zum Hauptinhalt
In spezialisierten Laboren, wie hier in Darmstadt, können die Abwasserproben sequenziert werden. 

© Arne Dedert/dpa

Pilotprojekt für Corona-Frühwarnsystem in Potsdam: Aufschlussreiches Abwasser

Als einer von 20 Standorten bundesweit sollen Abwasserproben aus Potsdam auf das Coronavirus untersucht werden. Das Pilotprojekt könnte ein Frühwarn- und Entwarnsystem werden. 

Potsdam - Mit den menschlichen Hinterlassenschaften wird auch eine Vielzahl von Informationen in die Toilette gespült. Auswerten und zunutze machen soll sich diese Daten nun ein Pilotprojekt - auch in Potsdam. Da infizierte Menschen mit ihrem Stuhl auch Coronaviren ausscheiden, lässt das Abwasser Rückschlüsse auf die Viruszirkulation in einem bestimmten Gebiet zu. Brandenburgs Landeshauptstadt ist einer von 20 Standorten bundesweit, in denen nun ein Jahr lang das Abwasser untersucht wird. In Potsdam übernehmen die kommunalen Stadtwerke die Probenentnahme. Detailfragen beantworteten diese zunächst nicht. Die Analyse soll das bestehende Meldesystem der Covid-Antigen- und PCR-Test-Ergebnisse ergänzen und zusätzliche Informationen liefern. Zuerst hatte die Märkische Allgemeine berichtet

„Aus gesundheitspolitischer Sicht hat das Monitoring das Potenzial, sich zu einem zentralen Baustein der Früherkennung und Überwachung von pandemischen Erregern weiterzuentwickeln“, erklärte Sabine Dittmar, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Auf die ergänzende Überwachung des Abwassers setzten die beteiligten Ministerien „große Hoffnungen“, sagte die SPD-Politikerin. „Eine Toilette benutzen wir alle, und zwar mehrmals am Tag. Viren und RNA-Schnipsel werden ausgeschieden und können durch die moderne Diagnostik detektiert werden.“ Die Stuhl-Ausscheidungen würden recht zuverlässige Anhaltspunkte auf die Entwicklung der Inzidenz, also der Neuinfektionen mit dem Coronavirus, liefern. Laut Gesundheitsministerium könnte das Monitoring als Frühwarn-, aber auch als Entwarnsystem eingesetzt werden. 

119 Bewerbungen aus ganz Deutschland

„Systematische Überwachung von Sars-Cov-2 im Abwasser“ nennt sich das gemeinsame Projekt der Bundesministerien Umwelt, Gesundheit und Forschung, das am Mittwoch offiziell gestartet ist. 119 Städte aus ganz Deutschland hatten sich beworben, Potsdam wurde als einzige Stadt in Brandenburg ausgewählt. Beteiligt sind neben weiteren Landeshauptstädten wie Stuttgart, Saarbrücken und Hamburg auch kleinere Gemeinden wie Bramsche in Niedersachsen oder Grömitz in Schleswig-Holstein. 

Die Wahl fällte der Bund "im Einvernehmen mit den Ländern", so eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums auf Anfrage. Sie unterscheiden sich in der Größe ihres Einzugsgebiets und somit der Zahl der Einwohner, sowie in der Bedeutung von Touristen und Pendlern. Die beteiligten Standorte erhalten eine Förderung der EU-Kommission in Höhe von 3,7 Millionen Euro.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Potsdam und Brandenburg live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die sie hier für Apple und  Android-Geräte herunterladen können.]

Die 20 beteiligten Standorte werden bis April nach und nach an das System angebunden, heißt es vom Umweltministerium. Das sei nötig, da Mitarbeiter geschult und digitale Anwendungen installiert werden müssen. Denn mit der Entnahme der Abwasserproben ist es nicht getan. "Diese werden vor Ort mit den Gesundheitsdaten verknüpft, um nach Möglichkeit in die pandemische Lagebeurteilung einfließen zu können", so ein Ministeriumssprecher. 

"Objektiv und effizient"

Ziel des Projekts ist es herauszufinden, ob ein flächendeckender Einsatz der Methode sinnvoll wäre. Auch soll nach Angaben eines Sprechers des Gesundheitsministeriums geprüft werden, ob die Technik für weitere Erreger wie etwa Polio oder Influenza genutzt werden könnte. Der Vorteil des Verfahrens besteht demnach darin, dass es unabhängig davon ist, ob sich einzelne Personen testen lassen. 

"Das Monitoring ist somit eine objektive und effiziente Methode, um das Vorkommen der Viren in einer Gemeinde oder Stadt nachzuweisen", so ein Sprecher. Auch Testunterbrechungen, beispielsweise an Feiertagen, spielen für das Abwasser keine Rolle. In Potsdam war es immer wieder zu Meldeverzögerungen und damit ungenauen Infektionszahlen gekommen, unter anderem über Weihnachten und Silvester. Sollten Testkapazitäten knapp werden, bliebe das Abwassermonitoring verlässlich. Auf steigende Coronavirus-Konzentrationen im Abwasser, so führt das Gesundheitsministerium aus, könnte auf lokaler Ebene "mit entsprechenden lokalen Verhaltensmaßnahmen oder Teststrategien reagiert werden".  

Im Vorjahr schon einmal Thema

Die Untersuchung von Abwasser auf Coronaviren ist an sich nicht neu. Neben den nun vorgestellten, von der EU finanzierten Projekten, die bis zum Frühjahr 2023 angesetzt sind, gibt es derzeit noch weitere Untersuchungen an mehr als 20 Standorten. Auch in Potsdam war die Idee 2021 schon einmal diskutiert worden, die FDP hatte einen entsprechenden Prüfantrag in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht, der aber in den Ausschüssen keine Mehrheit fand. 

Bislang wird Abwassermonitoring den Angaben zufolge nur in wenigen Ländern wie Kanada, den Niederlanden oder Australien flächendeckend eingesetzt, um Sars-CoV-2 oder andere Viren nachzuweisen. Doch viele Länder innerhalb und außerhalb der EU bauen ihre Kapazitäten für den Einsatz aktuell aus. Das Beispiel New York, wo bereits seit eineinhalb Jahren systematisch Abwasser auf Covid-Spuren analysiert wird, zeigt, was die Methode leisten kann: Vor wenigen Tagen erst berichteten Medien, dass Forscher dort Hinweise auf neue Corona-Mutationen gefunden haben. (mit dpa)

Zur Startseite