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Die Angeklagte am ersten Prozesstag im Landgericht Potsdam.

© Jens Kalaene/dpa

Paukenschlag im Prozess um Kindstötung: Verteidiger will Verfahrenseinstellung

Der Anwalt der Angeklagten Marina S. (61) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden. Die Mordkommission habe den Hauptbelastungszeugen „intensiv präpariert“.

Von Carsten Holm

Potsdam - Überraschende Wende im Kindstötungsprozess: Falko Drescher, Verteidiger der 61-jährigen Angeklagten Marina S., fordert die sofortige Einstellung des Verfahrens. Das, so der Anwalt im Gespräch mit den PNN, sei außerhalb der Hauptverhandlung möglich. Er will seinen Antrag damit begründen, dass sich beim fünften Verhandlungstag am vergangenen Montag ein Verfahrenshindernis herausgestellt habe. Gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens, der Leitprinzip des rechtsstaatlichen Strafprozesses ist, sei massiv verstoßen worden.

S. ist vor der Großen Strafkammer angeklagt, im Jahr 2000 in ihrer Wohnung im Schlaatz ein lebensfähiges Kind geboren und danach getötet zu haben. Die Anklage fußt auf der Aussage ihres früheren Ehemanns Klaus-Dieter St., der 2018 einem Bekannten erzählt hatte, er sei dazu gekommen, nachdem seine damalige Frau das Kind geboren, getötet und in einen Müllsack gelegt habe. 

Verteidiger stellte Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen in Frage 

Er habe das Kind, dessen Vater er nicht gewesen sei, dann im Hausmüll entsorgt. Drescher hatte schon am vergangenen Montag die Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen in Frage gestellt und die Bestellung eines renommierten Forschers zur Glaubwürdigkeit von Zeugen beantragt. St. hatte sich als dement bezeichnet, Gedächtnislücken offenbart und sich während Vernehmungen bei Polizei und vor Gericht in Widersprüche verwickelt.

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Drescher sagte den PNN, die Ermittlungsbehörden hätten in zunächst verborgen gebliebener Weise auf den Ablauf des Gerichtsverfahrens eingewirkt. So hätten Ermittler der Mordkommission vor Gericht eingeräumt, den Hauptbelastungszeugen St. im April 2021 zu zweit besucht und wohl im Oktober bei einem Nachbarn getroffen zu haben. St. sei instruiert worden, wie er sich bei Befragungen in der Hauptverhandlung verhalten solle. Beide Gespräche seien nicht dokumentiert worden.

Massive Kritik an der Polizei

Massiv kritisierte Drescher, die Polizei habe dafür gesorgt, dass St. als Belastungszeuge bereit stand, obwohl er eine Beschuldigtenstellung habe. Der Verteidiger bezog sich auf eine Vernehmung von René St., dem Sohn von Klaus-Dieter St., vor der Mordkommission in München. Dort habe der Sohn von einem Telefongespräch mit seinem Vater berichtet, der geäußert habe, dabei gewesen zu sein, als seine Frau das Neugeborene in der Badewanne ertränkt habe. 

Schon im Prozess hatte der Anwalt gesagt, St. sei dadurch „verdächtig, Anstifter, Mittäter oder zumindest Gehilfe einer Kindstötung zu sein“. Den Beamten der Potsdamer Mordkommission sei das Protokoll jener Vernehmung bekannt gewesen. Die Entscheidung der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft, daraufhin kein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten, widerspreche dem Legalitätsprinzip. 

Drescher wirft den Behörden vor, St. bisher von förmlichen Strafverfolgungsmaßnahmen ausgenommen zu haben, um einen Zeugen präsentieren zu können. Damit werde ihm eine privilegiertere Stellung als einem sogenannten Kronzeugen eingeräumt. Die Mordkommission habe den Hauptbelastungszeugen „intensiv präpariert“. Dadurch sei das Verfahren so stark belastet, dass es mit einem rechtsstaatlichen Minimalanspruch nicht sauber zu Ende geführt werden könne. Es sei „umgehend einzustellen“. 

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