zum Hauptinhalt

PNN-Interview: Migration in Deutschland: „Konflikte sind wunderbar“

Der Politikwissenschaftler Aladin El-Mafaalani geht davon aus, dass durch gelungene Integration das Stresspotential in einer Gesellschaft steigt. Aber die Konflikte sieht er als Motor für sozialen Wandel.

Herr El-Mafaalani, Sie halten heute in Potsdam einen Vortrag mit dem provokanten Titel „Gelungene Integration erhöht das Konfliktpotential einer Gesellschaft“. Heißt das, es gäbe weniger Konflikte, wenn die Migranten schlechter integriert wären?

Wir müssen hier begrifflich klar unterscheiden: Wenn die Integration von Migranten misslingt, steigern sich die sozialen Probleme wie beispielsweise Kriminalität, wenn sie gelingt, die sozialen Konflikte. Ein gutes Beispiel für einen solchen Konflikt ist der Kopftuchstreit. Solange die Frauen mit Kopftuch in Deutschland geputzt haben, hatte niemand ein Problem damit. Als aber Migrantinnen mit Kopftuch Lehrerinnen wurden, was ja durchaus als Integrationserfolg zu werten ist, kam es zu dem Konflikt, der die Gesellschaft und die Gerichte bundesweit beschäftigte.

Wie erklären Sie das?

Je besser die Menschen integriert sind, desto stärker wollen sie die Gesellschaft auch aktiv mitgestalten. Wenn mehr am Tisch sitzen, die mitreden und -entscheiden wollen, steigert das das Stresspotential. Und damit steigt auch das Potential für Ressourcen-, Interessens- und Alltagskonflikte.

Ist Ihre Theorie nicht Wasser auf den Mühlen von rechten, migrationskritischen Parteien wie der AfD?

Nein, im Gegenteil. Ein Teil derer Anhänger war schon immer rassistisch. Sie werden jede Theorie über Integration auslegen, wie es ihnen passt, daran sollte sich kein Wissenschaftler orientieren. Doch ein anderer Teil besteht aus Menschen, die das Gefühl haben, es läuft gerade alles verkehrt bei der Einwanderung. Das liegt dann auch an falschen Erwartungen, die den nüchternen Blick verstellen. Indem ich erkläre, dass eine gelungene Integration nicht gleichzusetzen ist mit einer harmonischen Gesellschaft, können die Erwartungen realistischer werden. Konflikte bedeuten nicht, dass Integration nicht klappt. Im Gegenteil, die Integration läuft schon ganz schön gut.

Sie sagen, Integration in Deutschland funktioniert. Woran machen Sie das fest?

Die Datenlage ist eindeutig: Wenn wir uns Faktoren wie den Arbeitsmarkt, die Wohnsituation, die Bildungsbeteiligung oder die Sprachkompetenzen anschauen, dann hat sich die Situation von Migranten seit den 70er und 80er Jahren hier eindeutig verbessert. Dieser Aufwärtstrend hat sich in den letzten 20 Jahren beschleunigt, die Kurve geht steil nach oben. Integration gelingt!

Gibt es dabei Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Es gibt durchaus regionale Unterschiede. Der Osten Deutschlands hat wesentlich weniger Erfahrung mit Migration als Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen. Deshalb treten bestimmte Probleme, die es in Städten wie Köln oder Düsseldorf schon in den 70er oder 80er Jahren gab, dort erst jetzt auf. Man kann nicht sagen, dass Integration leichter fällt, weil weniger Migranten da sind. Der innerdeutsche Vergleich zeigt auch, dass die wirtschaftlichen Zentren Deutschlands wie Frankfurt, München oder Stuttgart zugleich die mit dem höchsten Migrationsanteil sind. Es scheint ihnen also nicht geschadet zu haben.

Ihr Vortrag ist Teil eines Fachforums zum Thema „Integration durch Wohnen“ (siehe Kasten). Welche Rolle spielt die Unterbringung und was kann eine Stadt hier tun?

Wohnen ist für alle ein wichtiges Thema. Das gilt sowohl für Migranten, als auch für Alteingesessene. Es ist tatsächlich der Bereich, in dem sich innerhalb der letzten Jahrzehnte am wenigsten verbessert hat. Die Wohnsituation ist nicht leicht zu managen – und eigentlich sollte das gar nichts mit Migrationspolitik zu tun haben. Die Städte hatte auch vor der Einwanderung schon Probleme in diesem Bereich. Eine allgemeine Wohnungsbaupolitik und Maßnahmen zur Gewährleistung der Durchmischung in den Vierteln kommt letztendlich allen zugute.

Wie wirken sich die Konflikte aus, die Ihrer Meinung nach aus der gelungenen Integration entstehen?

Konflikte sind etwas Wunderbares – denn sie sind der Motor der Veränderung in der Gesellschaft. Migration und Integration beschleunigen den sozialen Wandel. Sie verstärken diesen nicht nur, sondern bringen zusätzliche Aspekte ein. So eine dynamische Entwicklung ist ein Grundstein für Modernisierung und Fortschritt.

Wie muss die Politik, aber auch die Zivilgesellschaft mit diesen Konflikten umgehen, damit sie konstruktiv sind?

Wenn man das Gefühl hat, dass man so etwas wie eine Leitkultur braucht, eine Orientierung, dann könnten wir uns darauf einigen, wie wir die Konflikte bewältigen. Ich meine keine Leitkultur, die mit Inhalten gefüllt ist, daran sind schon viele Menschen gescheitert. Sondern ein zentraler Ankerpunkt, eine Art politische und soziale Leitkultur, eine, die sich darauf einigt, wie man mit Konflikten umgehen möchte. Die bestimmt, mit welcher Methodik man das Potential dieser Konflikte ausschöpfen kann. Das halte ich für umsetzbar.

Das Gespräch führte Sandra Calvez

Aladin El-Mafaalani (38) ist Professor für Politikwissenschaft an der Fachhochschule Münster und Mitglied im Rat für Migration. Seine Schwerpunkte sind Migrations- und Bildungsforschung.

Zur Startseite