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Der Markt auf dem Babelsberger Weberplatz setzt auf regionale Produkte.

© Manfred Thomas

PNN-Serie "Frisch vom Markt": Märkte gehören in Potsdam einfach dazu

Ein Jahr haben die PNN das Potsdamer Marktleben begleitet und gezeigt, was dort geboten wird. Autorin Steffi Pyanoe entdeckte dabei viel Neues und lernte die Menschen hinter den Ständen kennen.

Potsdam - In diesem Frühling macht Gabor sein Abi. Samstags ist Kopfrechnen dran. Zwiebeln abwiegen, den Grundpreis wissen und nach Gewicht ausrechnen. Zwiebeln eintüten. Wechselgeld rausgeben und darauf achten, dass die Kundin die Tüte mit den Zwiebeln nicht liegen lässt. Der nächste bitte. Und zwischendurch ein Schluck Kaffee aus der Thermoskanne. Seit vier Jahren hilft Gabor Annette Mey auf dem Markt am Weberplatz, immer samstags. „Rechnen muss man schon können“, sagt er, „die Gemüsesorten lernt man.“

Wie Lucian. Der ist neu am Stand und wird Gabors Nachfolger, wenn dieser nach der Schule weggeht aus Potsdam. Standbetreiberin Annette Mey freut sich, alleine würde sie das nicht schaffen. Außerdem gibt es so eine kleine Chance, junge Menschen für das Marktgeschäft zu begeistern. Denn die meisten Händler sind älter, und bei Wind und Wetter Gemüsekisten zu schleppen, ist nicht besonders attraktiv.

Anette May, hier mit Gabor und Lucian, ist jedes Wochenende auf dem Markt am Weberplatz in Babelsberg anzutreffen.
Anette May, hier mit Gabor und Lucian, ist jedes Wochenende auf dem Markt am Weberplatz in Babelsberg anzutreffen.

© Manfred Thomas

Aber ohne Händler keine Märkte und den Potsdamern würden sie fehlen. „Samstagfrüh auf den Markt, das ist ein schöner Spaziergang“, sagt Jürgen Schötz, der mit seiner Frau auf dem Weberplatz einkauft. „Man unterstützt die regionalen Bauern und trifft nette Leute.“

Märkte gehören zur Stadt wie die Butter auf’s Brot. Drei gibt es in Potsdam: den ältesten auf dem Bassinplatz, der täglich außer Sonntag geöffnet hat und auf dem es schwerpunktmäßig Gemüse und Pflanzen gibt. Der Markt am Nauener Tor findet nur an den Samstagen statt und hat den Ruf einer kleinen Gourmet-Meile, und der Babelsberger auf dem Weberplatz ist bodenständig bis gemütlich.

Vom Gemüse der Saison, Fisch, Käse und Kraut

Ein Jahr lang haben die PNN das Potsdamer Marktleben begleitet. Die Kolumne „Frisch vom Markt“, jeweils mit einem Bild der Potsdamer Künstlerin Heike Isenmann, erzählte am Samstag vom Gemüse der Saison, von Fisch und Fleisch, Käse und Kraut.

Die Originale der Illustrationen sind im Atelier von Heike Isenmann zu sehen (Carl von Ossietzky Straße 23) – und können gekauft werden.
Die Originale der Illustrationen sind im Atelier von Heike Isenmann zu sehen (Carl von Ossietzky Straße 23) – und können gekauft werden.

© Illustration: H. Isenmann

Ich wollte wissen, wer das Gemüse anbaut und was man daraus machen kann. Dazu haben ich Kunden nach ihren Tipps gefragt und auch den einen oder anderen Potsdamer Küchenchef. Vor allem unternahm ich diverse Selbstversuche, weil ich manches kaufte, was ich bisher noch nie verarbeitet hatte. Unvergessen der Grünkohl, mit dem ich ziemlich lange beschäftigt war.

Die Marktbesuche veränderten meinen Blick. Von Woche zu Woche entdeckte ich Neues und staunte über die Vielseitigkeit. Die vielgerühmte Biodiversität, es gibt sie nicht nur bei alten Apfelsorten. Es gibt lila Karotten und Wildkräutersalat, der wie ein Blumenstrauß aussieht. Der Tomatenzüchter hat mehr als 100 Sorten im Angebot, und die verschiedenen Pflaumen, Zwetschgen und Mirabellen auseinanderzuhalten bleibt eine Herausforderung.

