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Plenum statt Chef: Linksalternativer Buchladen "Sputnik" feiert Jubiläum

Der linksalternative Buchladen Sputnik feierte in diesem Jahr sein 15. Jubiläum. Auch Belletristik und Comics gehören mittlerweile zum Bestand.

Potsdam - Hohe, helle Wände, zwei einladende Sofas, ein bollernder Ofen aus Gusseisen – und natürlich Bücher, Bücher, Bücher. Der Sputnik in der Charlottenstraße 28 ist vielleicht der gemütlichste Buchladen Potsdams. Zugleich ist er aber auch der ungemütlichste: Denn statt Dan Brown, Stephenie Meyer und Co. stehen in den langen Regalen vor allem Sachbücher, Romane, Comics und Zeitschriften über Themen wie Anarchismus, die NSU-Morde, Streetart, Feminismus, Kapitalismuskritik, den Holocaust, Punk-Musik und Soziologie. „Manche Leute, die hier reinkommen, wundern sich, dass bei uns nirgendwo die Spiegel-Bestseller-Liste steht“, sagt Anna Blume, die seit elf Jahren zum Team des komplett ehrenamtlich geführten Buchladens gehört.

Man merkt: Im Sputnik läuft manches anders als in anderen Buchhandlungen. Seit 15 Jahren ist der Laden nicht nur ein Ort, um Bücher abseits des Mainstreams zu entdecken, sondern auch eine Institution für linksalternative Diskussionskultur: Lesungen und Ausstellungen finden hier ebenso statt wie Gesprächsrunden und Lesekreise für „Das Kapital“. Der Sputnik ist Teil des Neue Farben e. V., zu dem auch noch ein Umsonstladen, die Kneipe „Olga“ und ein Wohnprojekt gehört – alles unter einem Dach.

Ein Ort für kritische Gegenöffentlichkeit und linksintellektuellen Austausch

Begonnen hatte das Ganze als Experiment: Vier junge Potsdamer hatten den Sputnik im Mai 2002 eröffnet, weil ihnen etwas in der Stadt fehlte – ein Ort für kritische Gegenöffentlichkeit und linksintellektuellen Austausch. Schon zuvor hatte die kleine Gruppe, die aus dem Umfeld der Potsdamer Hausbesetzerszene stammte, immer wieder Büchertische an der Uni Potsdam veranstaltet und bald realisiert, dass es dafür einen festen Ort geben müsste. „Ihre gemeinsame Leidenschaft war ein Buchladen“, sagt Blume.

Der Raum in der Charlottenstraße, in dem sich zuvor eine Galerie befand, war schnell gefunden, doch es gab noch ein anderes Problem: Keiner der Beteiligten hatte Erfahrungen, wie man eine Buchhandlung betreibt. Ein zweiwöchiger Crash-Kurs tat Abhilfe: „Zwei Leute haben jeweils beim Buchladen ,Schwarze Risse’ in Berlin und bei ,Wist’ in Potsdam Praktika gemacht und sich da vieles abgeguckt“, sagt Blume. Bekannte Verlage wurden angeschrieben, die schickten Startpakete für das Grundsortiment. Anfangs standen im Laden rund 1000 Bücher, die von nun an über den aus Euro-Paletten gezimmerten Tresen gingen.

Das Belletristik-Regal wurde erweitert, eine Comic-Ecke kam hinzu, zuletzt auch Kinderbücher

„Die ersten Jahre waren total toll“, erinnert sich Blume an die Euphorie des Anfangs. „Die Szene hat damals nach solchen Büchern gedürstet, für die man sonst immer nach Berlin fahren musste. Auch einige Uni-Professoren haben über den Sputnik ihre Fachliteratur bestellt.“ Bald wurde jedoch klar, dass sich eine von zehn bis 19 Uhr geöffnete Buchhandlung auf Dauer nicht mit vier ehrenamtlichen Mitarbeitern führen lässt. „So ein Buchladen frisst ja auch Zeit“, sagt Arthur Wetz, der seit vier Jahren dabei ist. „Es gibt keinen Chef, alles wird im Plenum diskutiert, das macht die Sache noch mal zeitintensiver.“

Ab 2006 vergrößerte sich das Team daher, und damit auch das Themenspektrum: Das anfängliche Sortiment, das stark auf Politik, Ökonomie und Geschichte konzentriert war, erweiterte sich mit jedem neuen Mitstreiter und dessen Interessen; das Belletristik-Regal wuchs, eine Comic-Ecke kam hinzu, zuletzt auch Kinderbücher.

Nicht nur das Angebot vergrößerte sich, auch der Laden selbst: 2012 begann die Sanierung des Raumes, wodurch eine zuvor abgetrennte Ecke Teil der Verkaufsfläche wurde, auch die Fassade und die Fenster wurden erneuert. Zudem bekam der Sputnik eine Heizung, zuvor wurde der Laden ausschließlich per Holzofen warmgehalten. 2013 zog der Umsonstladen „Umverteiler“ in das Haus ein, wo gebrauchte Kleidung, Bücher und Gebrauchsgegenstände kostenlos abgegeben und mitgenommen werden können. Erreicht werden kann er über eine Treppe im Sputnik.

In den letzten Jahren fanden im Sputnik immer wieder Fotoausstellungen, Vorträge oder Stummfilm-Konzerte statt

Nach wie vor bleibt der Sputnik seinen Idealen treu: Geführt wird der Laden heute von einem runden Dutzend Freiwilliger, die Buchverkäufe tragen die Miete, Überschüsse werden an andere Projekte wie „Jugend Rettet“ oder „Feuerwehr für Rojava“ gespendet. Finanziell steht die Buchhandlung auf sicheren Füßen: Um den Start zu stemmen, hatten die Sputnik-Begründer einst 10 000 Euro Schulden aufgenommen, vor drei Jahren wurde der letzte Kredit abbezahlt.

Rund 3000 Bücher umfasst der Bestand aktuell, bis heute wird er sorgfältig mit Buchlaufkarten verwaltet, über jedes neu zu bestellende Buch wird gemeinsam im Plenum entschieden. Kommerzielle Erwägungen sind dabei zweitrangig, entscheidend ist der Inhalt. Und natürlich gibt es Bücher, die man im Sputnik nie finden wird, etwa Titel von Thilo Sarrazin oder vom neurechten Kopp-Verlag. Zu Bestsellern werden hier andere Bücher, zum Beispiel „Das Recht auf Faulheit“ von Paul Lafargue, Margarete Stokowskis „Untenrum frei“, Stéphane Hessels „Empört euch!“ oder „Vorher müsst ihr uns erschießen“, ein Buch über die Potsdamer Hausbesetzerszene.

Ein Aspekt, der in den letzten Jahren zugenommen hat, ist die Rolle des Sputniks als Veranstaltungsort: Fotoausstellungen, Vorträge, Diskussionen, Stummfilm-Konzerte und natürlich Lesungen finden regelmäßig im Laden statt. Mittlerweile, so scheint es, ist der Buchladen auch außerhalb der linksalternativen Szene eine Institution in der Stadt. Eine Meinung, die sogar staatliche Kulturwächter wie die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien teilen: 2016 wurde der Sputnik als eine der besten Buchhandlungen Deutschlands mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet. Dennoch: „Wir sind schon ein Spezialitätenbuchladen“, meint Anna Blume.

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