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Jakob spielt Geige und wohnt seit Ende letzten Jahres in einer WG im Staudenhof in Potsdams Innenstadt.

© O. Winter

PNN-Serie: Wir im Staudenhof: "Das ist schon ziemlich in Ordnung hier"

Über die Zukunft des Wohnblocks Staudenhof diskutiert Potsdam seit Jahren. Doch wer lebt dort eigentlich? Wir stellen zehn Bewohner vor. Heute: Zu Gast bei Jakob.

Von Katharina Wiechers

Potsdam - Sie hatten ihn schon am Telefon vorgewarnt, als er sich zur Besichtigung anmeldete. „Das Haus steht auf der Abrissliste“, sagten die Bewohner der WG, die er im Internet gefunden hatte. Und er solle sich nicht vom Hausflur abschrecken lassen, der sei manchmal etwas dreckig. Jakob ging trotzdem hin, schaute sich das Zimmer an und nahm es. Das war im Herbst 2018, seitdem wohnt er in der wahrscheinlich einzigen Wohngemeinschaft im ganzen Staudenhof.

„Vor allem die großen Fenster in dem Zimmer fand ich gleich super“, erinnert sich der 24-jährige Student an die Besichtigung. Tatsächlich hat man hier, aus dem vierten Stock, eine tolle Aussicht auf die Hauptpost und den Platz der Einheit. Jakob hat seinen Schreibtisch ans Fenster gestellt, das Bett auf der gegenüberliegenden Wand ist mit einem Regal etwas abgetrennt. Neben dem Schreibtisch steht ein Sofa, darauf Jakobs Laptop. Nicht nur die tolle Aussicht, auch die Lage mitten in der Stadt und die Nähe zum Hauptbahnhof überzeugten Jakob – und nicht zuletzt die günstige Miete.

"Von außen sieht es nicht gerade schön aus"

Über die Makel des Hauses sah er hinweg, mittlerweile hat er sich an sie gewöhnt. „Klar, von außen sieht das Haus nicht gerade schön aus.“ Und der Gang sei „spannend“, wie er es diplomatisch ausdrückt. 

Wie andere Nachbarn haben auch Jakob und seine Mitbewohner schon Essensreste auf der Treppe und andere unschöne Dinge gesehen. Nicht zu vergessen die Kakerlaken, die im vergangenen Jahr durch die Lüftungsrohre in mehrere Wohnungen kamen. „Wir haben einige mit Fallen gefangen, dann kamen keine mehr.“

"Fenster sind okay, Heizung funktioniert"

Ansonsten findet Jakob das Haus eigentlich sogar recht komfortabel – zumindest komfortabler, als man von außen denken würde. „Die Fenster sind okay, die Heizung funktioniert, eigentlich ist das schon ziemlich in Ordnung hier.“ 

Dass das Haus hellhörig ist, stört ihn auch nicht wirklich. Sein Zimmer grenzt zur einen Seite an den Hausflur, auf der anderen Seite wohnt sein Mitbewohner, der selten zu Hause ist. Manchmal hört er die Kinder der Familie im Stockwerk über ihm in der Wohnung umherlaufen, aber Jakob hat einen guten Schlaf: Auch der Abriss der Fachhochschule im vergangenen Jahr, oder die Gleisarbeiten an der Straße direkt unter seinem Fenster konnten ihm kaum etwas anhaben.

Kein schlechtes Gewissen, wenn er Geige spielt

Hinzu kommt, dass er dank der Nachbarskinder ein weniger schlechtes Gewissen hat, wenn er Geige spielt. Das tut er seit 17 Jahren, und seit er in Potsdam wohnt, auch regelmäßig in einem Orchester in der Hauptstadt. Für die Junge Kammerphilharmonie Berlin muss geübt werden, sonst kommt man nicht mit. Momentan ist es mit dem Geigen aber etwas weniger geworden, da Jakob für ein Semester pausiert. Er plant eine längere Reise und hätte nicht zu den Proben gehen können. „Und es gibt genug, die für das Orchester auf der Warteliste stehen.“

Der 24-Jährige fühlt sich wohl dort – auch, weil er eine tolle Aussicht hat.
Der 24-Jährige fühlt sich wohl dort – auch, weil er eine tolle Aussicht hat.