Die Natur macht kein Wochenende

Die Händler waren eine weitere Entdeckung. Manche grummelig – sehr eindrucksvoll die Händlerin, die laut über die reiche Birnenernte schimpfte. Alles müsse sie alleine ernten. Das konnte ich sogar nachvollziehen. Die Natur macht kein Wochenende. Die meisten Bauern und Händler arbeiten schwer und im Sommerhalbjahr täglich. Aber wenn man sie fragt, können sich viele doch keinen anderen Job vorstellen. Deshalb sind die allermeisten sehr freundlich und gesprächig und wissen bestens Bescheid über ihre Produkte: Welche Kräuter in die Frankfurter Grüne Soße gehören und wie lange man Wachteleier kochen muss.

"Hier beginnt mein Wochenende"

Der Markt ist für viele Potsdamer aber nicht nur zum Einkaufen da. „Hier beginnt mein Wochenende“, sagte ein Mann, der sich regelmäßig mit einem Freund am Kaffeemobil auf dem Markt am Nauener Tor trifft. Beim Cappuccino quatschen und Leute gucken. Manchmal sehe man Promis wie diesen Schauspieler, „Tatort-Hartmann“ mit seinen Kindern. „Aber der wird hier in Ruhe gelassen,“ sagt der Kaffeetrinker. Aus der Hegelallee duftet es nach frischen Waffeln, die Saftmaschine röhrt. Am Bassinplatz ist weniger Chichi, hier sind Pflanzen für Balkone gefragt, Obst, Gemüse, und zur Zeit sind gleich mehrere Spargelhändler vor Ort.

Auf dem Bassinplatz-Markt werden viele Pflanzen und Blumen angeboten.
Auf dem Bassinplatz-Markt werden viele Pflanzen und Blumen angeboten.

© Manfred Thomas Tsp

Der Babelsberger Markt ist wieder anders. Entspannt und regional. Hier gibt es lose Spreewaldgurken aus dem Fass. Daneben hängen frische Aale im Rauch. Die Diakonissen aus dem Oberlinhaus werden vom Blumenhändler mit einem lockeren Spruch und mit Namen begrüßt. Diese grundsätzliche Freundlichkeit schätzen auch Gemüsehändler Holger Sader und Mutter Erika, die ihren Stand lieber hier in Babelsberg als in ihrer Heimatstadt Frankfurt (Oder) aufbauen. „Hier sind die Kunden netter als bei uns“, sagt Sader.

Marktbetreiber Robert Koscholkes trockener Humor trägt auch dazu bei. Er ist an allen Markttagen vor Ort, mit Kaffeemaschine und Tischgrill. Koscholke entscheidet auch, wer ins Sortiment darf. Zum Beispiel auch einer, der Südfrüchte anbietet. „Die Leute wollen im Winter nicht nur Wirsing sondern auch mal ’ne Erdbeere“, sagt Koscholke.

Was machen die Händler im Winter?

Ja, der Winter. Was machen die Händler gegen die Kälte? Erika Sader trägt Selbstgestricktes, Jacke und Pulswärmer. Andere schwören auf Thermounterwäsche, und viele haben Elektro-Heizstrahler unterm Tisch zu stehen. Bei strengem Frost gefriert aber das Gemüse, dann ist Schluss. Im Sommer dagegen muss das Gemüse im Schatten liegen – oder am besten schnell verkauft werden. Ein Frischluftmarkt ist eben nicht temperiert. Dafür ist es der größte Unverpacktladen der Stadt mit einer guten CO2-Bilanz. Und wie lange es all das schöne „Frische vom Markt“ noch geben wird, wird letztlich auch von den Potsdamer Kunden abhängen.

+++ Die Händler im Porträt:

Markt am Weberplatz: Annette Mey, 54, ist gelernte Floristin, stammt aus einer Bauernfamilie aus Nattwerder, Nachfahren der Schweizer Siedler, und hat in eine Werderaner Obstbauernfamilie eingeheiratet. Ihren Mann lernte sie auf dem Markt am Bassinplatz kennen. Jetzt betreiben beide einen Gartenbaubetrieb in Bornim. Mey kennt sich also bestens mit Gemüse und Blumen aus. Und dass sie die ersten Maiglöckchen der Saison hat, versteht sich von selbst.

Wochentags ist sie mit ihrem Stand auf dem Bassinplatz, am Samstag auf dem Weberplatz. Hier helfen ihr immer ein oder zwei junge Leute. Ein Markttag beginnt sehr früh. Um 5 Uhr kommt sie bereits mit ihrem Lieferauto auf dem Weberplatz an und baut alleine den ganzen Stand auf, Tische stellen, Kisten und Eimer schleppen. Erst gegen 8 Uhr kommen die Helfer zum Verkaufen.

