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Offenbar auch Betroffene in Brandenburg: Folterskandal in Rumänien: Amtshilfe aus Potsdam

Deutsche Kinder und Jugendliche, die "wie Sklaven" behandelt werden: Das sind einige der Vorwürfe gegen das auch von Potsdam aus agierende "Projekt Maramures" im abgelegenen Norden Rumäniens. Nun wollen Potsdamer Ermittler helfen. Die Projektträger weisen die Vorwürfe zurück.

Potsdam/Bukarest - Nach Misshandlungsvorwürfen bezüglich eines auch von Potsdam aus geleiteten Jugendprojekts in Rumänien hat nun die Staatsanwaltschaft Potsdam die Vorgänge im Blick. Man habe einen sogenannten Beobachtungsvorgang angelegt, um gegebenenfalls selbst zu ermitteln, sagte ein Behördensprecher den PNN am Dienstag. Zudem könne man auch Aussagen von Zeugen an rumänische Behörden vermitteln. 

Zuvor hatte sich aus dem Havelland die Schwester eines Betroffenen bei den PNN gemeldet: Ihr Bruder sei schon vor mehr als zehn Jahren in dem „Projekt Maramures“ im Norden Rumäniens misshandelt worden. Nun wisse man nicht, wohin man sich mit der Aussage wenden solle, sagte die Frau, die zunächst ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollte.

Vor einer Woche wurde der Skandal publik

Vor einer Woche stürmten Sondereinheiten der rumänischen Polizei einen Bauernhof und sieben Häuser im Dorf Viseu de Sus, wo ein deutsches Paar vor 15 Jahren das Sozialprojekt für schwer erziehbare und zum Teil straffällige Jugendliche gegründet hatte. Dem in Untersuchungshaft sitzenden deutschen Projektleiter und vier Rumänen wird vorgeworfen, die Kinder „sklavenartig“ behandelt zu haben, unter Verwendung „barbarischer Methoden bis hin zu Folter“. So seien Kinder mit Seilen angebunden und gemeinsam mit Zugtieren vor Karren gespannt worden, hieß es. Und: Die jungen Deutschen seien in "erniedrigender und entwürdigender" Weise und mit "schwerer Gewalt" behandelt sowie mit Nahrungsentzug bestraft worden. Bei der Razzia wurden zwanzig Kinder im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren gefunden, mehrere in Gastfamilien.

Die Vorwürfe werden bestritten

Vom Potsdamer Büroleiter, früher Geschäftsführer eines anderen diakonischen Sozialträgers, hieß es gegenüber den PNN auf Anfrage, er sei für eine Stellungnahme nicht autorisiert und ohnehin im Urlaub.  Ein Reporter von Spiegel-TV interviewte zuletzt auch die stellvertretende Projektleiterin, die die Vorwürfe zurückwies: "Jeder Jugendlicher wird hier wertgeschätzt." Eltern und Jugendämter könnten regelmäßig zu Besuch kommen, wies sie die Vorwürfe zurück, so die Leiterin. Projektträger ist die Kinder-und Jugendhilfe Wildfang GmbH, die Mitglied im Arbeitskreis der Auslandsprojekte in Niedersächsischen Jugendhilfeeinrichtungen (AKA) ist. Auch dort hieß es in einer aktuellen Pressemitteilung, der Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Organisation zum Handel mit Minderjährigen" sei haltlos. Das Projekt sei auch mehrfach von rumänischen Kinderschutz-Behörden "ohne negative Ergebnisse überprüft worden", so der Träger. Gleichwohl nehme man die weitergehenden Anschuldigungen wie „Sklavenarbeit“ oder „Nahrungsentzug“ ernst "und gehen ihnen weiter nach", hieß es in der Wildfang-Mitteilung.  

Auch nach Angaben des Auswärtigen Amts in Berlin sind in den vergangenen 20 Jahren keine Probleme mit dem „Projekt Maramures“ bekannt geworden. Auch einige der Kinder wiesen die Misshandlungsvorwürfe zurück. „Wir füttern die Rinder und die Schafe“, sagte ein Mädchen, das bei einer Gastfamilie lebte, einem rumänischen Sender. Das sei nicht schwer. „Und wir konnten so viel essen wie wir wollten.“

Die belastenden Aussagen stammen von mindestens vier Kindern 

Doch mindestens vier Kinder, die inzwischen in die Obhut von Jugendschutzeinrichtungen gegeben wurden, haben den Ermittlern zufolge über Brutalität von Projektmitarbeitern ausgesagt - sowie in einem Fall über den erzwungenen Einsatz einer Spirale zu Verhütungszwecken bei einem jungen Mädchen. Der Journalist Vasile Dale hatte bereits 2006 über mutmaßliche Misshandlungen in dem Projekt berichtet.  Ihm zufolge hing die Behandlung der Kinder davon ab, wo sie untergebracht wurden. "Es war wie auf dem Markt: Wenn der Kleinbus mit den deutschen Kindern ankam, suchten sich die mit Beziehungen zu den Fahrern die am wenigsten schwierigen aus", sagte Dale der Nachrichtenagentur AFP.

"Arbeit macht frei"

Die anderen seien ins "Zentrum" auf den Bauernhof gekommen. Der zuständige Deutsche habe ihm gegenüber den Slogan "Arbeit macht frei" verwendet, der von den Nazis an den Eingängen von Konzentrationslagern angebracht wurde. Dales Ansicht nach ist es "unmöglich", dass das örtliche Jugendamt nichts von den Vorkommnissen mitbekommen habe. Die Behörden hätten aber bewusst weggeschaut, weil es sich "um eine Einrichtung für deutsche Jugendliche unter der Kontrolle des deutschen Staates" handelte, ist er überzeugt. Eine Rathausvertreterin in Viseu de Sus versicherte hingegen, dort habe es nie irgendwelche Beschwerden gegeben.

Für manche Familien war es lukrativ

Rund 15 rumänische Familien nahmen als Gastfamilien an dem Programm teil. Sie bekamen pro Kind etwa 600 Euro im Monat ausgezahlt – eine hohe Summe für rumänische Verhältnisse. Auf seiner mittlerweile nicht mehr erreichbaren Website bot das Zentrum "lehrreiche und entspannende Beschäftigung in der Natur" an. Das Projekt erhielt rumänischen Medienberichten zufolge bis zu 6000 Euro monatlich pro Kind. Bei der Razzia beschlagnahmten die Ermittler knapp 150.000 Euro.

Der 61-jährige deutsche Projektleiter und vier Rumänen sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Ihnen wird unter anderem Freiheitsberaubung und Menschenhandel vorgeworfen. Gegen die Ehefrau, also besagte Projektleiterin, und zwei weitere Mitarbeiter laufen die Ermittlungen. In Viseu de Sus, das vom Tourismus lebt, sorgen sich viele der Anwohner nun um den Ruf des Ortes. (mit AFP)

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