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Der Digitalunterricht an Schulen hat auch Tücken (Symbolbild)

© dpa

Exklusiv

Online-Gebet an Potsdamer Gymnasium gekapert: Erst Schulandacht, dann plötzlich Porno-Alarm

Die Polizei ermittelt nach Übergriff auf virtuellen Gottesdienst am Evangelischen Gymnasium Hermannswerder. Mehr als 230 Schülerinnen und Schüler sahen Pornobilder und rassistische Kommentare. 

Potsdam - Für Leif Berling war es ein Schock: Bisher unbekannte Täter haben einen Online-Gottesdienst massiv gestört, den der Schulleiter des Evangelischen Gymnasiums Hermannswerder organisiert hatte. „Dabei wurden auch Bilder von Porno-Webseiten eingeblendet“, berichtete Berling den PNN am Dienstag auf Anfrage. Die Polizei ermittelt.

Kurz vor den Winterferien passiert es

Der Vorfall ereignete sich bereits am Freitag vor den Winterferien, Rektor Berling wollte der Schulgemeinschaft eine Gelegenheit zur Begegnung in Corona-Zeiten geben, 230 Teilnehmer hätten sich dazu um die Mittagszeit über die Plattform Zoom angemeldet. „Da sehen dann aber immer mehr zu, weil manche zusammen am Rechner sitzen“, erklärte Berling. Während des Gottesdienstes habe es störende Zwischenrufe gegeben, dann seien die Pornobilder eingeblendet worden. Man habe schnell abgebrochen, den unbekannten Teilnehmer, der die Bilder zeigte, gesperrt. Stärkere Sicherheitseinstellungen habe man nicht benutzt, aus einem Vertrauen heraus, wie es Berling sagte: „Mit so etwas hätten wir nicht gerechnet.“

Wer war der Täter?

Schulintern seien technische und pädagogische Maßnahmen unternommen worden, damit sich das nicht wiederholt, erklärte auch der Schulträger, die in der Region vielfach aktive Hoffbauer-Stiftung. Berling sagte, für die Kollegen erarbeite man gerade Richtlinien zum Umgang mit Sicherheitseinstellungen bei Videokonferenzen. Der Link zu dem Gottesdienst sei nur schulintern versendet worden, hieß es weiter – möglicherweise habe ein Schüler diesen weitergegeben oder selbst gehandelt.

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Doch das sei keine Lappalie, machte der Schulleiter deutlich: Man habe Anzeige wegen sexueller Nötigung gestellt, denn auch Minderjährige hätten die Darstellungen zu sehen bekommen. Die Polizei bestätigte die Anzeige. Demnach seien auch rassistische Kommentare eingeblendet worden, sagte eine Sprecherin den PNN. Man ermittle wegen der Störung der Religionsausübung. Die genauen Abläufe und Hintergründe würden nun untersucht.

Ein deutschlandweites Phänomen

Solche Vorfälle sind nach Kenntnis des Landesbildungsministeriums in Brandenburg bisher selten, sagte Sprecherin Ulrike Grönefeld. Die „Märkische Allgemeine“ hatte Mitte Januar vom Fall einer gekaperten Video-Konferenz des Einstein-Gymnasiums in Potsdam berichtet, die damals mit dem System „Jitsi“ durchgeführt werden sollte. Unbekannte hatten sich mit eingewählt und Stöhngeräusche von sich gegeben, hatten Schüler geschildert.

Im Fall von Hermannswerder habe man allerdings keine direkte Meldung erhalten, da es sich um einen privaten Schulträger handele, sagte Ministeriumssprecherin Grönefeld. Generell empfehle man für Videokonferenzen das System „BigBlueButton“, das in der Brandenburger Schulcloud integriert sei. An staatlichen Schulen seien andere Programme wie Zoom, Skype oder MS-Teams für solche Konferenzen untersagt, auch aus Datenschutzgründen (PNN berichteten).

Bild aus dem Sommer: Das Evangelische Gymnasium Hermannswerder
Bild aus dem Sommer: Das Evangelische Gymnasium Hermannswerder

© Ottmar Winter

Das Kapern von Videounterricht macht nicht zuletzt auch überregional inzwischen Schlagzeilen. So hatte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ erst vor wenigen Tagen über einen Vorfall an einer Berliner Grundschule berichtet, bei dem sich Männer den Zutritt zu einer Videokonferenz einer Grundschule beschafften, die Lehrerin aus dem Videochat hinauswarfen und verbliebenen Schülern pornografische Aufnahmen zeigten. In einem aktuellen Beitrag der ARD zu dem Phänomen ging es um junge Erwachsene, die quasi auf Bestellung von Schülern Online-Klassenräume stürmen, angeblich um „zu unterhalten und Spaß zu haben“, wie es hieß.

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, hatte zuletzt gegenüber dieser Zeitung grundsätzlich kritisiert: „Bei der Mehrheit der genutzten Lernplattformen – egal ob staatliche oder kommerzielle Produkte – gibt es derzeit keinen wirksamen Schutz der Persönlichkeitsrechte von Lehrkräften und Schülern.“ Unter anderem geht es auch um die Sorge, dass bei den Konferenzen mitgefilmt wird.

Potsdamer Schule stellt Videokonferenzen um

Die Vorfälle sorgen aber auch für zunehmende Sensibilität an hiesigen Schulen. So sendete eine den PNN namentlich bekannte Grundschule in Potsdam erst am Montag eine Nachricht an alle Eltern, die Videokonferenzen der Klassen 4 bis 6 dürften nur noch über die Schulcloud stattfinden – und die Jitsi-Konferenzen für die Klassen 1 bis 3 würden mittels Passwort geschützt. So müssten die Kinder jeweils einzeln am Rechner warten, bevor die Lehrer:innen sie in den virtuellen Klassenraum lassen. Wichtig sei, den Link zu diesen Räumen nicht weiterzugeben, so die Rektorin, die den Namen ihrer Schule aber nicht in der Zeitung lesen wollte, um nicht ältere Schüler zu Störungen zu animieren: „Dies würde das Streben nach mehr Sicherheit untergraben.“

Keine Haftung übernehme die Schule auch, wenn Kinder - mit ihrem neu erworbenen Lockdown-Wissen um virtuelle Kommunikationskanäle – die digitalen Jitsi-Klassenräume nach Schulschluss eigenverantwortlich nutzten, hieß es in dem Schreiben der Schule. Das erfolgt dann ohne Schutz

Appell zum Safer Internet Day - auch an Eltern

In einer gemeinsamen Erklärung teilten der bundesweit tätige Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, und die Initiative „Schau hin! Was Dein Kind mit Medien macht“ zum Safer Internet Day (SID) am Dienstag (9.2.) mit, durch die Corona-Quarantäne sei die Gefahr sexueller Übergriffe im Netz noch einmal gestiegen.

„Kinder und Jugendliche verbringen aktuell mehr Zeit vor Handys, Konsolen und Computern, durch die soziale Isolation entsteht auch eine höhere Bereitschaft, persönliche Sorgen oder Wünsche über digitale Wege, Chats beispielsweise, mitzuteilen.“ Eltern sollten Kindern und Jugendlichen im Umgang mit sozialen Medien zur Seite stehen und mit ihnen über Risiken oder Sicherheitsregeln sprechen. Ferner müsse aber auch die Verantwortung der Plattformbetreiber für Kinderschutz verbindlicher geregelt werden, forderte Rörig von der Politik.

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