Kurz vor dem ersten Ansturm gönnt sie sich die Zeit, um ein paar Minuten selber über den Markt zu gehen und mit Kollegen zu schwatzen. Härtet es ab, bei jedem Wetter draußen zu stehen? „Ja, aber ab und zu erwischt es einen doch“, sagt Mey. „Typische Landwirte-Krankheiten sind Arthrose, Rheuma und Rücken.“ Aber Annette Mey hat meist ein sehr fröhliches Gemüt. Auch wenn es mal stressig wird. Ende November zum Beispiel, wenn sie innerhalb weniger Wochen viele Advents- und Türkränze binden muss. Da arbeitet dann die ganze Familie mit. Anfang des Jahres macht sie auch mal Urlaub, dann geht es in die Berge zum Skifahren.

Annette Mey hinter ihrem Stand auf dem Babelsberger Weberplatz.
Annette Mey hinter ihrem Stand auf dem Babelsberger Weberplatz.

© Manfred Thomas

Markt auf dem Bassinplatz: Thomas Behrendt, 50, aus Glindow, arbeitete jahrelang als gelernter Berufskraftfahrer, bevor er 2014 den Marktstand seiner Mutter übernahm. Seitdem steht er beinahe täglich auf dem Bassinplatz. Manchmal zusammen mit Ehefrau Christiane oder einer angestellten Verkäuferin. Das Leben als LKW-Fahrer war einfacher aber einsamer, sagt er. Der Job auf dem Markt ist stressiger, bietet aber mehr Unterhaltung. Das findet er gut und deshalb bleibt er jetzt dabei. Was es bei ihm gibt, stammt überwiegend aus eigenem Anbau. Zu Hause in Glindow arbeiten seine Mutter, eigentlich im Ruhestand, und ihr Mann auf vier Morgen Land. Vieles vom Gemüse wird eingelagert, Kartoffeln und Möhren zum Beispiel in klassischen Erdmieten. Was er nicht hat, aber haben will, kauft Behrendt nach Bedarf von benachbarten Bauern dazu, im Notfall oder im Winter auch vom Großmarkt. Als ehemaliger LKW-Fahrer weiß er auch, dass die Aubergine von Werder-Frucht in riesigen Gewächshäusern längs der A24 wächst. An Markttagen klingelt um 3 Uhr der Wecker, um 5 ist er am Bassinplatz und baut auf. Ab 16 Uhr alles Retour. „Es gibt schon Tage, da denke ich: bist du bescheuert?“

Im Winter ist Zeit für Urlaub. Behrendt reist gerne ins Ausland und schaut sich dort die örtlichen Bauernmärkte an. Sein Eindruck: „In Italien und Frankreich werden die Märkte mehr geschätzt, da geben die Leute viel selbstverständlicher Geld für gute Produkte aus.“

Thomas Behrendt ist Obst- und Gemüsehändler und auf dem Markt auf dem Bassinplatz in Potsdam anzutreffen.
Thomas Behrendt ist Obst- und Gemüsehändler und auf dem Markt auf dem Bassinplatz in Potsdam anzutreffen.

© O. Winter

Markt am Nauener Tor: Kester Kolkwitz, 57, ist gelernter Installateurmeister und kam 2000 aus Bayern zurück in die Heimat, um den Stand der Eltern zu übernehmen. „Erst vorübergehend, aber dann hat es Spaß gemacht und ich blieb dabei,“ sagt Kolkwitz. Jetzt führt er den Gartenbaubetrieb in Werder und verkauft Samstag auf dem Markt am Nauener Tor Obst und Gemüse aus eigenem Anbau und von Bauern aus der Region. Das sind oft ältere Menschen, die noch etwas Landwirtschaft betreiben. Das birgt auch Probleme. „Einer meiner wichtigen Produzenten ist plötzlich schwer erkrankt. Jetzt muss ich sehen, wo ich schnell Ersatz finde.“

Die meisten seiner Käufer sind Stammkunden und Kolkwitz kennt ihre Vorlieben. Was er komisch findet: Alle wollen Bio, aber trotzdem soll das Obst immer perfekt aussehen. „Das geht einfach nicht. Die Leute vergessen, dass die Kirschen früher oft nur halb so groß waren wie heute“. Ein kleines Umdenken findet aber schon statt. Gerade hat Kolkwitz Pfirsichbäumchen, eine alte Sorte, die nach 1989 auf vielen Plantagen übereilt rausgerissen wurde, nachgepflanzt. „Die sind kleiner und weniger farbintensiv, aber geschmacklich toll und wieder gefragt.“

Ab 7 Uhr wird samstags aufgebaut, beim Verkauf helfen zwei Studentinnen aus Potsdam. Der Kaffee im Thermosbecher wird trotzdem kalt, wenn es voll wird am Stand. Sein Hobby, das Orgelspielen, hat Kolkwitz aufgegeben. „Meiner Finger sind von der ständigen Arbeit im Freien zu mitgenommen, es geht nicht mehr“.

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