Potsdam, ein jahrelanges Hin und Her. Immerhin, in Potsdam hatte er Glück: Statt in einer Gemeinschaftsunterkunft ohne Privatsphäre kam er im sogenannten Wohnungsverbund Staudenhof unter. Also in einer der kleinen Wohnungen, die eine Art dezentrale Flüchtlingsunterkunft darstellen. Verteilt auf mehrere Etagen des Wohnblocks sind in 30 Wohnungen Flüchtlinge untergebracht. Tür an Tür mit alteingesessenen Potsdamern, so die viel beachtete und gelobte Idee. Anfangs war der Verein Soziale Stadt Träger, jetzt ist es der Duisburger Verein ZOF (Zukunftsorientierte Förderung). Baghlani landete in Etage sieben.

Baghlani wohnt spartanisch

Seine Wohnung ist perfekt aufgeräumt, die wenigen Möbel ordentlich an die Wände geschoben, nichts liegt einfach so herum. Direkt am Fenster steht ein schmales Bett, an der Wand gegenüber ein paar Stühle um einen niedrigen Glastisch. An der Decke eine nackte Glühbirne, ein Regal, ein Schreibtisch, ein Bürostuhl – das war’s. Kein Bild hängt an den Wänden, keine Fotos sind zu sehen. Der Perserteppich auf dem Boden ist das einzige, das ein bisschen Farbe in Baghlanis 30 Quadratmeter bringt.

Dass der Staudenhof eines Tages womöglich abgerissen werden soll, hat er schon gehört, sagt Baghlani. Aber es scheint ihn nicht sonderlich zu berühren. Für ihn ist der Staudenhof ganz klar eine Durchgangsstation. Baghlani will weiterkommen, auf eigenen Beinen stehen. Momentan ist er zufrieden hier. „Ich mag die zentrale Lage.“ Gleich wird er sein Fahrrad schnappen und ins Stadthaus radeln und dolmetschen. Und seine andere Arbeitsstelle kann er sogar fußläufig erreichen.

„Ich habe Glück gehabt“, sagt Baghlani, der sehr gutes Deutsch spricht. „Ich habe eine eigene Küche, eine eigene Toilette und sogar einen eigenen Balkon.“ Gerade für Asylsuchende, die noch nicht so lange in Deutschland sind, keine Selbstverständlichkeit, das weiß er. Die meisten kommen die ersten Jahre in Gemeinschaftsunterkünften unter, wo sie sich ein Zimmer oder zumindest die sanitären Anlagen und die Küche mit Fremden teilen müssen.

Baghlani arbeitet im Mercure-Hotel

Auch im Staudenhof hat Baghlani mehr Platz als die meisten bekommen. „Fast alle leben zu zweit oder als ganze Familie in so einer Wohnung“, weiß er zu berichten. Bei ihm wurde eine Ausnahme gemacht, denn Baghlani arbeitet viel – und das vor allem nachts: Im bekannten Mercure Hotel nicht weit vom Staudenhof steht er von abends bis morgens an der Rezeption, darauf ist Baghlani stolz. Eine Ausbildung habe er in dem Bereich nicht gemacht, aber sein Chef hat ihn trotzdem angestellt. „Weil ich gut bin.“

In Afghanistan hat Baghlani als Informatiker in einem Telekommunikationsunternehmen gearbeitet, „so ähnlich wie hier die Telekom“, erklärt er. Außerdem hat er studiert, allerdings nicht bis zum Abschluss. Den will er jetzt in Deutschland nachholen, ein Wirtschaftsstudium ist sein Ziel. „BWL oder wie ihr das nennt“, sagt er lachend. Dafür macht er zurzeit noch einen Extra-Deutschkurs, er braucht Sprachniveau in der zweithöchsten Kategorie C1, um hier studieren zu können.

Der Afghane kandidiert für den Migrantenbeirat

Und noch etwas hat Baghlani vor, er will Mitglied im Potsdamer Migrantenbeirat werden. Seine Kandidatur hat er eingereicht, am Montag stellte er sich wie berichtet gemeinsam mit seinen Mitbewerbern öffentlich vor. Ende Mai wird das Gremium parallel zur Kommunal- und Europawahl neu gewählt. Baghlani will eines der elf neuen ehrenamtlichen Mitglieder werden und sich dafür einsetzen, dass die „unsichtbare Grenze zwischen Migranten und Deutschen“ verschwindet.

Als wäre es nicht schon genug, Rezeptionist, Dolmetscher, Deutschschüler und Migrantenbeiratskandidat gleichzeitig zu sein, hat Baghlani noch ein weiteres Projekt laufen: Er hat einen Verein gegründet, einen afghanischen Kulturverein – seiner Aussage zufolge der allererste in Brandenburg. Doch die bürokratischen Mühlen in Deutschland mahlen langsam, das erfährt er bei diesem Projekt nicht zum ersten Mal am eigenen Leib. Vor acht Monaten hat er den Verein angemeldet, bis heute liegt die Satzung beim Finanzamt. Er sagt das tatsächlich so: „Die Satzung liegt beim Finanzamt“. Man könnte also durchaus sagen, Baghlani ist in Deutschland angekommen.

HINTERGRUND 

Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.  

182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet. 

Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung. 

Baghlani in seiner Wohnung im Staudenhof.
Baghlani in seiner Wohnung im Staudenhof.

© PNN / Ottmar Winter

Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag. Dann stellen wir den Bewohner Denis vor.

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