© O. Winter

Seine Mitbewohner – zwei junge Männer und eine Frau – sind Lehrer beziehungsweise Lehramtsstudenten. Jakob studiert Physik, aber nicht auf Lehramt. An der Universität Potsdam macht er gerade seinen Master, sein Bachelor-Studium hat er in Rostock absolviert. Wegen des Studiums und seiner damaligen Freundin sei er nach Potsdam gekommen, sagt er. Er habe einige Vorbehalte gehabt, weil Potsdam im Vergleich zu „Rest-Brandenburg“, wie er es nennt, als Stadt der Reichen gelte. „Ich bin noch nicht so sicher, wie mein endgültiges Urteil ausfällt“, sagt er. „Es gibt ja schon einige sehr schicke Viertel hier.“

Mit dem Rad nach Golm

Was ihm an Potsdam gut gefällt, sind aber die vielen Seen und die Parks, zu seinem Institut in Golm fährt er mit dem Fahrrad durch den Park Sanssouci und die Lindenallee entlang. Dass er jetzt mit dem Semesterticket umsonst zu seinen Eltern nach Frankfurt (Oder) fahren kann, findet er auch gut. Und über allzu vornehme Nachbarn kann er sich zumindest im Staudenhof schon mal nicht beschweren.

„Aber wer weiß, was passiert, wenn das Haus tatsächlich abgerissen wird“, sagt er. Viele Bewohner könnten sich dann sicherlich keine Miete mehr in der Innenstadt leisten. Er fände eine Sanierung sinnvoller, auch wenn der Staudenhof dann immer noch nicht zur Nikolaikirche, dem Landtagsschloss oder dem Barberini passen würde. „Aber das tut die Bibliothek ja auch nicht. Er wäre also nicht der einzige Bau dieser Art hier.“ Tatsächlich steckt in der Stadt- und Landesbibliothek direkt neben dem Staudenhof auch ein alter DDR-Bau, er gehörte zum Komplex der Fachhochschule. Von 2010 bis 2013 wurde das Gebäude saniert, nun hat es das Antlitz eines modernen Zweckbaus.

Ob der Abriss des Staudenhofs, der womöglich 2022 stattfinden soll, Jakob noch direkt betreffen wird, ist noch offen. Er hofft, Ende 2019 mit seiner Masterarbeit fertig zu sein – er schreibt über organische Solarzellen. Ob er dann noch promoviert und falls ja, wo, weiß Jakob noch nicht. Vielleicht in Potsdam. Vielleicht aber auch nicht.

HINTERGRUND 

Der Wohnblock mit der Adresse Am Alten Markt 10 wurde 1971 bezogen. Benannt ist er nach der gleichnamigen, bereits abgerissenen Grünfläche.  

182 Wohnungen gibt es in dem Wohnblock, die meisten haben ein Zimmer und sind genau 30,25 Quadratmeter groß. Nur einige wenige an der nordwestlichen Gebäudeecke haben vier Zimmer und rund 100 Quadratmeter - wie jene von Ludmila und ihrer Familie. 30 Wohnungen werden außerdem als Flüchtlingsunterkunft genutzt, der sogenannte Wohnungsverbund wurde 2014 gestartet. 

Wie es mit dem lange unsaniertem Bau weitergeht, ist noch nicht entschieden. Die Eigentümerin, die kommunale Pro Potsdam, favorisiert einen Abriss. Auch viele Stadtpolitiker sind gegen Erhalt und Sanierung. 

Die nächste Folge der Serie erscheint am Dienstag. Dann stellen wir den Bewohner Jakob vor. Wenn Sie keine Folge verpassen wollen, lesen Sie bis zu 30 Tage gratis zur Probe.

Die nächste Folge der Serie erscheint am Donnerstag. Dann stellen wir den Bewohner Zofia vor.

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